Beatriz Serranos Romandebüt „Geht so“ traf in ihrer Heimat Spanien einen Nerv: Die Protagonistin arbeitet hoch bezahlt und sinnentleert für eine Werbeagentur – einsam leidet sie unter der Unfähigkeit, aus diesem Leben auszubrechen


Beatriz Serrano geht zum ersten Mal in ihrem Berufsleben ohne Geldsorgen ins Bett

Foto: Andrea Casino


Beatriz Serrano schreibt seit Jahren im führenden spanischen Printmedium El Pais über Themen, die ihr nahestehen: die Filmbranche, das spanische Unwetter Dana, das ihre Heimatstadt Valencia verwüstete, und über einen traumatischen Arbeitsalltag. Serranos erster Roman Geht so fand in Spanien vor allem bei einer Generation Anklang, die in gut bezahlten Bullshit-Jobs ihre Lebenszeit absitzt.

der Freitag: Frau Serrano, wie steht es aus Ihrer Sicht um die sogenannte Zukunft der Arbeit?

Beatriz Serrano: Wir versuchen, in Europa die neoliberale Arbeitskultur der US-Amerikaner mitsamt dem vermeintlichen „Purpose“, also einer Identität durch Arbeit, in Windeseile zu übernehmen. Dadurch sind die Grenzen zwischen Beschäftigung und Privatleben komplett vers

