Den Initiatoren des wichtigen „Manifestes“ zur Friedenspolitik aus der SPD bläst jetzt erwartungsgemäß ein harter Wind unseriöser Meinungsmache entgegen: Die ganz große Koalition der Militaristen fühlt sich in ihrer komfortablen propagandistischen „Eindeutigkeit“ gestört – mache Reaktionen sind entsprechend giftig. Das zeigt aber auch: Die SPD-Friedenspolitiker haben einen Nerv getroffen. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
Es war voraussehbar, dass der Gegenwind gegen das wichtige „Manifest“ von Friedenspolitikern aus der SPD stark sein würde, das wurde auch in meinem gestrigen Artikel zu dem SPD-Papier vermutet. Schließlich greift das Papier jenes Propagandamodell an, in dem sich fast alle Mainstream-Journalisten, zahllose Politiker und viele Akteure der zum Teil staatlich geförderten „Zivilgesellschaft“ in den letzten Jahren so bequem eingerichtet haben: Wenn man (unter Verdrängung der gesamten Vorgeschichte des Ukrainekriegs) gemeinsam und ohne jede Differenzierung immer wieder das Lied von Russland als dem imperialistischen Reich des Bösen anstimmt, dann „hat der Tag eine Struktur“.
Die komfortable offizielle „Eindeutigkeit“ wird gestört
Diese komfortable offizielle „Eindeutigkeit“ beim Thema Ukrainekrieg wird durch die offensichtlich einleuchtenden Thesen im aktuellen SPD-Papier gestört: Eine gesamteuropäische Sicherheitsarchitektur, in die Russland eingeschlossen wird, ist nicht nur der einzige realistische Weg in eine langfristige friedliche Zukunft in Europa. Zusätzlich eröffnet diese Perspektive zahllose Vorteile für „beide Seiten“, unter vielen anderen Bereichen bei der Energieversorgung. Zusätzlich würden durch eine solche Verständigung die geplanten Rüstungsausgaben zumindest in der jetzt angekündigten absurden Höhe überflüssig und könnten in die sozialen Strukturen der Länder fließen.
Dass „Entspannung“ mit Russland keine „Unterwerfung“ unter ein „russisches System“ bedeuten soll, ist ja selbstverständlich, auch wenn Kritikern immer wieder in diesem Sinn das Wort im Mund herumgedreht wird. Ebenso wird ignoriert, dass der Wirtschaftskrieg vor allem uns selber schadet, dass er massiv US-Interessen bedient und dass er kein einziges der (angeblich) mit den Sanktionen angestrebten Ziele erreicht. Eine solche irrationale Politik muss sofort beendet werden – vor allem, wenn die angebliche zukünftige Bedrohung europäischer Länder durch Russland (über die Ukraine hinaus) an keiner Stelle konkret mit Fakten begründet wird.
Für viele der Forderungen im SPD-Papier ist ein Waffenstillstand in der Ukraine Voraussetzung. Dass Russland jetzt meiner Meinung nach in der Pflicht ist, alles zu tun, damit schnellstens die Waffen schweigen, habe ich in diesem Artikel geschrieben. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Eskalationen, die zum Ukrainekrieg geführt haben, vor allem von westlicher Seite ausgingen und dass der Krieg leicht hätte verhindert werden können.
Zusätzlich muss betont werden, dass die jetzigen Behauptungen, Russland hätte nie Interesse an echten Friedensverhandlungen gezeigt, falsch sind, wie unter anderm die Vorgänge rund um die Verhandlungen von Istanbul im Jahr 2022 zeigen. Als Kriegsgründe müssen außerdem neben der NATO-Erweiterung, der massiven Aufrüstung der Ukraine und dem jahrelangen Beschuss des Donbass durch die West-Ukraine auch der westliche „Betrug von Minsk“ thematisiert werden.
