Erschreckend viele sind dazu bereit.

Los Alamos, Trinity Test.

Im July 2015 hat YouGov im Auftrag von Scott D. Sagan und Benjamin A. Valentino 750 US-Amerikaner im Alter von mindestens 18 Jahren einem Experiment ausgesetzt, dessen Zweck darin bestanden hat, die Bereitschaft, Atomwaffen einzusetzen, in der Bevölkerung zu untersuchen.

Die Ergebnisse wurden zwei Jahre später veröffentlicht.

Die 750 Teilnehmer wurden auf drei Szenarien aufgeteilt, die allesamt unter dem Rubrum stehen, einen Krieg gegen den Iran abzukürzen, der in der Erzählung vor Jahren begonnen hatte, ein konventioneller Krieg, der zunächst die US-Bodentruppen Geländegewinne hat machen sehen, mittlerweile aber zu einem verlustreichen Stellungskrieg geworden war. Vor dem Hintergrund dieser Erzählung wurde den Teilnehmern aufgegeben, einen Einsatz nuklearer Waffen zu beurteilen, der dazu gedacht war, die Anzahl der US-Soldaten, die bei weiterhin konventioneller Kriegsführung getötet werden, durch einen Atomschlag um 20.000 zu reduzieren:

Angriffsziel war die Iranische Stadt Mashhad, die gibt es tatsächlich, variiert wurde zwischen Atomschlag und konventioneller Bombardierung und bei Atomschlag die Anzahl der getöteten iranischen Bewohner von Mashhad (100.000 und 2.000.000). Zudem haben Sagan und Valentino für alle drei Szenarien gefragt, wie es mit der Unterstützung einer entsprechenden Entscheidung des US-Präsidenten aussieht.

Das Ergebnis ist in der nächsten Abbildung zu sehen.

A,C und E beziehen sich auf die Befürwortung eines entsprechenden Einsatzes (A und C Atomwaffen, E konventionelle Bombardierung), B,D und F beziehen sich auf die Unterstützung einer entsprechenden Entscheidung des US-Präsidenten.

An den Ergebnissen ist Folgendes für uns interessant:

  • Die Bereitschaft, Atomwaffen einzusetzen, steigt/fällt mit der Anzahl der Opfer des Einsatzes.
  • Eine Mehrzahl ist bereit, Atomwaffen einzusetzen bzw. eine entsprechende Entscheidung des US-Präsidenten zu unterstützen.
  • Die Bereitschaft, anderer Entscheidung mitzutragen, ist größer als die Bereitschaft, die Verantwortung selbst zu übernehmen.

Das zuletzt beschriebene Phänomen ist ein in der Sozialpsychologie gut bestätigtes Phänomen. Die Bereitschaft „negative Handlungen“ zu unterstützen, wird mit zunehmendem Abstand zum Ausführenden und damit einhergehend sinkenden (moralischen) Kosten größer.

Auf Grundlage der Forschung von Sagan und Valentino haben sich  Paul Slovic et al. (2020) gefragt, welche demographischen Variablen diejenigen beschreiben, die einen Atomwaffeneinsatz begrüßen, eine Frage, die sie in eine ideologische Sackgasse, wie wir meinen, geführt hat, aus der man als Ergebnis nur retten kann, dass sich die Befürworter eines Atomwaffeneinsatzes moralisch im Recht sehen und diese Überzeugung, moralisch im Recht zu sein, abermals dadurch bestärkt wird, dass man selbst nicht mit den Folgen der entsprechenden Entscheidung konfrontiert zu sein glaubt, was u.a. darin seinen Ausdruck findet, dass Frauen häufiger als Männer unter den Befürwortern eines Atomwaffeneinsatzes zu finden sind:

Indes verweist die Arbeit von Slovic et al. (2020) zurück auf Vorarbeiten, die Paul Alan Fiske und Tage Shakti Rai 2014 in Buchform veröffentlicht haben:

Fiske und Rai sind nicht mit Einstellungen, sondern mit der Erklärung konkreten Verhaltens beschäftigt: Warum üben Menschen Gewalt aus, so ihre Frage, die sie nicht nur vor dem Hintergrund von Genoziden und Gemetzeln in Bürgerkriegen und kriegerischen Auseinandersetzungen stellen. Eine Frage, die man für einen Teil der Täter mit einem Verweis auf Psychopathologien, Sadismus, Freude am Zufügen von Leid beantworten kann.

