Armin Petras schickt Leon Mask zum Jupiter: „Tesla, die Spree und der Kirschgarten“ am Staatstheater Cottbus ist ein Feuerwerk aus Stroboskop und Assoziationsexplosionen


„Tesla, die Spree und der Kirschgarten“ in Cottbus:Die Brandenburger Tesla-Fabrik ist längst „im Arsch“ und Leon Mask überlebt auf der Flucht ins Sonnensystem seinen „größten Konkurrenten“ Jesus offenbar auch nicht

Foto: Bernd Schönberger


Tschechows Kirschgarten ist und bleibt resistent gegen Regie-Übergriffe. 1904 nahm er im Grunde Brechts Mahagonny um 26 Jahre vorweg, wo es als das größte Verbrechen gilt, kein Geld zu haben. Weshalb bei Tschechow die Familie der russischen Gutsbesitzerin Andrejewna Ranjewskaja vor der Versteigerung von Haus und Grund samt des paradiesischen Kirschgartens steht.

Wenn der scheidende Cottbuser Co-Schauspielchef Armin Petras alias dessen Autorenpersönlichkeit Fritz Kater nun diesen Kirschgarten in die vom Weltheilsbringer Elon Musk in blühende Landschaften verwandelte Brandenburger Einöde verlegt, steht die Regie dann schon vor Herausforderungen. Wie bringt man dieses Werk, Tesla, die Spree und der Kirschgarten, in einen halbwegs stringenten Ablauf? Er hat einfach zu viele Ideen, dieser Fritz Kater.

So hebt er dann auch im Wortsinn völlig ab von dieser Betondatsche am nie auch nur angedeuteten Kirschgarten. Er fliegt in schönstem Eskapismus sozusagen mit SpaceX zu einer neuen blühenden Kirschgarten-Landschaft im Inneren des Jupiter-Mondes Europa. Den gibt es wirklich, nicht nur als Regieeinfall kontrastierend zum Trumpkontinent Old America. Leider nimmt Leon Mask, wie er in den Filmsequenzen der Cottbuser Kammerbühne heißt, nur die vom Fernweh nach einer besseren Welt ergriffene Tochter Anja mit und nicht alle 340 Millionen US-Amerikaner.

Apokalypse und Erlösergestus

Diese Flucht ist die Konsequenz aus der „ersten Welle des Angriffsunglücks“, das sich bereits zu Beginn andeutet. Immer wieder hereinbrechende Stroboskopblitze und Rotlichtalarm entfalten eine größere präapokalyptische Wirkung als die drohende Versteigerung des Kirschgartens. Als ziehe der nur fünf Kilometer entfernte Bauplatz der Tesla-Fabrik für Akkuautos sozusagen Armageddon, die Entscheidungsschlacht zwischen Gut und Böse, auf sich.

Peter, der ewige Student, linksextreme Postachtundsechziger und Aktivist der Tesla sabotierenden Vulkan-Gruppe, flüchtet schon mal in den masochistischen Erlösergestus: Stellvertretend für die Sünden der Menschheit allgemein und derer von Elon Musk im Besonderen lässt er sich ans bewährte Kreuz nageln.

Derselbe Schauspieler, Kai Börner, kommt zunächst als der zwei Generationen ältere Hausdiener Firs auf die Bühne. Als irgendwie doch sympathischer Ost-Trottel trägt er die gelb-rot gestreiften braunen Trainingshosen der Nationalen Volksarmee und eine Budjonowka-Reitermütze. Er persifliert gekonnt alte SED-Mobilisierungssprüche und wirkt anachronistisch stabilisierend bei all dieser modernen Konfusion: „Mit viel Lärm und mit viel Licht / machen wir die Grenzen dicht!“

„Tesla, die Spree und der Kirschgarten“ in Cottbus: Das Publikum darf weiterbrüten

Auf solche Assoziationsexplosionen muss, nein, darf man sich bei Petras/Kater halb vergnügt, halb stirnrunzelnd einlassen. Und wie das so ist bei großen Klassikern, bleiben zum Wiederkäuen auf dem Heimweg philosophische Sprüche hängen, etwa: „Menschen wollen für ihren Schmerz entlohnt werden“.

Das siebenköpfige Ensemble verdient höchste Anerkennung. Exemplarisch sei verwiesen auf Susann Thiede als faszinierend-hysterisch-tragische Ranjewskaja. Aus den schlichten Urmotiven von Liebes- und Anerkennungsbedürftigkeit entwickelt sie einen ganzen Kosmos menschlicher Höhenflüge und Abgründe.

Der Katastrophe angemessen, kommt nach der Pause zunächst eine halbe Stunde apokalyptisches Kino in Sepia. Die Brandenburger Tesla-Fabrik ist längst „im Arsch“ und Leon Mask überlebt auf der Flucht ins Sonnensystem seinen „größten Konkurrenten“ Jesus offenbar auch nicht. Es gibt aber auch eine alternative, gar nicht so dystopische Antwort, zu der der Wenderuf „Wir bleiben hier“ gepasst hätte. Die Restfamilie rappelt sich aus den Bunkern heraus an die verstrahlte Oberfläche. Der alte Firs hat Pässe für alle, aber wohin? Das begeisterte Publikum darf auch über dieser Frage weiterbrüten.



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Von Veritatis

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