Autoren des SPD-Papiers sind „endgültig ins Lager der Putin-Versteher und -Helfer“ gewechselt
All das wird in vielen Reaktionen auf das SPD-Papier vom Tisch gewischt. Einige – zum Teil auch tendenziell zustimmende – Artikel zum Thema wurden bereits in den heutigen Hinweisen des Tages gesammelt. Als fragwürdiges Beispiel sei hier zusätzlich der Beitrag „Sie irren“ in der „Zeit“ erwähnt, in dem es zum SPD-Papier gönnerhaft heißt:
„Ihr Impuls ist verständlich, nur leider liegen sie völlig daneben.“
Und N-TV schreibt in diesem unseriösen Text zu den SPD-Entspannungspolitikern, dass „dieser Teil der Partei endgültig ins Lager der Putin-Versteher und -Helfer wechselt, auch wenn sie es geschmeidiger verbergen als Sahra Wagenknecht und Co“. Und weiter wird behauptet:
„Mützenich klammert sich an tödlichem Irrtum.“
„Missbrauch“ und „maximal beschämend“
Exemplarisch sollen hier zusätzlich ein Artikel der „Tagesschau“ und einige Reaktionen von SPD-Politikern betrachtet werden. In dieser „Analyse“ der „Tagesschau“ wird – neben einer durch Verkürzung irreführenden Darstellung des Ukrainekonfliktes – zunächst festgestellt, dass sich die SPD-Parteivorsitzenden Lars Klingbeil und Saskia Esken interessanterweise bisher gar nicht zu dem Vorstoß äußern. SPD-Fraktionschef Matthias Miersch betonte derweil im gewohnten Jargon die angebliche „Bedeutung der Zeitenwende“: “Wir erleben eine reale Bedrohungslage, auf die wir mit klarer politischer Haltung und massiven Investitionen in unsere Verteidigungsfähigkeit reagieren.“
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) bezeichnet das “Manifest” der SPD-Friedenspolitiker in einer harten Verdrehung gar als „Missbrauch“ von Bürgersorgen:
“Dieses Papier ist Realitätsverweigerung. Es missbraucht den Wunsch der Menschen in unserem Land nach Ende des furchtbaren Krieges in der Ukraine. Nach Frieden.”
Erwartungsgemäß wird jetzt auch auf die jüngsten Kontakte von Ralf Stegner und anderen deutschen Politikern zur russischen Seite verwiesen und dabei wird behauptet:
„Dass Ralf Stegner und SPD-Größen wie Matthias Platzeck und Ex-Kanzler Gerhard Schröder Kontakte zu Russland pflegen, bringt die Partei regelmäßig in den Verdacht einer allzu großen Nähe.“
Ebenfalls erwartungsgemäß ist, dass nun das (stets abwegige und billige) „Argument“ von dem „Beifall von der falschen Seite“ genutzt wird. Die „Tagesschau“ schreibt:
„Ebenso wenig wie die neu entfachte Debatte dürfte der SPD-Parteispitze gefallen, dass die ‚Manifest‘-Initiatoren für ihren Vorstoß Beifall ausgerechnet aus den Reihen der AfD bekommen.“
Auch der SPD-Politiker Detlef Müller nutzt bei X dieses „Argument“:
„Von AfD und BSW gelobt und zur Zusammenarbeit eingeladen zu werden – Höchststrafe. Und maximal beschämend.“
Die Motivation für diese Taktik ist offensichtlich: Wenn Kritik an der unheimlichen Einigkeit unter dominanten Meinungsmachern beim Thema Russland und Rüstung von der AfD kommt, dann konnte das bisher leicht diffamiert werden – aus den Reihen teils prominenter Sozialdemokraten ist das schon erheblich schwieriger. Dass ich das „Manifest“ wichtig finde, auch wenn manche Formulierung vielleicht nicht weit genug geht, habe ich in diesem Artikel beschrieben, aber auch, dass es – angesichts der realen Machtverhältnisse in der SPD – sehr wahrscheinlich nicht in reale Politik umgesetzt werden wird.
Um den mutigen Initiatoren des Papiers Rückenwind zu geben, wäre es hilfreich, wenn viele Bürger die aktuelle Petition zur Unterstützung des SPD-„Manifestes“ unterzeichnen würden – sie findet sich unter diesem Link.
“Weinerliche Melange aus Rechthaberei, Geschichtsklitterung und intellektueller Wohlstandsverwahrlosung“
Einige Reaktionen von „Parteifreunden“ können nur als infam bezeichnet werden und als weiteren Beitrag zu einer Verrohung der gesellschaftlichen Debatte. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Fiedler schreibt bei X:
“Ein ‚Manifest‘ mit u.a. ‘schrittweise Rückkehr zur Entspannung der Beziehungen und einer Zusammenarbeit mit Russland’ … Jetzt gerade? WTF!? … Zusammenarbeit mit einem Kriegsverbrecher, der sich schon für die nächsten Ziele präpariert? Gute Nacht!“
Der ehemalige Abgeordnete Michael Roth schreibt auf X:
“Dieses ‚Manifest‘ ist kein spannender Debattenbeitrag, sondern eine weinerliche Melange aus Rechthaberei, Geschichtsklitterung und intellektueller Wohlstandsverwahrlosung.”
Welche Seite hier tatsächlich intellektuell „verwahrlost“ und gegen unsere Interessen agiert, sollte für die meisten Bürger inzwischen eigentlich offensichtlich sein.
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