Ihre Fahrt zur Arbeit wird zu einem Verhaltensscore, und Ihr Auto fragt nicht einmal nach Erlaubnis.

Christina Maas

Herzlichen Glückwunsch. Sie haben ein Auto gekauft. Vielleicht haben Sie sogar die Premiumausstattung gewählt – mit Sprachsteuerung, Cloud-Synchronisierung und beheizbaren Becherhaltern, die die Temperatur Ihres Latte kennen, bevor Sie es tun. Sie setzen sich hinters Steuer und fühlen sich wie der Herr Ihrer kleinen Welt. Der Sitz schmiegt sich an, die Türen schließen mit einem befriedigenden Klack, und Sie verschwinden in der heiligen Privatsphäre des Fahrersitzes.

Nur dass Sie kein Auto gekauft haben. Sie haben eine Überwachungskapsel geleast.

[…]

Kein Handy, keine Privatsphäre?

Hier kommen die paranoiden Minimalisten ins Spiel. Sie prahlen: „Ich koppel mein Handy nicht. Ich nutze nicht mal Bluetooth. Mein Auto ist einfach nur ein Auto.“

Aber in modernen Fahrzeugen ist Ihr Handy nur die Vorspeise. Das Überwachungsmenü geht weiter – mit oder ohne Ihre Zustimmung.

Die Sensoren, von denen Sie nichts wussten

Ein heutiges Auto enthält über 100 Sensoren. Was früher ein Sitz und ein Lenkrad war, ist heute ein rollendes biometrisches Labor mit Silizium-Spionen.

Ihr Auto sammelt:

  • GPS-Daten jeder Route
  • Ihr Fahrverhalten: Bremsen, Gasgeben, Ausweichen
  • Kamerabilder: außen wie innen (auch Gesichtserkennung)
  • Mikrofonaufnahmen: „Sprachsteuerung“ ist Daueraufnahme
  • Biometrie: Gewicht, Haltung, Blickrichtung
  • Kabinenaktivität: wie viele Insassen, wie sie sich bewegen

Wozu? „Zur Sicherheit“. Tatsächlich: Monetarisierung.

  • Versicherungen nutzen Fahrverhalten für Prämien
  • Werber verfolgen Bewegungsprofile
  • Polizei fordert Standort- oder Audioaufzeichnungen an
  • Datenbroker sammeln, „anonymisieren“ und verkaufen

Anders als Finanz- oder Gesundheitsdaten sind Fahrzeugdaten kaum gesetzlich geschützt. Keine Offenlegungspflicht. Keine klare Rechtslage. Nur PR-Gesülze.

Immer an, nie transparent

Können Sie das alles ausschalten? Meist nicht. Zumindest nicht ohne Vorschlaghammer. Selbst bei deaktivierten Diensten senden manche Autos weiter Daten über fest verbaute SIM-Karten.

Manche Systeme bieten „Connected Services“ oder „Remote Diagnostics“. Sie klingen harmlos. Doch sie sind legale Schlupflöcher für Echtzeitüberwachung. Selbst wenn Sie auf „AUS“ stellen, bleibt oft eine Datenpipeline aktiv.

Keine Warnungen, keine Kontrollpunkte, kein grünes Licht wie beim Handy, wenn das Mikro läuft. Die Kamera im Auto? Keine Einstellung namens „Bitte nicht mein Gesicht filmen“.

Die biometrische Grenze

Nun wird es gruselig: Ihr Auto interessiert sich nicht nur für Ihre Route – sondern auch für Ihre Emotionen.

Beispiele:

  • Blickverfolgung (Eye Tracking): misst Aufmerksamkeit, Blickrichtung
  • Bewegungserkennung: analysiert Ihre Stimmung
  • Herzfrequenz: über das Lenkrad erfasst
  • Beifahrererkennung: Sensoren erfassen Position, Gurtstatus, Altersschätzungen

Was passiert mit diesen Profilen? Wer speichert sie? Wer besitzt sie?
Antwort: Unklar. Und das ist gewollt.

