Unsere Autorin schreibt regelmäßig mit Tareq El-Bawab, der mit seiner Familie im Norden Gazas lebt. Der tägliche Hunger, die Wasserlieferung und das Backen von Brot: Eine WhatsApp-Reise durchbricht die israelische Blockade nach Gaza
Wie erzählt man die Geschichte einer Familie aus Gaza, die seit dem 7. Oktober im Ausnahmezustand lebt? Am besten lässt man diejenigen, die sie erlebt haben, selbst berichten. Im November 2024 schrieb mir Tareq El-Bawab zum ersten Mal über Instagram. Er sammelte Spenden – damals noch in der Hoffnung, dem Krieg zu entkommen. Wir blieben in Kontakt. Die letzte Nachricht ist von Anfang Juni.
Der 31-Jährige erzählt über WhatsApp von seinem Leben zwischen zusammengefalteten Häusern, Schutt und dem ewigen Surren der Drohnen, die Tag und Nacht über ihren Köpfen lauern. Er wolle nicht über Politisches reden, sagt er, sondern einfach nur loswerden, was war und was ist, ohne jedes Ende in Sicht.
Samstag, 09. Nov, 2024
„Hey there, ich bin T
„Hey there, ich bin Tareq, ein Software-Ingenieur und Vater von zwei kleinen Kindern. Ich schreibe dir, weil ich wirklich Hilfe brauche. Seit über einem Jahr sitzt meine Familie im Gazastreifen fest, hat mit Krieg und Lebensmittelknappheit zu kämpfen und hat kaum Zugang zu Wasser und medizinischer Versorgung. Ich habe meinen Job verloren und jeden Tag kämpfen wir ums Überleben.“ 11:58Donnerstag, 08. Mai, 2025„Was das Wasser angeht, so gibt es hier kein fließendes Wasser. Wir müssen jeden Tag etwa 700 Meter laufen, um 300 Liter aufzufüllen, oder auf den Wasserwagen warten, der vielleicht kommt … vielleicht aber auch nicht. Wenn es Bombardierungen gibt, bleiben wir auf dem Trockenen.“20:11„Seit über 570 Tagen gibt es keinen Strom mehr – ohne Ende in Sicht. Wir sind auf Solarenergie angewiesen, um unsere Geräte aufzuladen und in Verbindung zu bleiben. Aber selbst diese sind extrem teuer. Deshalb sind wir auf eine sogenannte Ladestation angewiesen – ein Ort, an dem jemand mit Solarzellen Handys und Batterien für andere auflädt. Dafür müssen wir jedes Mal bezahlen.“20:12Placeholder image-5Freitag, 09. Mai, 2025„Unser Frühstück besteht aus Zaatar und etwas Öl. Seit Ramadan – also seit 63 Tagen – gibt es nur das. Mehl ist wahnsinnig teuer. Ein Sack kostet 500 US-Dollar. Wir haben keinen Fisch, wir haben kein Fleisch, wir haben einfach keinen Zugang zu den meisten Lebensmitteln. Es gibt nur Paprika, Kartoffeln und Tomaten. Die kaufen wir dann aber nur stückweise, denn ein Kilo kostet uns zum Beispiel 50 US Dollar. Zu Mittag haben wir manchmal etwas Reis oder Nudeln. Abends gibt es nichts zu essen, weil wir es uns nicht leisten können.“ 14:17!—- Parallax text ends here —-!„An dem Ort, an dem wir jetzt leben, sind nur noch zwei Gebäude intakt. Der Rest ist entweder halb oder ganz zerstört. Die Drohnen schwirren rund um die Uhr über unseren Köpfen und erinnern uns daran, dass sie jederzeit schießen können. Technisch gesehen können sie sich frei bewegen. Wenn es um 19 Uhr aber dunkel wird, wird alles, was sich draußen bewegt, sofort beschossen. Selbst wenn es nur ein Schatten ist.