Je weniger Sicherheit ein Staat bietet, desto wichtiger wird deren Inszenierung: Wie Donald Trumps Stil auch in Deutschland Schule macht


Der US-Präsident ist ein Meister der sinnlichen Dramaturgie von Zwangsmaßnahmen

Collage: der Freitag; Material: iStock/Getty Images


Amerika exportiert derzeit einen Politikstil, der auf strategisch dramatisierte Abschottung setzt, um Handlungsfähigkeit zu simulieren. Kaum überraschend – Donald Trump war schon immer ein Mann der großen Gesten. Nach dem Attentatsversuch im Wahlkampf inszenierte er sich mit erhobener Faust und dem Ruf „Fight“ als politischer Märtyrer. In einer mediatisierten Öffentlichkeit beherrscht er die politische Performativität wie kein Zweiter. Wenn er von schönen Grenzmauern spricht, Polizeikräfte martialisch mobilisiert und ganze Meere umbenennt, projiziert er ein Bild souveräner Kontrolle. In dieser Logik ist auch seine Migrationspolitik kein administratives Programm, sondern autoritäre Selbstbestätigung.

Seit Januar verfolg

t auch seine Migrationspolitik kein administratives Programm, sondern autoritäre Selbstbestätigung.Seit Januar verfolgt die amerikanische Öffentlichkeit mit Entsetzen die eskalierende Brutalität der Abschiebepolitik – nicht zuletzt, weil sich die Maßnahmen der Einwanderungsbehörde ICE gegen besonders vulnerable Gruppen richten. Unter den prominent diskutierten Fällen ist Kilmar Abrego Garcia, ein dreifacher Familienvater und Blechschlosser aus Maryland, der im März rechtswidrig nach El Salvador abgeschoben wurde. Für Fassungslosigkeit sorgte auch die Abschiebung dreier minderjähriger US-Staatsbürger:innen im April – darunter ein krebskrankes vierjähriges Kind –, die zusammen mit ihren Müttern nach Honduras ausgeflogen wurden. Ebenso spurlos verschwanden mehrere Studierende, die an pro-palästinensischen Protesten auf Universitätsgeländen teilgenommen hatten.GrenzkontrollenAuch in Deutschland gewinnen Strategien an Boden, die der rechtspopulistische US-Präsident perfektioniert hat: etwa wenn die Landung afghanischer Geflüchteter an deutschen Flughäfen live skandalisiert wird und Jens Spahn sie als „AfD-Unterstützungsprogramm“ diffamiert, als sei ihre Ankunft ein Angriff gegen die Demokratie. Kaum im Amt, hat die neue Bundesregierung verschärfte Grenzkontrollen beschlossen, die Grenzpolizei aufgestockt und angekündigt, künftig auch Asylsuchende an der Grenze abzuweisen – europarechtlich fragwürdig, affektpolitisch maximal aufgeladen. Und die geplante Ausweisung von vier pro-palästinensischen Aktivist:innen wirkt wie ein hochwirksamer Versuch, legitimen Protest präventiv zu neutralisieren.Eine flächendeckende Kontrolle aller deutschen Grenzübergänge ist ohnehin illusorisch: praktisch und rechtlich unmöglich, ökonomisch absurd. Die politische Kommunikation operiert offenbar in einer Parallelwelt, in der sich deutsche Bürger:innen als Schutzsuchende fühlen, als würden sie selbst aus dem unsicheren Herkunftsland Deutschland fliehen wollen. Daraus entsteht ein beinahe körperlicher Drang zur Einmauerung: durch Asylrechtsverschärfungen, die Aushöhlung sozialer Leistungen für Asylsuchende im Vergleich zu Bürgergeldempfänger:innen (Stichwort: Wohlfahrtschauvinismus), durch eine Sprache, die Zugewanderte zu Belastungen deklariert und Rückführungen zu Erlösungsakten verklärt. Inmitten dieser Sicherheitsarchitektur wähnt sich die deutsche Seele ihrer globalen und historischen Verantwortung endgültig entledigt. Was diese Mischung aus Alarmismus und ausgleichender Härteinszenierung anrichtet, zeigt ein Blick in die USA: Was mit Mauern begann, wird zur autoritären Verwaltung des eigenen Niedergangs.Eine Ära der ÜberforderungDie Exzesse der Migrationspolitik lassen sich besser verstehen, wenn man die – reale wie gefühlte – Erosion existenzieller Sicherheit in jenen Ländern in den Blick nimmt, die für viele als Zufluchtsorte attraktiv sind. Deutschland gehört, als wirtschaftsstärkste Nation Europas, nach wie vor dazu – auch wenn Kaufkraft schwindet, Ersparnisse von der Inflation aufgezehrt werden und Wohlstand zunehmend fragil erscheint. In dieser Ära der Überforderung und scheinbaren Belagerung durch Fluchtmigration wird Abschiebung zur therapeutischen Entrümpelung einer Gesellschaft, die nur dann akzeptiert, dass es weniger für alle gibt, wenn dieses Weniger exklusiv unter ihresgleichen verteilt wird. Rückführungen „im großen Stil“ lösen keine strukturellen Probleme, weder auf dem Arbeits- noch auf dem Wohnungsmarkt. Aber sie erzeugen ein machtästhetisches Schauspiel, das als Ersatzhandlung für vernachlässigte Sozialpolitik herhalten muss.Ein groteskes Beispiel dieser kompensatorischen Wohlfühlpolitik lieferte das Weiße Haus im Februar. Unter dem Titel „ASMR: Illegal Alien Deportation Flight“ veröffentlichte es ein Video, das gefesselte Männer beim Besteigen eines Abschiebeflugzeugs zeigt – Nahaufnahmen von Ketten; das Klirren von Handschellen als sedierende Klangkulisse. Im Bild: kontrollierte Körper, in den Kommentaren darunter: Jubel, Likes, Genugtuung. Der Begriff ASMR, ursprünglich aus der Welt beruhigender Youtube-Videos, erfährt hier eine zynische Umcodierung – und macht deutlich, dass die sinnliche Dramaturgie der Zwangsmaßnahmen jene besänftigen soll, die den sozialen Absturz spüren und im Ausschluss anderer Halt suchen.In einer digitalen Kultur der Stressreduktion und Mikrogesten der Kontrolle wirkt das Video wie ein ritualisiertes Zurechtrücken einer Welt, die für viele aus den Fugen geraten ist. Die politische Metapher des „Ent-Sorgens“ fügt sich reibungslos in die neoliberale Grammatik der Selbstoptimierung ein. Bestsellerautorin Mel Robbins bringt es auf den Punkt: „Wenn du Schwierigkeiten hast, dein Leben zu verbessern oder deine Ziele zu erreichen, bist nicht du das Problem, es sind die anderen.“ Das Gebot lautet: Trenne dich. Löse dich. Entziehe den anderen jede Bedeutung. Streich sie aus deiner Welt. Die „Anderen“ – hier: Asylsuchende, Menschen ohne Pass – werden stellvertretend sanktioniert für eine Desorientierung, die sich politisch nicht eingestehen lässt. Aus menschlichem Unrecht wird private Katharsis – choreografiert vom Weißen Haus als Befreiungsakt im Flüstern der Ketten.Kalkuierte HärteAuch in Deutschland zählen bei Deportationen oder der Aussetzung des Familiennachzugs weniger echte Sicherheitsbedenken als das Signal, dass der Staat – Schaden vom deutschen Volk abwendend – durchgreift. Während die AfD mit dem Schlagwort „Remigration“ offene Vertreibungsfantasien legitimieren will, verschiebt sich die Rhetorik der Mitte schleichend: von humanitärem Schutz zur kalkulierten Härte. Um die Nerven, nicht die Lage, zu beruhigen, streuen maximal inszenierte Abwehrgesten homöopathische Kügelchen ins limbische System einer Gesellschaft, deren Grundvertrauen längst erodiert ist.Um die Diagnose dieses Vertrauensschwunds hat sich eine florierende soziologische Deutungsindustrie herausgebildet. Das Verständnis des Soziologen Oliver Nachtwey von der „Abstiegsgesellschaft“ verdeutlicht, wie das Fortschrittsversprechen der Moderne in ein strukturelles Gefühl kollektiven Rückschritts kippt. Ökonomisch unterfütterte Statusängste verbinden sich, wie Andreas Reckwitz darlegt, in der „Verlustgesellschaft“ auch mit symbolischen Verunsicherungen. Wenn ehemals stabile Lebensentwürfe brüchig werden, gewinnen Deklassierung, Entfremdung und Bedeutungsleere an affektiver Wucht. In diesem angstgesättigten Klima bewahren Abschiebungen nicht vor dem Abstieg, aber sie