Um die sogenannte Vierte Gewalt ist es schlecht bestellt. Ihrem Selbstverständnis nach sollte sie die Mächtigen aus Politik, Wirtschaft und Justiz kontrollieren, sie sollte detektivisch Spuren nachgehen, die auf Korruption und Amtsmissbrauch hindeuten. Stattdessen tun Leitmedien heute genau das Gegenteil: Sie verwischen Spuren und machen sich mit den Mächtigen gemein. Mittlerweile merken es selbst große Teile der Gesellschaft. Gestandene Journalisten wissen das schon lange, erst recht Veteranen wie Patrick Lawrence. Seine Erfahrungen hat er in einem Buch ausgebreitet, das nun im Promedia-Verlag in deutscher Übersetzung erschienen ist. Eine Rezension von Eugen Zentner.

Der US-Amerikaner blickt auf eine ereignisreiche Karriere zurück. Er arbeitete über Jahrzehnte für nationale und internationale Blätter, als Auslandskorrespondent, Redakteur und Kolumnist. Lawrence kennt die Branche wie kaum ein anderer, und er weiß, dass Journalisten seit jeher mit einem inneren Konflikt zu kämpfen haben: Einerseits sind sie von der Notwendigkeit getrieben, ideologisch konforme Standards zu erfüllen. Andererseits wollen sie die wahren Verhältnisse ans Licht bringen, die in der Arbeit oftmals verschleiert werden. Letzteres nennt Lawrence in Anlehnung an den Psychoanalytiker Carl Gustav Jung den Schatten des Journalisten. Genau darum geht es in seinem gleichnamigen Buch.

Im Kern beschäftigt er sich darin mit dieser Gespaltenheit eines jeden Journalisten, veranschaulicht dieses Phänomen jedoch in einem Erfahrungsbericht, der mehrere Jahrzehnte des Kalten Kriegs umfasst und die Veränderungen nach 9/11 einschließt. Entlang der eigenen Erlebnisse zeichnet Lawrence als klassischer Ich-Erzähler den Verfall großer Medien nach, veranschaulicht, wie sie Unabhängigkeit, Integrität und Glaubwürdigkeit verloren haben, beleuchtet aber auch die wenigen Augenblicke ihres Glanzes. Das ist schon deswegen lesenswert, weil er seine Ausführungen in eine literarische Sprache kleidet, die sich durch Metaphorik, Anekdoten und pointierte Formulierungen auszeichnet. Das beginnt bereits mit der Beschreibung des journalistischen Schattens.

Integrierte Persönlichkeit

Lawrence unternimmt mehrere Erklärungsversuche und variiert in der Formulierung, um verständlich zu machen, was mit dem Sprachbild gemeint ist. Mal spricht er von dem „Teil des Selbst, der infolge verschiedener gesellschaftlicher und beruflicher Zwänge verdeckt ist“. Mal bezeichnet er diesen Teil als solchen, „der von Konventionen, orthodoxer Moral, akzeptablem Geschmack, den Zumutungen der Arbeitgeber und anderen Formen sozialer und beruflicher Einschüchterung unterdrückt wird“. Das Opfer dieser Kräfte sei die „integrierte Persönlichkeit – das authentische, ungeteilte Selbst, das in der Lage ist, mit Gewissheit und ohne Bezugnahme auf die Zwänge der Macht oder der kollektiven Meinung zu urteilen und zu handeln“.

Dieser Teil, so der Autor, wird in der journalistischen Praxis häufig verdeckt, auch deswegen, weil Journalisten ihre berufliche Position in den Medienunternehmen sichern oder halten wollen. Dafür zahlen sie einen hohen Preis: Ihre Urteilsfähigkeit wird beeinträchtigt, sodass sich in der Folge Verfehlungen genauso häufen wie Korruption. Lawrence erlebte dies am eigenen Leib und schildert diesen Konflikt in aller Offenheit: „Wenn ich von meinem Schatten schreibe, meine ich den Teil von mir, den ich vor anderen verborgen hielt. Lange Zeit neigte ich dazu, ihn sogar vor mir selbst zu verbergen – wenn ich mich nicht sogar vor ihm versteckte. Ich verdiente meinen Lebensunterhalt bei großen Zeitungen und Nachrichtenmagazinen, weil man in den Jahren, über die ich schreibe, dort seinen Lebensunterhalt verdienen konnte.“