Wie groß dieser Teil ist, das ist eine offene Frage.

Indes, die meisten töten nicht, weil sie Spaß daran haben, so Fiske und Rai, sie töten weil sie sich moralisch legitimiert sehen, zu töten. Sie haben ein klares Bewusstsein, sind der Überzeugung, Handlungen auszuführen, die gerechtfertigt sind, Handlungen, die sie im Einklang mit ihrer Referenzgruppe sehen, gewalttätige Handlungen. Sie fühlen sich moralisch zur Anwendung von Gewalt berechtigt, wobei Fiske und Rai Moral als Regulationsform zwischenmenschlicher Beziehungen fassen, als Mittel, Beziehungen zu schaffen, zu pflegen, zu unterhalten, zu verbessern oder zu beenden.

Einmal mehr: Wir reden von direkt ausgeübter Gewalt.


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Nun kann man sich natürlich fragen, was das für eine Moral ist, die dazu führt, dass man Gewalt anwendet, und in der Tat ist in westlichen Gesellschaften Gewalt so verpönt, dass derjenige, der sie z.B. in Form einer Wehrpflicht und einer Kriegstüchtigmachung wieder salonfähig machen will, quasi die herrschende anti-Gewalt Moral umdeuten und eine neue gesellschaftliche Moral schaffen muss, aus der sich die Verpflichtung zur Gewalt gegen Personen, die als böse bezeichnet werden, ableiten lässt – genau das, was wir derzeit auf dem Rücken des Krieges in der Ukraine in den westlichen Wertgesellschaften erleben und etwas, das Fiske und Rait in einer erschreckenden Weise Recht gibt. Denn offenkundig wird nur eine glaubwürdige moralische Erzählung benötigt, um Gewalt und Mord (nunmehr als Tötung von bösen Angreifern gefasst) zu legitimieren, was die Idee, alle Menschens seien Wesen, die ihre Moral aus sich selbst generieren, mit erheblichen Fragezeichen versieht: die meisten sind wohl eher Befehlsempfänger, wenn es um Fragen der Moral geht, vor allem, wenn sie nicht selbst mit Kosten, die sich aus der neuen Moral ergeben, konfrontiert sind.

Eine Konsequenz, die wiederum das Ergebnis von Sagan und Valentino in einem anderen Licht erscheinen lässt, denn die Bereitschaft, einen Atomschlag zu befürworten wird nun lediglich zur Frage ob es gelingt, eine legitimierende moralische Erzählung bereitzustellen, mit der sich eine Mehrheit von Zombies, denen die neue gesellschaftliche „Moral“ quasi per Erzählung eingehaucht wird, identifizieren kann.

Je weiter die Kenntnis dessen, was ein Atomschlag letztlich nicht nur für diejenigen, die davon betroffen sind, sondern auch für diejenigen, die in Windrichtung des Fall outs leben, bedeutet, in Vergessenheit gerät, desto wahrscheinlicher ist es, eine Zustimmung für einen, natürlich als „begrenzt“ verkauften, Atomschlag zu generieren, es bedarf dazu nicht einmal der Erzählung, dass Verluste auf der eigenen Seite durch den Atomschlag reduziert werden.

Einmal mehr Forschungsergebnisse, von denen man sich wünscht, dass sie von einer Renaissance des Verstandes, der die derzeitige Vorherrschaft des Affekts beendet, überrollt werden.

Aber wie wahrscheinlich ist das?


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Von Veritatis

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