Sammlungsbewegung aller anderen gegen die AfD? Das ist der richtige und dringend notwendige Umgang mit dieser Partei. Eine Replik auf Wolfgang Michal


Wie viele CSU-Wählerinnen wohl Anfang Februar unter den 250.000 Menschen auf der Theresienwiese in München waren?

Foto: Enno Kapitza/Agentur Focus


Kritik am Engagement gegen die AfD kann man auch so äußern: Nicht etwa eine Schlagseite der sogenannten Mitte spielt dem rechten Lager in die Karten. Sondern der nervige „Alarm-Antifaschismus“ von „besorgten Demokraten“, der verlässlich aufleuchtet, wo jemand durch Bollwerke gegen rechts bricht. „Inflationär“ kämen Rassismusvorwürfe daher und Mahnungen, man stünde knapp vor einer neuen Machtübernahme durch Nazis, es sei kurz vor 1933. Die Durchführung von Grenzkontrollen, die Überprüfung von Bürgergeldempfängern, das Pochen auf Verhandlungen mit Putin – alles „faschistisch“. Null Bock auf „Differenzierung“. Das verschrecke das Volk. Allen voran Bürger, die

die einem „Daueralarm“ misstrauen und ihn für übertrieben halten.So formulierte es Wolfgang Michal im Freitag vom 15. Mai. Vielleicht braucht es seine Verve, damit wir uns mal wieder vergewissern, wo wir politisch stehen. Dort nämlich, wo vieles von dem, was da am Pranger steht, ja nicht zur Agenda einer Mitte, schon gar nicht zur Agenda der AfD gehört, an der sich „Differenzierung“ üben ließe. Ob Migration oder Aufrüstung: die politische Mitte lässt sich von Angst treiben, auch von der Angst vor Machtverlust, und nicht von einer realistischen Bewertung herrschender Zustände. Asylpolitik, sozialpolitischer Ausverkauf, Kriegstüchtigkeit: Angst schüren und mit Ängsten Politik machen erscheint wie ein Bindemittel zwischen dem Mitte-Lager und der AfD.Plumper PopulismusWer Differenzierung einfordert, muss auch darauf pochen, dass Politik differenziert. Was wir erleben, ist jedoch, dass der plumpe Populismus der AfD kopiert wird (Migrationskurs). Oder dass die AfD indirekt gepudert wird, indem man das Land weiter einem Bankrott zutreibt. Indem plötzlich Milliarden für Rüstung da sind, die den Sozialkassen fehlen. Indem die Klimapolitik hinter Wahrheiten zurückfällt, als hätten die Klimawandel-Leugner der Rechten das Ruder übernommen. Indem dem Bruch von Menschen- und Völkerrecht zugesehen wird, als wäre dies kein gutes Signal für Lebensfeinde – oder Faschisten (!). Mal schleimt man sich an die Rechte ran, mal gibt man ihr Futter für ihre bloß schwach camouflierten extremistischen Visionen.Mag sein, dass unter den Millionen AfD-Wähler:innen im Februar nicht wenige Opfer einer verfehlten Politik der Mitte waren. Die glauben, dass – wie es Michal formuliert – „jene, die bewusst von der Macht ferngehalten werden, ihre Probleme lösen“ können, wenn sie in der Regierungsverantwortung wären. Auch wenn „die AfD dafür völlig ungeeignet ist“. Gerade aus diesem Grund, so Michal, seien die Mitte-Parteien „gut beraten“, sich auf „die eigene Politik“ zu konzentrieren. Sorry, was wir erleben, ist deren eigene Politik. Die gibt nicht nur Anlass, den „Alarm-Antifaschismus“ auf die Straßen zu tragen. Sondern der vermeintlichen Mitte mit lauter Stimme klarzumachen, dass ihr Kurs Kräfte bedient, vor denen sie anderweitig warnt.Es genügt freilich nicht, Alarm zu schlagen und zu mahnen, dass die AfD weiter Anhänger und Wahlstimmen für sich gewinnen kann, wenn einerseits die etablierten Parteien ihre Politik nicht schleunigst auf ein anderes Gleis setzen. Und wenn andererseits Demonstrationen gegen eine Politik wie die von Kanzler Friedrich Merz (CDU) Hunderttausende auf die Straße treibt – die sich dann aber wieder verkriechen. Nicht weil sie ihre Haltung geändert hätten. Sondern weil ihnen ein Dach fehlt, unter dem sie ihren Protest in dauerhaftes Engagement verstetigen können. Nötig ist eine Kraft, die die rechtsdrehende Mitte wieder in die Mitte bewegt und die auf der Erfolgsspur fahrende Partei Die Linke in den Parlamenten weiter stärkt, um dort mehr Druck zu entfalten.Dagegen-Sein als GrundlageWomit ich beim „Volksfront“-Gedanken bin, den Michal vom Thinktank Institut Solidarische Moderne (ISM) aufgreift, um die Idee einer „antifaschistischen Sammlungsbewegung“, die dort diskutiert wird, zu diskreditieren; einer Bewegung notabene, in der viele gesellschaftliche Kräfte bis hin zu Christdemokraten und Liberalen Platz finden könnten.Dabei kommt er nicht ohne Seitenhieb auf eine nach Reputation und Regierungsbeteiligung schielende Linke aus. Vor allem