“ 14:23„Wir haben deswegen diese Planen vor unseren Fenstern, um kein Licht nach außen dringen zu lassen – Wir dürfen uns kaum rühren. Die Fenster selbst sind aus Nylon, weil wir Angst haben, dass uns das Glas bei Detonationen verletzen könnte.“ 14:25„Es ist unglaublich schwer, in diesem Krieg ein Vater zu sein. Wenn wir bombardiert werden, sage ich ihnen, dass es nur Lärm sei und uns nichts passieren wird. Ich versuche, sie abzulenken. Es gab eine Zeit, in der mein Sohn zu ängstlich war, um vor die Tür zu gehen. Ich möchte nicht, dass er eine solche Angst hat. Deswegen nehme ich ihn mit, wenn ich versuche, an Wasser zu kommen. Wir versuchen dann, uns unter die Menschen zu mischen und mit ihnen zu reden. So versuche ich, für ihn das Leben zu normalisieren und nicht den Krieg. Und wenn sie bombardieren, dann lenke ich ihn ab, so gut ich kann.“ 14:30Placeholder image-7„Der Krieg begann am Morgen des 7. Oktober. Es war ein Samstag – mein freier Tag. Wir wachten um 6 Uhr am Morgen von dem Dröhnen der Raketen auf. Niemand wusste, was vor sich ging. Meine Frau war im dritten Monat mit unserer Tochter Tala schwanger. Wir lagen im Bett, als unser Sohn Emad, der nicht ganz ein Jahr alt war, verängstigt aufwachte und fragte: „Was ist los?“ Aber selbst wir – seine Eltern – konnten es ihm nicht sagen. Wir schalteten den Fernseher gegen 10 Uhr morgens ein, da wurde uns dann klar, dass wir uns im Krieg befanden. Kurz darauf fiel der Strom aus.“ 13:27„Meine Frau sagte zu mir: „Geh und besorge uns ein paar Vorräte und Lebensmittel.“ Wie sonst auch würden wir den Krieg einfach zu Hause aussitzen. Sie aber hatte Angst, allein zu bleiben. Meine Mutter rief dann an und sagte: „Wir kommen zu euch nach Hause. Dein Vater, deine Geschwister und ich – unser Haus wird hier zur Zielscheibe.“ Ich sagte ihr: „Natürlich, ihr seid alle willkommen.“13:27„Am Morgen des 13. Oktober, wachten wir auf und traten vor die Tür. Flugblätter rieselten vom Himmel und aus den Lautsprechern der Flugzeuge schallten die Aufforderungen, in den Süden zu evakuieren. Die Bombardierung wurde schlimmer und die Stimmen zu evakuieren lauter. Also gingen wir. Wir nahmen mit, was wir tragen konnten, weil wir dachten, dass es nur für eine oder zwei Wochen sein würde und wir bald wieder nach Hause kommen könnten. Alles würde wieder gut werden, dachten wir.“ 13:27Placeholder image-2„Wir flohen in den Süden, an einen Ort, der einem Freund der Familie gehört. Es galt als sicheres Gebiet und zum Glück gab es dort Gas, Solarstrom und Wasser. Die Tage verstrichen und wir redeten uns ein, dass der Krieg bald ein Ende nehmen würde. Das gab uns Kraft“ 13:29„Ich war mit meiner ganzen Familie dort und niemand von uns hatte zusätzliche Kleidung mitgenommen. Wir dachten, es würde nur ein kurzer Aufenthalt sein, aber als es sich über zwei Wochen hinzog, mussten wir neue Kleidung kaufen. Einen Monat wohnten wir schließlich an diesem Ort.“ 13:29Placeholder image-12„Schließlich begann der Mann, nach Miete zu fragen. Er sagte, dass auch andere Verwandte von ihm einen Schutz suchten. Die Tage verstrichen. Zum Glück mussten wir die Miete aber nie bezahlen. Irgendwann wurde erneut gewarnt, dass der Ort nun als Gefahrenzone gilt und wir ihn verlassen sollten. Also zogen wir weiter, in ein zentrales Gebiet im Süden, in der Nähe des Meeres.