Nach der angekündigten Selbstauflösung der PKK stellt sich die Frage, ob die jahrzehntelange Kriminalisierung kurdischer Aktivitäten in Deutschland noch haltbar ist. Warum Juristen, Politiker und Zivilgesellschaft eine Neubewertung fordern


Bisher galt: Ein Öcalan-Bild, und schon rückt einem die Staatsmacht auf die Pelle

Foto: Ying Tang/Nurphoto/Imago Images


An der Tür von Yüksel Koçs Wohnung wird mit Nachdruck geklopft. Als er sie öffnet, sieht er Polizisten. Die Beamten des Bundeskriminalamts sind Mitte Mai nach Bremen gekommen, um den langjährigen Co-Vorsitzenden des „Kongresses der demokratischen Gemeinschaften Kurdistans in Europa“ festzunehmen.

Der 61-Jährige wird beschuldigt, als hauptamtlicher Kader der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) „Propagandaaktivitäten“ koordiniert zu haben. Seine Anwältin Fatma Sayin betonte hingegen, ihr Mandant habe ausschließlich „legale, öffentliche und politische“ Arbeit für die kurdische Diaspora geleistet.

Die Verhaftung reiht sich ein in eine langjährige Praxis: Kurdinnen und Kurden in Deutschland steh

die kurdische Diaspora geleistet.Die Verhaftung reiht sich ein in eine langjährige Praxis: Kurdinnen und Kurden in Deutschland stehen seit Jahrzehnten unter dem Generalverdacht, mit der PKK in Verbindung zu stehen. Die Einstufung der PKK als „terroristische Vereinigung“ ermöglicht seit 1993 eine pauschale Kriminalisierung kurdischen Engagements.Kurdinnen und Kurden in Deutschland stehen seit Jahrzehnten unter dem Generalverdacht, mit der PKK in Verbindung zu stehenRegelmäßig verhängen deutsche Gerichte auf Grundlage des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung (sogenannte §129b-Verfahren) hohe Haftstrafen gegen vermeintliche PKK-Mitglieder und Unterstützer wie Unterstützerinnen. Der Paragraf ist besonders umstritten, da er dem Justizministerium eine politische Prüfungspflicht zuschreibt: Ohne dessen Zustimmung darf die Bundesanwaltschaft keine Ermittlungen aufnehmen, erklärt die Anwältin Antonia von der Behrens, die mehrere Angeklagte vertreten hat.Eine historische ChanceDoch die Debatte um die PKK hat eine neue Dynamik erhalten: Ende Februar hat die PKK-Spitze in der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak offiziell erklärt, die Waffen niederzulegen und die Partei aufzulösen. Dieser Schritt folgte einem Aufruf des 75-jährigen Parteigründers Abdullah Öcalan, der seit 1999 auf einer türkischen Gefängnisinsel inhaftiert ist.Bereits in den vergangenen Jahren hatten führende PKK-Vertreter vermehrt betont, politische Prozesse zu priorisieren und den bewaffneten Kampf nicht mehr als vorrangiges Mittel zu sehen. Im Zuge der Wiederaufnahme von Gesprächen zwischen Öcalan und der türkischen Regierung wuchs die Hoffnung auf einen Friedensprozess. Das Auswärtige Amt in Berlin begrüßte die Entwicklungen als „historische Chance, die Spirale aus Gewalt und Vergeltung zu durchbrechen“, und forderte zugleich Respekt vor kulturellen und demokratischen Rechten der Kurdinnen und Kurden in der Türkei.Ein Erfolg ist jedoch nur denkbar, wenn auf Bundesebene eine formelle Neubewertung der PKK einsetztIm Land Berlin hält der Verfassungsschutz inzwischen sogar eine Neubewertung der PKK für möglich. Dies ist auch für die Anwältin Antonia von der Behrens längst überfällig. Häufig gehe es in ihren Fällen weniger um konkrete Gewaltakte, sondern um das Sammeln von Spenden oder die Organisation von Veranstaltungen. Einige Anwält*innen prüfen wegen der PKK-Selbstauflösung bereits die Möglichkeit von Wiederaufnahmeanträgen von alten §129b-Verfahren. Ein Erfolg ist jedoch nur denkbar, wenn auf Bundesebene eine formelle Neubewertung der PKK einsetzt – und davon ist bislang noch keine Rede. Die Bundesregierung hält vorläufig am Verbot fest.Gemischte Reaktionen in der kurdischen DiasporaIn der kurdischen Diaspora in Deutschland, die auf rund 1,2 Millionen Personen geschätzt wird, fallen die Reaktionen derweil gemischt aus: Vorsichtiger Optimismus wechselt sich mit tief sitzendem Misstrauen ab. Die Kurdische Gemeinde Deutschlands (KGD) sieht in der Selbstauflösung der PKK einen wichtigen Schritt hin zu politischer Teilhabe, warnt jedoch davor, diese Entwicklung als alleinige Lösung zu betrachten.Denn auch hierzulande leide das Vereinsleben vieler kurdischer Gruppen unter den Folgen des PKK-Verbots: Räume würden durchsucht, Veranstaltungen verhindert, Vorstände unter Druck gesetzt, Förderanträge mit dem Hinweis auf vermeintliche PKK-Nähe