Hohes Gehalt und komfortable Bedingungen sind jedoch nicht die einzigen Kräfte, die Journalisten dazu treiben, ihr wahres Selbst zu verstecken. Ein weiterer ist die politische Macht, insbesondere der „Sicherheitsstaat“. Dieser taucht in Lawrence’ Buch sehr häufig auf, auch weil der Autor der Meinung ist, dass die meisten Mainstream-Journalisten in seinem Dienst stehen. Das hat unter anderem strukturelle Gründe: „Korrespondenten der Times und der Washington Post nehmen routinemäßig Stipendien an Forschungseinrichtungen an, die von Rüstungsunternehmen und Anhängseln des nationalen Sicherheitsstaates finanziert werden, also von Einrichtungen, über die sie eigentlich berichten sollen.“

Der Einfluss von Geheimdiensten

Solche Sätze wirken erschütternd und ernüchternd zugleich. Lawrence redet nicht um den heißen Brei herum, sondern belegt aus eigener Erfahrung, dass die klebrige Nähe zwischen Journalismus und Macht nicht herbeifantasiert ist. Das unterstreichen Passagen, in denen der Autor schildert, wie der britische Auslandsgeheimdienst MI6 ihn für eine mögliche Mitarbeit überprüfte. Lawrence bestand den Test damals nicht, aber andere eben schon. Anhand dieser Schilderungen ist es nicht schwer, eins und eins zusammenzuzählen: Viele Journalisten, vor allem die Auslandskorrespondenten, arbeiten nicht nur für das eigene Medienhaus, sondern gleichzeitig als Agenten und Überbringer von Informationen, die der „nationale Sicherheitsstaat“ gut gebrauchen kann.

Im Laufe der Jahre, so die Schlussfolgerung, haben die Mainstream-Medien ihre Unabhängigkeit an ihn abgetreten, insbesondere nach 9/11. Dieses Datum beschreibt Lawrence als einschneidend in der Geschichte des Journalismus. Seitdem habe sich die „Macht des Auslassens“ institutionalisiert: „Es geht nicht mehr darum, was in einer Meldung irrtümlich fehlt. Das Weglassen von Kontexten ist heute an der Tagesordnung; niemand in den Mainstream-Medien scheint dies mehr als Fehler zu betrachten.“ Ebenso verändert hat sich die Sprache, der Lawrence einen „betäubenden Einfluss“ von Institutionen, Bürokratien und Konzernmedien attestiert. Dabei sollte sie das kreative Denken fördern und zu neuem, fantasievollem Handeln anregen, wie er betont.

US-amerikanische Interventionen in anderen Ländern

Während der Autor die Verfehlungen der Mainstream-Medien beleuchtet, liefert er zugleich einen kurzen Abriss der US-amerikanischen Geschichte, mit Fakten, die vielen unbekannt sein dürften, weil sie in der Berichterstattung genauso verdeckt bleiben wie der authentische Persönlichkeitsanteil der Journalisten. Thematisch widmet sich Lawrence dem Ukraine-Krieg oder den Ereignissen um die angebliche Einmischung Russlands in die US-Präsidentschaftswahl 2016. Am interessantesten sind die Ausführungen jedoch dort, wo er die politischen Interventionen der Vereinigten Staaten in Portugal oder Südamerika abhandelt.

Obwohl der Erfahrungsbericht über weite Strecken wenig erbaulich klingt, werden zum Schluss positive Tendenzen benannt, die Mut machen. Lawrence sieht die Rettung in den „unabhängigen Medien“. Diesen Begriff favorisiert er gegenüber dem häufigeren Ausdruck „alternative Medien“, weil er Aspekte hervorhebt, die den Journalismus erst authentisch machen: Wenn Medien unabhängig sind von „Unternehmenseigentümern und Werbekunden, von politischer und institutioneller Macht, von vorherrschenden Orthodoxien“, werden sie zu Orten der Ganzheit, wo „Journalisten ihr integriertes Selbst zurückgewinnen, sich mit ihrem Schatten vereinigen können“.

Dass es solche Orte gibt, bleibt in dem Buch nicht unerwähnt, ebenso wenig wie ihre Wirkung. Für Lawrence zeigt sie sich allein darin, dass die Mainstream-Medien Krieg gegen diejenigen führen, die unabhängig soliden Journalismus produzieren. „Ihre Absicht ist klar“, schreibt er: „Sie wollen ihr seit Langem bestehendes, aber jetzt in Frage gestelltes Monopol über die akzeptierten Narrative wiederherstellen.“ Das darf ihnen nicht gelingen. Auch dafür setzt sich Lawrence mit seinem Buch ein.



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Von Veritatis

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