“ 13:31„Wir mieteten dort ein einziges Zimmer von 4 x 4 Metern, in dem wir zu neunt Tag für Tag überlebten: Ich, meine Frau, Emad, meine Mutter, mein Vater, mein Bruder, meine beiden Schwestern – und später wurde unsere Tochter Tala in jenem Raum geboren. Die Küche und das Bad mussten wir mit 26 anderen Personen teilen. Dort blieben wir dann für etwa 500 Tage – vielleicht auch länger.“ 13:31!—- Parallax text ends here —-!„Meine Frau hat verdammt viel durchgemacht. Sie war schwanger, als der Krieg begann und musste im Krieg entbinden. Es gab nicht einmal Wasser.“ 19:54Placeholder image-1„Mein Leben vor dem 7. Oktober ist jetzt für mich unvorstellbar. Ich hatte grade eine neue Wohnung gekauft, sie so eingerichtet, wie es mir gefiel. Ich wollte mir ein Auto kaufen. Als IT-Engineer bekam ich ein gutes Gehalt, so konnten wir ein stabiles Leben führen. Nie hätte ich mir vorstellen können, dass ich diese Wohnung und alles hinter mir lassen würde. Ein paar Monate nach Kriegsbeginn ließ uns dann die Firma im Stich und zahlte unsere Gehälter nicht mehr.“ 19:54„Für meine Familie hätte es rund 15.000 Dollar gekostet, nur um aus Gaza herauszukommen. Zu dieser Zeit hatte ich noch einige Ersparnisse und wollte eigentlich nicht weg. Ich glaubte ja, dass der Krieg bald sein Ende nahm. Meine Wohnung war neu. Jemand, der im Norden geblieben war, schaute ab und an nach ihr.“ 19:55„Im April brachte meine Frau dann unsere Tochter Tala zur Welt. Alles begann wahnsinnig teuer zu werden, die Preise vervielfachten sich. Ich war ohne Arbeit und obwohl unsere Wohnung noch existierte, hatte ich keinen Zugang zu ihr. Technisch gesehen habe ich immer noch eine Berufsbezeichnung, aber kein Einkommen mehr. Was sollte ich tun?“ 19:57„Zwei Monate später beschloss ich, eine GoFundMe-Kampagne zu starten, in der Hoffnung, genug Geld sammeln zu können, um Gaza zu verlassen. Ich sagte mir, dass ich 15.000 Dollar brauchen würde, nur um die Kosten für die Ausreise zu decken und 15.000 weitere Dollar, um unsere täglichen Ausgaben zu decken, sobald wir weggingen würden.“ 19:58„Die Lage aber wurde immer schwieriger – bald konnten wir unsere täglichen Bedürfnisse nicht mehr decken und zusätzlich für die Evakuierung sparen. Da begann ein tägliches Ringen um das Überleben im Jetzt und dem Versuch, zu entkommen.“ 19:59„Also versuchen wir, das Ziel zu erhöhen und ein größeres Publikum zu erreichen. Wir gaben die Spenden für keinerlei Luxus aus, sondern nur für das Nötigste. Aber selbst die Grundbedürfnisse zu befriedigen, ist teuer. Hier haben 1.000 Dollar kaum noch Wert – sie decken nicht mal die Kosten für zwei Säcke Mehl.“ 19:59Placeholder image-11„Leider erhielt ich am 14. Dezember niederschmetternde Neuigkeiten: Das Haus mit meiner Wohnung im Norden war bombardiert worden. Ich hatte alles verloren.