aber wirft er den Blick auf die Geschichte der historischen Volksfrontpolitik, die in den 1930er-Jahren „letztlich erfolglos“ geblieben und erst jüngst in Frankreich wieder gescheitert sei. Wie solle da „ein noch vielschichtigeres Bündnis“ funktionieren, wie es Linken vorschwebt?Zunächst zur Volksfrontpolitik der 1930er-Jahre. Sie ist nicht „erfolglos“ gewesen, wie suggeriert wird, vielmehr ist sie gescheitert, weil sie vor der Machtergreifung der Nazis erst gar nicht ernsthaft in Angriff genommen wurde. Die Komintern versteifte sich auf die Diskreditierung von Sozialdemokraten und Linksbürgerlichen, statt ihnen konstruktive Bündnisangebote zu machen. Die Bekämpfung des Nazi-Lagers als hauptsächlichem Gegner ließ sie schleifen. Als man sich, unter anderem unter dem Einfluss der französischen Kommunisten, anders besann, war das Nazi-„Unglück“ längst geschehen. Daraus lässt sich lernen. Wie auch aus dem „Schicksal“ des Linksbündnisses NFP in Frankreich, das 2024 Wahlerfolge feierte, die Rechte eindämmen konnte, dann aber an innerem politischen Streit zerbrach.Klare Kante gegen rechtsWer den historischen Volksfrontgedanken so nonchalant erledigt, gibt Chancen verloren, bevor ihre Vergeblichkeit bewiesen wäre. Mit dem Etikett „Alarm-Antifaschismus“ werden Bündnisperspektiven beargwöhnt. Wird sich aber nicht zugleich am Etikett gerieben? Etwa dem, überall „faschistisch“ zu kleben, wo Regierungspolitik verdächtig erscheint? Wie auch immer, es geht abseits von Etiketten allemal „ums große Ganze“, um „die Rettung der Demokratie“ (Michal-Zitate). Da wäre es doch gut, Mitte-Parteien und die Regierungskoalition durch „Alarm-Antifaschismus“ in „Spielräume“ zu manövrieren, die dringende Kurskorrekturen bewirken.Michal empfiehlt, sich mit seiner politischen Energie nicht zu sehr an der Frage abzuarbeiten, wo und wie die AfD in der einen oder anderen Frage stehen möge, aber er klammert sich an deren Spiegelbild. Wer Bündnisse gegen die AfD ins Auge fasst, bis in die Regierung hinein, denke nicht zu Ende, so der Befund. Weil die AfD kritisieren werde, „dass ein an der Macht klebendes Parteien-Kartell die Neuausrichtung der Politik und damit die Lösung der drängenden Probleme mit allen Mitteln zu verhindern sucht“. Ja, was denn nun? Entweder es wird Politik ohne AfD-Abgleich gemacht. Oder wir zeigen klare Kante gegen rechts und zugleich, dass ein Antifa-Bündnis auch andere politische Probleme lösen kann.Die „permanente Fixierung“ einer möglichen „antifaschistischen Parteien-Allianz“ auf die Abwehr der AfD würde deren „Aufwertung zur einzigen Alternative geradezu herbeireden“, schreibt Michal. Man hört das öfter, aber ist dieses Argument nicht gleichfalls populistisch? Es bedarf ja gar nicht der Fixierung, sondern einfach einer klaren Kante. Das würde selbst wiederum mobilisieren, nicht für die AfD, sondern gegen. Wünschenswert, dass eine solche Allianz zustande käme, wäre es auch wegen der vielen Menschen, die eine Perspektive suchen, sie von der Linkspartei erhoffen oder in etablierten Parteien keine Heimat mehr haben. Selbst wenn es erst mal „nur“ gegen die AfD ginge, wäre das eine gute Grundlage für eine weitere Politik links der mittlerweile arg verrutschten Mitte. Der „Alarm-Antifaschismus“ besorgter Demokraten ist, trotz der Unkenrufe, dafür ein ausgesprochen tragfähiges Fundament.Ich werde das Gefühl nicht los, dass das Erstarken der AfD bei manchen Beobachtern zu einer unguten Mischung aus Ratlosigkeit und Ratschlagsflut führt. Damit machen sie zwischen sich und der derzeitigen Regierungspolitik keinen Unterschied. Was mit dem Ruf nach Differenzierung offenbar wird, ist Hilflosigkeit darüber, wie man der AfD und den Krisen in der Politik nachhaltig begegnen könnte. Die Worte Differenzierung und Komplexität scheinen mir immer dann bemüht zu werden, wenn einem die Sicherheit eigener Standpunkte flöten zu gehen droht. „Alarm-Antifaschisten“ haben da keine Probleme. Und insofern Zeit, sich weiterhin entschieden Bündnis-Ideen zu widmen. Sie lassen Zweifel zu, wenn sie überzeugend sind – und die AfD nicht aus den Augen verlieren.Andreas Mijic ist Mitglied im Institut Solidarische Moderne, das am 6. Juni mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung zur Lecture „Gesellschaftliche Volksfront von Unten?“ mit Étienne Balibar in Berlin wie online einlädt



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Von Veritatis

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