Der deutsche Journalismus schreibt sich über den Merz-Besuch bei Trump in Rage; die vorauseilende Unterwerfung scheint alternativlos. Was wirklich im Oval Office geschah, war die Unterlassung jeglichen Widerstands
Beim Golfen treffen sich Friedrich Merz und Donald Trump
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War da was? Hatten die Glaskugelinterpreten der großen Medienhäuser diesem monumentalen „Medienereignis“ nicht tagelang mit Liveblogs entgegengefiebert? Mit grüblerischen Vermutungen, was den Bundeskanzler bei seinem „Antrittsbesuch“ in Washington erwarten könnte, wie er sich verhalten soll, welche Klippen er umschiffen muss?
Der deutsche Coaching- oder Politikberatungs-Journalismus schrieb sich fast schon in ein Delirium. Man müsse dem US-Präsidenten Honig ums Maul schmieren, ihm unablässig zu verstehen geben, dass er die Vereinigten Staaten von Amerika in kaum hundert Tagen zu jenem Paradies geformt habe, welches nur ein überlebensgroßer Staatsmann wie Trump mit Hilfe unfassbar großartiger Dekrete erschaffen kö
en könne. Merz, hieß es allerorten, reise „in brisanter Mission“, und so herrschte in vielen deutschen Redaktionsstuben eine selbstfabrizierte „Hochspannung vor dem Antrittsbesuch“ (Bild). Es gehe schließlich um „eine Wende in den transatlantischen Beziehungen“ (Frankfurter Rundschau).Aber o weh! Konnte das gut gehen? Würde Friedrich Merz „auf dem heißen Stuhl im Oval Office“ (Welt) nicht ebenso gegrillt wie zuletzt die Präsidenten der Ukraine und Südafrikas? Der Kanzler, riet der Spiegel besorgt, dürfe sich „bloß nicht vorführen lassen“, die Welt sah „durchaus Demütigungspotential“. Und so schwankten ARD und ZDF in ihren Vorberichten unschlüssig zwischen knisterndem „Showdown“ und „diplomatischem Drahtseilakt“. Würden die ungleichen Staatenlenker „einen guten Draht zueinander finden“?Ein Nicht-Ereignis im Oval Office wird verzweifelt schöngeredetDann die Ernüchterung! Am erstaunlichsten an der Diskrepanz zwischen der Bedeutung, die zahlreiche deutsche Medien im Vorfeld des Kanzlerbesuchs in das Oval Office-Gespräch hineinlesen wollten und dem, was tatsächlich hinten herausgekommen ist, war: Das verzweifelte Schönreden eines Nicht-Ereignisses. Der US-Präsident schwadronierte eine Dreiviertelstunde lang über seine Telefonate mit den Präsidenten Xi und Putin, über die neuen US-Einreisebeschränkungen, über sein „Big Beautiful Bill“-Steuerentlastungsgesetz, über die angeblich zurückgehende Inflation sowie die „kleinen“ Meinungsverschiedenheiten mit Elon Musk.Friedrich Merz hörte zu, lächelte verständnisvoll, aber das war’s auch schon. Weder Trump noch die anwesenden Journalisten interessierten sich für den Besucher aus Deutschland. Und Merz? Der machte gute Miene zur krassen Unhöflichkeit ihm gegenüber, indem er zum Schluss noch eine peinliche Schmeichelei unterbrachte. Allein Trump habe die Macht, den Krieg Russlands gegen die Ukraine zu stoppen, so wie einst die Amerikaner – Stichwort D-Day – die Deutschen vor den Nazis retteten.Trump hörte freilich kaum hin, denn demütiges Schmeicheln verachtet er. Und so hatten die deutschen Journalisten größte Mühe, das (selbst aufgeblasene) Null-Ereignis in einen diplomatischen Merz-Erfolg umzudeuten. Der bestand angeblich darin, dass der befürchtete Eklat ausgeblieben war, da sich weder Vizepräsident J.D. Vance noch Außenminister Marco Rubio in Trumps Endlos-Monolog einmischen wollten.Merz unter Trump: Ist die vorauseilende Unterwerfung alternativlos?Das war auch gar nicht nötig, denn die schwarz-rote Bundesregierung hatte bereits in den Wochen zuvor in vorauseilendem Gehorsam alles erfüllt, was die US-Regierung von ihr wollte: Man hatte, trotz aller Kritik an Trumps autoritärer Politik, dessen Forderung akzeptiert, künftig nicht 80, sondern gigantische 250 Milliarden Euro pro Jahr in die Aufrüstung von Bundeswehr und Nato zu pumpen; man übernimmt – gegen die Interessen der eigenen Bevölkerung – die Hauptlasten bei der Unterstützung der Ukraine; man bleibt im Gaza-Krieg standhaft an der Seite der USA, selbst wenn der Rest der Welt diese grausame Kriegsführung gegen eine wehrlose Zivilbevölkerung schärfstens verurteilt; man strebt eine gütliche Einigung im transatlantischen Zollkrieg an und beteiligt sich, trotz der damit verbundenen Nachteile, an der imperialistischen Anti-China-Politik der US-Administration.Als Dank darf sich die deutsche Regierung glücklich schätzen, von Trump, Vance und Rubio nicht länger gemobbt zu werden.Da die US-Regierung diese Machtspielchen (oder besser: das gegeneinander ausspielen) mit allen europäischen Verbündeten treibt, mit Emmanuel Macron genauso wie mit Keir Starmer oder Giorgia Meloni, und jeder der Verbündeten in dem absurden Glauben lebt, einen besonderen Draht zu Trump gefunden zu haben, dürfte die in den Sonntagsreden gern beschworene sicherheitspolitische Emanzipation von der Nato-Vormacht USA einen heftigen Dämpfer erleiden. Denn je unverblümter die US-Regierung den Verbündeten mit Liebesentzug droht, desto bereitwilliger werden sich diese noch den verrücktesten US-Vorgaben unterwerfen.Merz mag seinen 17-stündigen Washingtontrip also fehlerfrei absolviert haben. Kurzfristig gilt das – zumindest in Talkshows – als Erfolg. Langfristig liegt der Fehler aber in der Unterlassung jeglichen Widerstands. Anders ausgedrückt: Appeasement-Politik ist stets eine zwiespältige Angelegenheit. Sie befriedet eine Situation zunächst, im Lauf der Jahre zeigen sich aber ihre Schwächen.