“ 20:00Placeholder image-9Sonntag, 18. Mai, 2025„Wir haben die Nacht sicher überstanden, trotz des unerbittlichen und intensiven Bombardements, das noch immer weiter geht, während ich dies hier schreibe. Die Geräusche von Explosionen, der Geruch von Schießpulver und die Nachrichten über all die Verluste fühlen sich an, als ob uns der Wahnsinn umgibt. Wir bleiben heute zu Hause, die Straßen sind leer, und draußen rührt sich nichts. Meine Kinder haben Angst und die letzte Nacht war voller Schrecken. Ich glaube, dies war die schlimmste Nacht seit Beginn des Krieges.“ 10:01„Die einzige Hoffnung und das Einzige, was mich weitermachen lässt, sind meine Kinder. Es ist die einzige Hoffnung, ich habe mein Geld verloren, ich habe meinen Job verloren, ich habe alles verloren. Das Leben ist jetzt absolut bedeutungslos für mich. Man sieht und hört dieses Geschrei und Getöse 24 Stunden lang – wir leben damit. In den Nächten sind die Drohnen noch lauter. Das Leben ist wirklich sinnlos, das Einzige, was mich überleben und weiterleben lässt, sind meine Kinder.“ 14:38Placeholder image-10„Das wenige, was wir haben, rationieren wir. Ich habe mehr Gewicht verloren, als ich sollte. Die Kinder fragen ständig nach Dingen, die ich ihnen nicht geben kann. Die Nächte sind heiß und voller Moskitos, uns gehen die Kerzen und das saubere Wasser aus.“ 14:17Mittwoch, 21. Mai, 2025„Das Holz, das wir verbrennen, müssen wir auch kaufen, selbst wenn wir uns eine Tasse Tee machen wollen, müssen wir sehen, ob es sich lohnt. Und wir wollen uns nicht über den Geruch beschweren. Alles riecht nach Feuer. Selbst wenn man duscht, muss man das Feuer anzünden und danach riecht man auch – für uns ist es Alltag.“10:09 „Unser Brot könnte das teuerste der Welt sein. Nicht, weil es mit Luxuszutaten hergestellt wird, sondern einfach wegen des Preises, den wir zahlen müssen – Ein 25-kg-Sack Mehl kostet über 600 Dollar, und wir haben nicht einmal einen Kühlschrank, um das Brot zu lagern. Am Ende des Tages ist es trocken und hart. Meine Frau wäscht unsere Wäsche seit Monaten von Hand. Sie ist erschöpft von der harten Arbeit und ihre Haut ist ausgetrocknet wie unser Brot. Selbst wenn wir hungrig sind, können wir das Brot nicht aufwärmen. Wir haben kein Gas, es gibt nichts. Durch das Feuer wird es schwarz. Also essen wir es trocken. Jedes Mal.“10:10Placeholder image-3Samstag, 24. Mai, 2025„Heute können wir uns glücklich schätzen – zwei Wasserwaagen sind gleichzeitig angekommen! Wir haben eine ganze Woche lang keinen einzigen Wassertransporter gesehen und mussten in dieser Zeit Wasser kaufen.“ 08:47Heute Morgen kamen beide Lastwagen gleichzeitig an, Gott sei Dank für diesen Segen. So haben wir es geschafft, unsere Behälter mit 500 Litern zu füllen – Ich kann gar nicht sagen, wie glücklich wir darüber sind – Heute gehen wir alle duschen!“ 08:52 Sonntag, 02. Juni, 2025„Salam, seit Tagen gehen wir hungrig ins Bett und überleben gerade so mit trockenem Brot – falls wir welches finden können. Selbst solch grundlegende Dinge wie Za’atar, Dukkah und Olivenöl sind für uns unerschwinglich. Ich bin hin- und hergerissen zwischen dem Versuch, meine Familie zu ernähren und das Nötigste für meine Kinder zu besorgen – Windeln, Milch und Salben. Wir sind völlig ausgelaugt, geistig wie körperlich. Im Moment scheint es, als wäre es einfacher zu sterben, als so weiterzuleben – hungernd, gedemütigt und hilflos.“ 10.19