Die neue Normalität?

Viele Menschen zucken mit den Schultern. „Smart“ bedeutet heute: „Spitzel“.

GM: Datenhandel im Verborgenen

OnStar – der Dienst von General Motors – sammelte jahrelang heimlich Daten: Bremsverhalten, Geschwindigkeit, Zeitpunkte, Musikwahl. Und verkaufte sie an Datenbroker. Fahrer erfuhren es erst durch Klagen. Texas verklagte GM: über 14 Millionen Fahrzeuge seien ohne Einwilligung zu Datenstaubsaugern gemacht worden.

VW: 800.000 Fahrzeuge in Echtzeit geleakt

2024: Ein Datenleck bei VW, Audi, Skoda, Seat. Standortdaten, E-Mails, Telefonnummern – öffentlich einsehbar. Die Sicherheitslücke bestand monatelang.

Tesla: Kameraaufnahmen als Bürobelustigung

2023: Whistleblower berichten, dass Tesla-Mitarbeiter auf Kundenvideos zugreifen und sie intern teilen – z. B. Aufnahmen von Menschen, die nackt durch Garagen laufen. Kein Schutz, keine Regeln, keine Transparenz.

Kia: Versicherungsprofile ohne Info

Kia sammelte Fahrverhaltensdaten – Bremsen, Nachtfahrten, Kurzstrecken – und leitete sie ohne Zustimmung an Versicherer weiter. Ergebnis: Prämienerhöhungen ohne Vorwarnung.

Mozilla: Autoindustrie ist Datenschutz-Katastrophe

Mozilla prüfte 2024 die Datenschutzpraxis von Autoherstellern:

  • 84 % teilen Daten mit Dritten
  • 76 % verkaufen Daten weiter
  • 0 % erfüllen grundlegende Datenschutzanforderungen
  • Nur Renault & Dacia bieten Löschrechte

Fazit: Autos sind laut Mozilla die „schlimmste Produktkategorie“ für Privatsphäre – schlimmer als Smart-TVs, Fitness-Tracker oder Smartphones.

Mehr als nur Metadaten

Kombiniert mit externen Daten (z. B. Telefonnummern, Kredithistorie, Streaming-Nutzung) entstehen glasklare Verhaltensprofile:

  • Wohnort, Einkaufsgewohnheiten, emotionale Zustände
  • GPS plus Mikrofondaten ergibt psychologisches Risikoprofil
  • Sprachanalyse erkennt Streit – Empfehlung: Versicherungsaufschlag

Wie Sie sich wehren

  1. Handy nie direkt anschließen
  • Nutzen Sie Bluetooth im Audio-Modus oder ein separates Gerät ohne persönliche Inhalte.
  1. Fahrzeugdatenzugriff deaktivieren
  • Suchen Sie in den Systemeinstellungen nach „Connected Services“, „Telematics“, „Remote Access“ – und schalten Sie sie ab.
  1. Vor Verkauf oder Rückgabe Daten löschen
  • Werkseinstellungen zurücksetzen, Geräte entkoppeln, Konten abmelden.
  1. „Burner“-Technik nutzen
  • Günstige Geräte für Musik & Karten – ohne Kontakte, Nachrichten oder Logins.
  1. Transparenz fordern
  • Stellen Sie Fragen beim Händler. Lesen Sie die Datenschutzrichtlinie. Unterstützen Sie Datenschutzgesetze. Machen Sie in Foren und Netzwerken Druck.

Ausblick

Ihr Auto ist keine neutrale Maschine mehr. Es ist ein rollendes Überwachungssystem. Sie können es nicht ganz stoppen. Aber verlangsamen. Und Hersteller zwingen, nicht mehr heimlich zu spionieren.

Es sind Ihre Daten. Sie sollten mitfahren. Nicht verkauft werden.



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Von Veritatis

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