inszenieren ihn – für andere. Wer abgeschoben wird, stürzt sichtbar ab, während man selbst zumindest nominell noch dazugehört. Je markanter die Fallhöhe zwischen den Hoffnungen der Schutzsuchenden und ihrer Enttäuschung durch den Staat, desto gefestigter das Selbstbild der Privilegierten.Dass Verlusterfahrungen nicht mehr konstruktiv aufgearbeitet, sondern externalisiert werden, zeigt sich auch in der Tendenz der Medien, kollektive Ängste zu Migrationsbedrohungen umzudeuten. Die ARD-Sendung Klar erlag im April dieser Versuchung: Moderatorin Julia Ruhs interviewte Angehörige von Opfern, die von Asylbewerbern getötet oder verletzt wurden. Nicht das Behördenversagen stand im Fokus, sondern ein verschwommenes Narrativ vom gescheiterten Asylsystem, das Härte als einzig logische Konsequenz erscheinen ließ. In den abendlichen Talkshows verengt sich mitunter die Debatte über kriminelle Asylsuchende auffallend häufig auf Sexualdelikte. Angetrieben wird sie auch durch das Buch des Bundespolizisten Jan Solwyn, der das Reizschema „ausländische Vergewaltiger“ bedient. Wieder steht die Frage im Raum, ob „solche Männer“ in Deutschland überhaupt noch geduldet werden dürfen. Die Rhetorik erinnert einmal mehr an Donald Trump, der sich mit der Warnung vor einer „Invasion mexikanischer Vergewaltiger“ als paternalistischer Frauenbeschützer stilisiert.Mentalhygienische AbführungDie gefühlspolitische Argumentation irritiert – und verweist auf die emotionale Ökonomie des Nationalstaats. Die Kulturwissenschaftlerin Sara Ahmed betont, dass Gefühle nicht im Innern des Einzelnen entstehen; erst in Beziehungen und Begegnungen nehmen sie Gestalt an. Daran wird sichtbar, wie eng die Konstruktion von Sicherheit an eine Grenzziehung gekoppelt ist. Nicht soziale Investitionen – etwa durch breiter gestützte Rentenbeiträge – lassen Bürger:innen aufatmen, sondern die mentalhygienische Abführung von Nicht-Bürger:innen, denen unterstellt wird, sich unrechtmäßig in der weichen sozialen Hängematte eingerichtet zu haben (so weich ist sie ja nicht mehr). Emotionen, schreibt Ahmed, haften an Körpern. Und Härte an der Grenze ist der Kitt, der in Zeiten affektiver Turbulenz die Haut der Nation zusammenhält und nach außen versiegelt.Eine Ordnungspolitik, die der Mehrheitsbevölkerung ein falsches Schutzgefühl vorspielt, lindert kurzfristig das diffuse Bedürfnis nach Kontrolle und Unversehrtheit. Wird ein faktischer oder mutmaßlicher Straftäter abgeschoben, dann feiert ein verunsichertes Publikum einen emotionalen Sieg. Wenn Jens Spahn von umkehrenden Flugzeugen spricht, klingt das wie ein migrationspolitischer Iron Dome: nichts dringt durch, alles Fremde wird abgewehrt. Die Sehnsucht nach einer glatten Hülle über den Rissen der sozialen Wirklichkeit ist verständlich, aber der Schutz bleibt trügerisch – während die Jahre vergehen, in denen wir tragfähige soziale Infrastrukturen hätten aufbauen können.Die Kritik an der repressiven Migrationspolitik darf sich nicht im Legalistischen erschöpfen. Entscheidend ist, ihre affektive Dramaturgie zu durchbrechen – und zwar als mündige Subjekte, die sich nicht mit tröstenden Streicheleinheiten abspeisen lassen. Was wir brauchen, ist eine Vision von Sicherheit, die solidarisch, offen und inklusiv ist. Was wir bekommen, sind Scheinlösungen, die eine fragile Ordnung künstlich stabilisieren. Solange staatlich normalisierte Exklusion als Beruhigungsmittel der Verlustgesellschaft missbraucht wird, bleibt die Angst ungebrochen.Georgiana Banita ist Privatdozentin für Nordamerikanische Literatur und Kultur an der Trimberg Research Academy der Universität Bamberg



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Von Veritatis

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