Ein globales Aufrüsten stellt eine existenzielle Bedrohung der Klimaziele dar, warnen Wissenschaftler. Nach ihren Erhebungen werden allein die Pläne der Nato den Ausstoß an Treibhausgasen um fast 200 Millionen Tonnen jährlich erhöhen – so viel wie Spanien produziert. Nie seit dem Zweiten Weltkrieg waren so viele Staaten in bewaffnete Konflikte verwickelt wie derzeit, viele Länder haben ihre Militärausgaben massiv erhöht. Im Jahr 2023 erreichte die Gesamtsumme ein Rekordniveau von insgesamt 2,46 Billionen US-Dollar (2,15 Billionen Euro).
Jeder Dollar, der in neue Waffen investiert wird, verursacht aber nicht nur weitere Treibhausgase, sondern reduziert auch das Geld, das potenziell in den Klimaschutz investiert werden könnte, so die Kritiker. Ganz zu schweigen von den vielen Todesopfern, die bewaffnete Konflikte fordern. „Wir sind wirklich besorgt über die Art und Weise, wie wir der kurzfristigen Sicherheit den Vorrang geben und die langfristige Sicherheit opfern“, erklärte Ellie Kinney, Forscherin beim „Conflict and Environment Observatory“ und Mitautorin der Studie, die dem Guardian exklusiv vorliegt. „Wegen dieses unzureichend informierten Ansatzes investieren wir jetzt in harte militärische Sicherheit, erhöhen dadurch die globalen Emissionen und verschlimmern so die Klimakrise weiter.“
Das wiederum wird wahrscheinlich zu weiterer Gewalt führen, denn der Klimawandel selbst wird zunehmend als Konflikttreiber betrachtet, wenn auch indirekt. In der sudanesischen Region Darfur stand der Konflikt im Zusammenhang mit dem Wettbewerb um knappe Ressourcen nach langen Dürreperioden und Wüstenbildung. Und in der Arktis führt der Rückgang des Meereises zu Spannungen darüber, wer die Kontrolle über die neu zugänglichen Öl-, Gas- und wichtigen Bodenschätze haben soll.
30 Prozent mehr fürs Militär in der EU
Wenige Militärs machen öffentlich, wie viel fossilen Brennstoff sie verbrauchen. Aber die Wissenschaft schätzt, dass die Armeen dieser Welt zusammen für 5,5 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich sind. Dabei wird erwartet, dass diese Zahl noch steigt, da die Spannungen in mehreren Regionen eskalieren, und die USA, die jahrzehntelang weltweit die höchsten Militärausgaben finanzierten, jetzt von ihren Nato-Verbündeten erwarten, dass sie deutlich mehr Geld für ihre Streitkräfte bereitstellen.
Laut dem Global Peace Index hat die Militarisierung im Jahr 2023 in 108 Ländern zugenommen. 92 Länder sind in bewaffnete Konflikte verwickelt, von der Ukraine und dem Gazastreifen bis hin zum Südsudan und der Demokratischen Republik Kongo. Die Spannungen zwischen China und den USA wegen Taiwan und der eingefrorene Konflikt zwischen Indien und Pakistan flammen erneut auf. Daher investieren viele Regierungen, die einen Krieg befürchten, massiv in ihr Militär: Laut Untersuchungen des „International Institute for Strategic Studies“ stiegen die Militärausgaben der EU-Staaten zwischen 2021 und 2024 um mehr als 30 Prozent. Und dabei soll es nicht bleiben: Verunsichert durch Donald Trumps Kürzung der Militärhilfe und der diplomatischen Unterstützung für die Ukraine, hob die EU ihr Programm „ReArm Europe“ – zu deutsch: „Europa WiederBewaffnen“ – aus der Taufe, mit weiteren Ausgaben in Höhe von 800 Milliarden Euro.
