Ein Gastbeitrag von Klaus Kelle
Die ARD Tagesschau war über Jahrzehnte der Orientierungsanker der Deutschen schlechthin. Als lange einzige Nachrichtensendung im deutschen Fernsehen, da es ja nichts anderes als die ARD im Westen Deutschlands gab, hatte sie ein Monopol für die Meinungsbildung der Bevölkerung.
Und zum Erfüllen des Grundauftrages, die Information der Bevölkerung nach dem Krieg sicherzustellen, war eben diese Tagesschau unersetzbar. Bis zu 25 Millionen Zuschauer hatte die Nachrichtensendung in ihrer Blütezeit, und dass es nicht noch mehr waren, hing damit zusammen, dass eben viele Haushalte in der Nachkriegszeit überhaupt kein Fernsehgerät zu Hause hatten.
Information der Bevölkerung, das war – neben Unterhaltung – der zweite, wichtigere Grundauftrag, den die Siegermächte und die erste Nachkriegs-Politikergeneration dem Öffentlich-Rechtlichen Rundfunksystem bei Gründung 1946 aufgegeben hatten. Und lange Zeit funktionierte das.
Zuverlässig, langweilig, unbestechlich – so lieferten die Moderatoren in den 50er und 60er Jahren jeden Abend, was von ihnen erwartet wurde.
Am Zweiten Weihnachtstag 1952 – nur einen Tag nach dem ARD-Programmstart – wurde die ARD Tagesschau zum ersten Mal ausgestrahlt. Und dann zunächst nicht jeden Tag, sondern nur montags, mittwochs und freitags um 20 Uhr. Das Programm erreichte damals erst nur etwa 1000 Zuschauer. Erste Meldung am 26. Dezember 1952 war übrigens die Korea-Reise des amerikanischen Präsidenten Eisenhower, die zu dem Zeitpunkt schon mehrere Wochen zurücklag.
Inzwischen ist viel passiert
Die Konkurrenz erst durch das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF), ein Zugeständnis an den Föderalismus, dann durch das Privatfernsehen und schließlich durch die Erfindung des Internets und seine unbegrenzten Möglichkeiten der individuellen Informationsbeschaffung hat vieles verändert – auch die dominierende Position der ARD-Nachrichtensendungen. Zuletzt pendelten die Einschaltquoten der Tagesschau an normalen Tagen um die fünf Millionen Zuschauer herum – angesichts der immensen Konkurrenz immer noch ein gewaltiger Faktor, Stimmungen in der Bevölkerung zu beeinflussen.
Anfang 2025 erschien ein überaus lesenswertes Buch mit dem Titel „inside Tagesschau“ von Alexander Teske, Journalist seit 30 Jahren mit vielen beruflichen Stationen beim MDR, Pro Sieben, RTL, aber auch in Printmedien bei Axel Springer, dem Focus oder der taz.
Zuletzt arbeitete er als Redakteur für die ARD Tagesschau, sechs Jahre lang, und gewährt seinen Lesern atemberaubende Einblicke in ein geschlossenes System, in dem die Maßstäbe für die Auswahl der Nachrichten – sagen wir – oftmals fragwürdig erscheinen. In der die Entscheider nach Lust und Laune die Themen auswählen, oft abhängig von ihren eigenen politischen Präferenzen.
Im Sommer 2021 zum Beispiel ploppte die Geschichte eines österreichischen „Plagiatsjägers“ auf die mediale Bühne, der nachweisen konnte, dass die damalige Grünen-Kanzlerkandidatin und spätere Bundesaußenministerin Annalena Baerbock Passagen ihres neuen Buches „jetzt“ offenkundig abgeschrieben hatte, ohne die Quellen zu kennzeichnen.
Wenn man weiß, dass sich nach seriösen Studien und Befragungen mindestens zwei Drittel der deutschen Profi-Journalisten politisch selbst rot oder grün einordnen, ist wenig verwunderlich, dass am Tag des Erscheinens dieser Vorwürfe die Tagesschau keinen Platz für eine Meldung dazu hatte, wohl aber für zwei ausführliche Beiträge zur Fußball-EM und über Unwetter in Deutschland.
In den darauffolgenden Tagen kamen immer neue Vorwürfe gegen die grüne Frontfrau ans Tageslicht – schließlich äußerte sich Frau Baerbock öffentlich selbst, der Verlag kündigte an, das Buch nicht mehr zu drucken. Nichts davon meldete die wichtigste Fernseh-Nachrichtensendung Deutschlands.
Der ganze Plagiatsfall Baerbock ist an Bürgern, die sich nur auf die ARD-Tagesschau verlassen, komplett vorbeigegangen.
Eineinhalb Jahre später ein ähnliches Vorgehen der Tagesschau im Zusammenhang mit der inzwischen zur Bundesaußenministerin avancierten Annalena Baerbock. Denn die hatte am 26. Januar 2023 im Europarat gesagt „Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland“. Hat die deutsche Außenministerin damit versehentlich der Atommacht Russland den Krieg erklärt?
Medien und das politische Berlin überschlugen sich
Nur die führende deutsche Nachrichtensendung lässt das Thema einfach weg, selbst als das russische Außenministerium eine Erklärung zu der Baerbock-Aussage von der Bundesregierung fordert. Nichts, kein Wort in der Tagesschau an diesem Tag und danach, dafür aber Beiträge über die Rodel-WM und schwere Regenfälle in Neuseeland.
Es ist atemberaubend, was Alexander Teske uns aus dem redaktionellen Maschinenraum der ARD Tagesschau erzählt, auch über das Arbeitsklima und Günstlingswirtschaft dort. Neue Freunde wird er sich damit nicht gemacht haben und wohl kaum jemals dort wieder einen Fuß in die Tür bekommen.
Aber sein Buch ist wichtig, weil er dringender als zuvor jemand die Frage aufwirft, ob wir, ob Deutschland, dieses oder überhaupt irgendein öffentlich-rechtliches Rundfunksystem noch brauchen. Wenn das ZDF zum Beispiel morgen früh abgeschaltet würde, ein großer Teil der Bevölkerung würde es tagelang gar nicht bemerken, da bin ich sicher…
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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Und ich bin der Ansicht, dass gerade Beiträge von streitbaren Autoren für die Diskussion und die Demokratie besonders wertvoll sind. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.
Klaus Kelle, Jahrgang 1959, gehört laut Focus-online zu den „meinungsstärksten Konservativen in Deutschland“. Der gelernte Journalist ist jedoch kein Freund von Schubladen, sieht sich in manchen Themen eher als in der Wolle gefärbten Liberalen, dem vor allem die Unantastbarkeit der freien Meinungsäußerung und ein Zurückdrängen des Staates aus dem Alltag der Deutschen am Herzen liegt. Kelle absolvierte seine Ausbildung zum Redakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld. Seine inzwischen 30-jährige Karriere führte ihn zu Stationen wie den Medienhäusern Gruner & Jahr, Holtzbrinck, Schibsted (Norwegen) und Axel Springer. Seit 2007 arbeitet er als Medienunternehmer und Publizist und schreibt Beiträge für viel gelesene Zeitungen und Internet-Blogs. Dieser Beitrag ist zuerst auf seinem Portal the-germanz.de erschienen.
Bild: Kittyfly / Shutterstock.com
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