e zu übernehmen. Dadurch sind die Grenzen zwischen Beschäftigung und Privatleben komplett verschwommen. Das Kollegium soll als Familie gelten, die Die Zukunft der Arbeit sollte sich, zumindest in Spanien, aber eher um die Höhe der Gehälter drehen, damit man die Miete und sonstige Lebenskosten überhaupt noch zahlen kann. Heutzutage müssen viele Menschen zwei oder mehr Jobs nachgehen, um über die Runden zu kommen. Das ist kein Purpose, sondern eine Verurteilung. Das Streben nach Wohlstand, dem wir seit Ende der Franco-Zeit sehr nahe gekommen sind, wird dadurch mit Füßen getreten.Marisa, die Protagonistin Ihres Romans, verdient als Kreative in einer Madrider Marketingagentur ganz gut. Warum ist sie trotzdem unzufrieden?Ich habe die Geschichte bewusst nicht im Prekariat angesiedelt, weil ich keine soziale Diskussion entfachen, sondern eher auf ein moralisches Prekariat hindeuten wollte. Marisa ist unglücklich, weil sie zugelassen hat, dass die Arbeit, die ihr Leben ausfüllen sollte, sie stattdessen von innen aushöhlt. Gleichzeitig erlaubt ihre Mittelklasse-Mentalität es ihr nicht, aus dieser misslichen Lage auszubrechen. Stattdessen setzt sie sich unter Antidepressiva und Beruhigungsmittel und kauft in der Gourmet-Ecke des Carrefour ein, um ihre existenzielle Kapitulation zu verdrängen.Die Werbebranche, die Sie im Buch beschreiben, scheint besonders feindselig zu sein. Wie ist die Arbeitswelt an einen Punkt gelangt, in dem man sich mit Medikamenten und Verzweiflung einem Überlebenskampf stellen muss?Wir haben uns an ein hohes Maß tagtäglicher Mikroaggressionen gewöhnt, die sich gelegentlich in handfeste Gewalt verwandeln, und zwar auf allen Seiten. Es gibt virale Videos von Mitarbeitern, denen gekündigt wird oder die im Lotto gewinnen und sich dann am Arbeitgeber rächen, indem sie die Autoreifen des Chefs zerstechen oder auf den Schreibtisch kacken. Das Kastensystem der Arbeit teilt den Wert von Menschen gemäß ihrer Aufgabe ein und institutionalisiert dadurch nicht nur den Zwang, einen miesen Job aus finanziellen Gründen behalten zu müssen, sondern legitimiert auch schlechtes Benehmen und systematische Unterdrückung. Im Privatleben haben wir in den letzten Jahren gelernt, besser Grenzen zu setzen und Me-Time einzufordern. Auf der Arbeit traut sich das keiner. Im Umkehrschluss ist es dann besonders fatal, wenn eine positive Unternehmenskultur propagiert wird, die mit dem Alltag im Betrieb nichts gemein hat und mit der man sich dann auch noch bedingungslos identifizieren soll. Das kann nur zu Verstörung und Unzufriedenheit führen.Zahlreiche Arbeitgeber scheinen sich heutzutage zumindest mehr für betriebliches Gesundheitsmanagement einzusetzen.Mir erscheint der größere Fokus vieler Arbeitgeber vor allem auf das Thema geistige Gesundheit als „Healthwashing“. Die Umfragen, die unter Arbeitnehmern zur Zufriedenheit am Arbeitsplatz durchgeführt werden, ergeben immer wieder klar, dass die Befragten mit der Vergütung und den Arbeitsbedingungen unzufrieden sind. Darauf wird dann von den Betrieben mit Pilates-Angebot in der Mittagspause oder Schultermassagen an der Tastatur reagiert, nicht mit Gehaltserhöhungen oder Flexibilisierung der Arbeitszeit. Aus meiner Sicht ist dieser Trend, insgesamt mehr über Gesundheit zu reden, dem Kommerzialisierungserfolg zuzuschreiben, dem Pathologisierung innewohnt. Therapien und Selbsthilfebücher sind eine lukrative Einnahmequelle, auch wenn sie oft zu nichts führen oder lachhafte Tipps geben. Vor einigen Jahren haben wir auf Geheiß von Gesundheitsratgebern alle toxischen Personen aus unserem unglücklichen Leben vertrieben. Jetzt sind wir allein und müssen, wie es in einem spanischen Selbsthilfebuch heißt, das gerade durch die Decke geht, unsere Vitamin-Buddies finden, also Personen, die unsere Traumata heilen sollen. Unzufriedene Menschen sind eben eine langfristige Geldanlage.Wie kann es dann gelingen, mehr Purpose in die Arbeit zu bringen?Der Fehler liegt meiner Meinung nach darin, der Arbeit überhaupt einen tieferen Lebenssinn verleihen zu wollen. Wir arbeiten, weil wir Geld verdienen müssen. Ich war lange Jahre als Journalistin tätig. Das hat mir gut gefallen, weil ich von Natur aus neugierig bin und gern Fragen stelle, aber die Bedingungen waren meistens suboptimal. Warum suchen wir unsere Identität durch Arbeit und nicht außerhalb? Dann würden wir auch dem Geniestreich des modernen Kapitalismus einen Riegel vorschieben, nämlich dass wir uns heutzutage selbst auf Arbeit ausbeuten, weil wir es ja aus Überzeugung tun und es für den Purpose völlig okay ist, permanent über die Grenzen zu gehen. Ich habe nachts Artikel getippt, für die ich 30 Euro bezahlt bekommen habe, weil ich dachte, das gehört zu mir. Wir müssen dieses innige Band zwischen Selbstwahrnehmung und unzumutbaren Arbeitsbedingungen kappen. Ich arbeite, weil ich Geld verdiene, und wenn ich zu wenig Geld bekomme, dann gehe ich woanders hin.Sie sind nun Schriftstellerin. Wie sieht da die Verbindung zwischen Arbeit und Selbstbestimmung aus?Diese Frage beschäftigt mich sehr, weil Schreiben bisher meine private Leidenschaft war, der ich außerhalb der Arbeitszeit nachgegangen bin. Jetzt verdiene ich damit Geld, und zwar so viel, dass ich meinen Brotjob aufgegeben habe und zum ersten Mal in meinem Berufsleben nicht mit dem Gedanken ins Bett gehe, wie ich über die Runden kommen soll. Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich das Schreiben tatsächlich als meine Arbeit bezeichnen sollte.Sie standen vergangenes Jahr auf der Shortlist des weltweit höchstdotierten Literaturpreises, des Premio Planeta. Wie viele Hinweise benötigen Sie noch?Ich vermute, ich habe Angst, dass ich das Schreiben hassen werde, wenn ich es als meinen Job ansehe. Auf der anderen Seite ist die Sicherheit, die ich jetzt verspüre, schon großartig. Ambivalent, ich weiß.Noch mal zum Buch: Die Handlung spielt in Madrid. Welche Rolle spielt die Stadt?Aus meiner Sicht stehen die unerträglichen Sommertemperaturen Madrids für das Angstgefühl, das die Handlung begleitet. Die Hitze dominiert im August Zeit und Raum. Die Straßen dampfen, die Hauswände speichern die Wärme. Selbst nachts ist es schwer, ohne die künstliche Luft der Klimaanlage zu schlafen. Mit der Gradzahl steigt auch die Gewaltbereitschaft. Im Sommer ist die Kriminalitätsrate in der Stadt höher als im Winter. Außerdem steht Madrid zusammen mit anderen Großstädten wie Berlin oder London für die Diskrepanz zwischen alter Kulturnostalgie, etwa dem Bierchentrinken und Tapasessen auf sonnigen Terrassen, und der Tatsache, dass die Innenstädte zunehmend als Investitionsmasse und Touristenunterbringung dienen, während Einheimische sich immer weniger leisten können.Marisa wirkt nicht nur ängstlich und unzufrieden, sondern auch desorientiert, als hätte sie sich nie selbst gefunden. Ist das auch ein zunehmendes Problem unserer Zeit?Das scheint mir eine weitere Facette derselben Nostalgie, dass früher alles einfacher und klarer war. Hatte meine Oma mehr Verortung als wir heute oder hat sie sich von den Umständen des Bürgerkriegs und der Zeit danach treiben lassen? Schwer zu beantworten. Was heute anders ist, scheint mir eher die wahrgenommene Freiheit zu sein, die sich in endlosen Wahlmöglichkeiten manifestieren soll. Mir geht es vermutlich besser als meiner Oma und meiner Mutter im Bezug auf Selbstverwirklichung. Ich bin aber gefangen in einem Danton’schen Kreis der Hölle, weil ich auf Tinder denke, es kommt ein noch heißerer Typ, und am Ende allein dastehe, oder bei Netflix genervt ausschalte, weil ich mich für keinen Film entscheiden kann. Wir haben nicht genug Leben, um Optionen auszuprobieren, die sich gegenseitig ausschließen, und eine finale Auswahl zu treffen, scheint kein erstrebenswertes Ziel mehr zu sein.Beatriz Serrano, geboren 1989, studierte Journalismus in Madrid und schrieb für Medien wie Vanity Fair oder Vogue und für El País. Serranos Roman Geht so in der Übersetzung von Christiane Quandt ist im Eichborn Verlag (240 S., 22 Euro) erschienen



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Von Veritatis

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