In einer Analyse für das UN-Büro für Abrüstungsfragen untersuchten Kinney und ihre Kollegen die möglichen Auswirkungen einer verstärkten Militarisierung auf die Erreichung der Klimaziele. Das Ergebnis ist ernüchternd: Allein der wahrscheinliche Anstieg der Emissionen durch die Remilitarisierung der Nato entspräche der Treibhausgasproduktion eines Landes, das so groß und bevölkerungsreich ist wie Pakistan mit seinen fast 250 Millionen Menschen. „Unsere Analyse betrachtet insbesondere die Auswirkung auf das Nachhaltige Entwicklungsziel Nummer 13 der UNO, bei dem es um Klimaschutz geht, also dringende Schritte zur Bekämpfung der Klimakrise“, erklärte Kinney. „Betrachtet man die verschiedenen Unterziele dieses Ziels, zeigt die Analyse eine echte Bedrohung für den globalen Klimaschutz, die durch den weltweiten Anstieg der Militärausgaben verursacht wird.“
Armeen sind besonders Kohlenstoff-intensiv. „Zunächst einmal ist da die ganze Ausrüstung, die vor allem viel Stahl und Aluminium braucht, deren Herstellung sehr viele Treibhausgase verursacht“, erklärt Lennard de Klerk von der „Initiative on the GHG Accounting of War“, ein weiterer Mitautor der Studie. „Dazu kommt der Ausstoß während der Einsätze. Armeen sind sehr mobil. Um sich fortzubewegen, benutzen sie fossile Treibstoffe – Diesel für die Bodenoperationen, Kerosin für die Lufteinsätze und für die Marine-Einsätze auch hauptsächlich Diesel, wenn es keinen Nuklearantrieb gibt.“
Geld zur Klimafinanzierung fehlt
Angesichts der Geheimhaltung, die Militärs und ihre Operationen in der Regel umgibt, haben sich die Forscher für ihre Arbeit auf die Nato-Länder konzentriert, denn lediglich diese melden Zahlen zu ihren Emissionen, mit denen Wissenschaftler arbeiten können. „Wir haben die Nato gewählt, weil sie in Sachen Ausgaben am transparentesten ist“, erklärte De Klerk. „Der Grund ist nicht, dass wir unbedingt den Fokus auf die Nato legen wollten, sondern schlicht, dass für sie mehr Daten vorliegen.“ Die Forscher errechneten, um wie viel die Treibhausgasemissionen steigen würden, wenn die Nato-Staaten ohne die USA – da diese bereits weitaus mehr ausgeben als die anderen – zusätzliche 2 Prozent ihres BIP für Militär ausgeben würden. Zuletzt hatten Donald Trump und die USA 5 Prozent gefordert.
Eine Untersuchung war kürzlich zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Anstieg der Militärausgaben um einen Prozentpunkt des BIP die nationalen Emissionen um 0,9 bis 2 Prozent zur Folge hat. Würden jetzt also 2 Prozent mehr Geld in die Rüstung gesteckt, hätte das zwischen 87 und 194 Millionen Tonnen Treibhausgase in der EU zur Folge. Laut den Forschern würde ein solch großer Anstieg die Klimaerhitzung stark antreiben. Dies würde auch der Wirtschaft schaden: Die jüngste Schätzung der gesellschaftlichen Folgekosten von Treibhausgasen – ein Geldindikator für den Schaden einer Tonne Kohlendioxid – kam auf 1,347 US-Dollar. Demnach wird die militärische Aufrüstung der Nato bis zu 231 Milliarden Euro volkswirtschaftlichen Schaden verursachen – und zwar jedes Jahr. Und dies sei nur ein Bruchteil der wahren Folgekosten der zunehmenden Militarisierung, betont Kinney. „Bei der Rechnung in der Studie werden 31 Länder berücksichtigt – das entspricht nur neun Prozent der weltweiten Emissionen. Ein sehr großer Teil der Welt ist also nicht eingerechnet.“
Die Analyse weist auch darauf hin, dass Mehrausgaben für das Militär jene Mittel reduzieren, die für eine Abschwächung der Folgen des Klimawandels zur Verfügung stehen. Das ist schon jetzt der Fall: Großbritannien zum Beispiel finanziert seine gestiegenen Militärausgaben, indem es im Haushalt die Entwicklungshilfe kürzte – ein Schritt, der auch in Belgien, Frankreich und den Niederlanden zu beobachten ist. „Diese Mehrausgaben für das Militär haben negative Auswirkungen auf das Grundvertrauen, das für Multilateralismus notwendig ist“, sagt Kinney. „Beim Klimagipfel Cop29 wiesen besonders Länder aus dem globalen Süden wie Kuba auf die heuchlerische Haltung hin, wenn Staaten bereit sind, steigende Summen für militärische Zwecke auszugeben, aber völlig inakzeptabel niedrige Beiträge zur Klimawandel-Finanzierung anbieten.“
Der Guardian hatte die Nato mit Bitte um Kommentar kontaktiert, aber keinen erhalten.