abgelehnt.Ein kurdisches Kulturzentrum berichtete anonym, dass dies zu einem Klima der Einschüchterung und der Beschneidung demokratischen Engagements führe. Dies treffe auch auf kurdische Organisationen zu, die – wie die KGD – der PKK kritisch gegenüberstehen.Vor diesem Hintergrund haben das „Kurdische Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit Civaka Azad“ und weitere Organisationen ein Positionspapier vorgelegt, das der neuen Bundesregierung Handlungsempfehlungen gibt. Im Zentrum stehen das Ende der Kriminalisierung, eine faire und menschenrechtskonforme Asylpraxis, der Abbau diskriminierender Regelungen sowie die Stärkung politischer Mitbestimmung für Kurden und Kurdinnen. „Die Bundesregierung muss die Repression gegen kurdische Strukturen in Deutschland beenden“, erklärte Müslüm Örtülü, Mitarbeiter bei „Civaka Azad“, im Gespräch. „Doch dafür sehen wir aktuell noch keine Anzeichen.“Die Türkei, die die PKK weiterhin als Hauptfeind betrachtet, übt seit Jahren deutlichen Druck auf europäische Staaten aus Ein möglicher Kurswechsel in der Bewertung der PKK wäre nicht nur innenpolitisch und juristisch brisant, sondern hätte auch außenpolitische Folgen. Die Türkei, die die PKK weiterhin als Hauptfeind betrachtet, übt seit Jahren deutlichen Druck auf europäische Staaten aus, gegen kurdische Strukturen vorzugehen. Deutschland pflegt enge sicherheitspolitische und wirtschaftliche Beziehungen zu Ankara, weshalb Bundesbehörden bislang sehr vorsichtig agieren und eine juristische Neubewertung scheuen. Welche Konsequenzen diese hätte, hängt davon ab, „wie sich der Prozess zwischen der türkischen Regierung und der PKK entwickelt“, sagt der Politologe Ismail Küpeli. Durch einen „gelungenen Friedensprozess“ in der Türkei würde auch eine Neubewertung durch die Bundesregierung keine Belastung für die deutsch-türkischen Beziehungen darstellen.Druck für Politikwechsel wächstGleichzeitig wächst in der deutschen Politik der Druck, die bisherige Linie der Bundesregierung zu hinterfragen. Insbesondere Abgeordnete der Linken und der Grünen haben sich in den vergangenen Jahren wiederholt für eine differenzierte Betrachtung der kurdischen Bewegung ausgesprochen. Vor allem die Rolle der kurdischen Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG und YPJ – den syrischen Schwesterorganisationen der PKK, die im Kampf gegen den IS westliche Unterstützung erhielten – hat viele Narrative ins Wanken gebracht.Die Bundestagsabgeordnete Cansu Özdemir (Die Linke) etwa äußerte angesichts der PKK-Selbstauflösung, dass es „juristisch nicht nachvollziehbar“ sei, dass das Verbot weiter bestehe. „Diese Menschen pauschal zu kriminalisieren, ignoriert ihren Beitrag zur Gesellschaft – ökonomisch, kulturell und politisch.“ Özdemir kritisierte zudem die ungleiche Förderpraxis: Kurdische Vereine, die beispielsweise Bildungsarbeit leisten, Beratungen anbieten und gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern, erhielten kaum staatliche Unterstützung, während türkische Einrichtungen regelmäßig gefördert würden.Maßnahmen wie die Beschlagnahmung kurdischer Bücher oder das Verbot von Newroz-Feiern betrachtete sie als Ausdruck einer verfehlten Integrationspolitik. „Deutschland braucht ein neues Konzept im Umgang mit der kurdischen Community“, fordert die Politikerin.Inzwischen hat die PKK Klage beim Verwaltungsgericht Berlin eingereicht, um ihr Betätigungsverbot erneut überprüfen zu lassenBereits im Mai 2022 hatte die PKK einen offiziellen Antrag auf Aufhebung des Betätigungsverbots in Deutschland gestellt. Drei Jahre später lehnte die Bundesregierung diesen mit Verweis auf außenpolitische Interessen und das deutsch-türkische Verhältnis ab. Inzwischen hat die PKK Klage beim Verwaltungsgericht Berlin eingereicht, um ihr Betätigungsverbot erneut überprüfen zu lassen. Ob diese Klage und die anhaltende Debatte eine grundsätzliche Kehrtwende einleiten können, bleibt offen.Fest steht jedoch, dass die Diskussion um die juristische Einstufung der PKK eng verknüpft ist mit Fragen von politischer Teilhabe, außenpolitischen Interessen und dem Umgang Deutschlands mit seiner vielfältigen kurdischen Community. Für viele Kurd*innen in Deutschland wäre eine Neubewertung der PKK weniger eine Anerkennung der Partei, sondern auch ein Schritt zur Würdigung jahrzehntelanger Erfahrungen von Marginalisierung und Repression.



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Von Veritatis

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