Wenn die französischen Kernwaffen künftig auch dem Schutz der EU und damit Deutschlands dienen sollen, sind Gegenleistung gefragt. Die von Paris befürworteten Eurobonds gehören dazu


Der erste Amtsbesuch des neuen Bundeskanzlers galt dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron

Foto: Tom Nicholson/Getty Images


Gerade jährt sich der Schuman-Plan zum 75. Mal. Darin schlug 1950 der damalige französische Außenminister Robert Schuman vor, die französische und westdeutsche Kohle- wie Stahlproduktion zusammenzulegen und einer Hohen Behörde zu unterstellen. Dies führte zur Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), einem ersten Schritt zur Integration in Westeuropa, der Logik gehorchend: Wenn die Produktion von Eisen und Stahl ein gemeinsames Anliegen ist, wird Krieg zwischen beiden Ländern unmöglich sein. Stattdessen werden Wiederaufbau, Frieden und Wohlstand begünstigt. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg ein mutiger Schritt.

Den bräuchte es auch heute angesichts einer doppelten Zeitenwende – des Ukraine-Krieges und der sich mit Donald Trump abzeichnenden Erosion des kollektiven Westens. Wohin werden sich Deutschland und die EU wenden? Zur Wahl stehen drei Optionen: Entweder Europa schwächt sich durch nationale Egoismen weiter und riskiert zu zerfallen. Eine weitere Möglichkeit wäre, ein gutes Verhältnis zu den USA so lange wie möglich zu erhalten, indem man im Kielwasser ihrer Politik bleibt. Das würde bedeuten, den bereits bestehenden Vasallenstatus bei absehbar höheren Kosten zu bewahren und sich den volatilen Interessen einer expansionistischen Weltmacht auszusetzen.

Bei einer dritten Variante könnten sich die EU-Staaten dazu aufraffen, die Selbstbehauptung einer nach innen demokratischen und nach außen friedlichen Gemeinschaft durch mehr europäische Souveränität zu fördern. Das hieße, nationale Interessen zu bündeln und nach außen konform zu vertreten. Dazu bedürfte es vor allem eines intakten deutsch-französischen Verhältnisses, weil die Geschichte der europäischen Integration zeigt, dass die Nähe zwischen Paris und Bonn beziehungsweise Berlin stets eine unverzichtbare Komponente war.

Als die deutsche Zweistaatlichkeit 1949 ein strukturelles Ungleichgewicht beendete, ermöglichte das die westeuropäische Integration. Die seit der Reichsgründung von 1871 bestehende ökonomische und militärische Überlegenheit Deutschlands war vorbei. Paris folgte nach 1945 zunächst der Devise, Sicherheit vor und gegen Deutschland. Mit dem Kalten Krieg hieß es dann: Sicherheit vor der UdSSR und Deutschland mit einer westintegrierten BRD ohne eigene Kernwaffen und mit einem unabhängigen französischen Nukleararsenal. Die Zustimmung zur Wiedervereinigung 1990 und zu neuer struktureller Unwucht konnte Paris hinnehmen, da der 2+4-Vertrag einen deutschen Verzicht auf Atomwaffen und den Willen zu vertiefter europäischer Integration (bis hin zum Euro) festschrieb.

Alternative Fiskalunion?

Nun lassen die Umbrüche weltweit eine neue multipolare Ordnung entstehen, zu der sich Paris und Berlin verhalten müssen. Kollektivgüter wie äußere Sicherheit und Wohlfahrt zu bewahren, verlangt nach mehr Integration. Darum sollte Berlin das Macron-Angebot einer nuklearen Konzertierung annehmen, auch wenn die alleinige Entscheidungsgewalt des französischen Präsidenten über die eigenen Kernwaffen fortbesteht. Es ginge auch nicht um eine europäische Variante von Abschreckung, die auf einem Nuklearpotenzial ähnlich dem amerikanischen beruht, sondern um eine neue Form defensiver, integrierter Kriegsverhütung.

Nur müsste Deutschland dabei über seinen Schatten springen und Frankreich bei der Vollendung einer europäischen Wirtschafts- und Währungsunion entgegenkommen. Konkret würde das bedeuten, gemeinsame Schulden (Eurobonds) für die Finanzierung europäischer Gemeinschaftsgüter als Regelfall zu betrachten. Dadurch würden Kredite für viele EU-Staaten billiger, es könnte mehr in soziale europäische Güter sowie Infrastruktur investiert werden. Es wäre ein wichtiger Schritt in Richtung Fiskalunion, um der europäischen Selbstbehauptung zu genügen. Friedrich Merz hat zwar beim Antrittsbesuch in Brüssel die ablehnende Haltung der Bundesregierung abgeschwächt, indem er erklärte, gemeinsame Schulden müssten die Ausnahme bleiben, doch das allein reicht nicht aus.



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Von Veritatis

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