„Hast du Angst vor dem Sterben oder hast du Angst, nicht zu leben?“ Letztes Jahr saß ich in einem Kreis von Fremden – halb buddhistische Mönche, halb krankhaft neugierige Bürger – als jemand eine der tiefgründigsten Fragen stellte, die ich jemals gehört hatte. Ich befand mich in einem sogenannten „Todescafé“ in meinem örtlichen buddhistischen Zentrum im Süden Londons. Ein Teller mit Keksen wurde herumgereicht, während die Leute eine Tasse heißen Tee tranken. Mit 29 Jahren war ich eine der jüngsten Teilnehmerinnen an diesem informellen Austausch über Tod und Sterben, der Teil einer Initiative war, die zu offeneren Gesprächen über das Ende unseres Lebens anregen sollte.

Während der Veranstaltung dachten die Teilnehmer über das Leben derer nach, die sie verloren hatten. Man erzählte sich Geschichten über die schönen Momente, die man gemeinsam erlebt hatte. Eine Frau fragte mich, warum ich in meinem Alter überhaupt zu solch einer Veranstaltung komme. Ich schaute mich um, bevor ich plötzlich mehr erzählte, als ich meinen eigenen Freunden und meiner Familie je gesagt hatte.

Schuldgefühle und Scham

Und ich fing an zu erzählen, dass ich lange Zeit an Selbstmord gedacht hatte. Während meiner späten Teenagerzeit und am Anfang meiner Zwanziger wurde ich von meinen Gedanken und Ängsten erdrückt und fühlte mich oft unverstanden.

Nachdem ich professionelle Hilfe (und eine Autismus-Diagnose) erhalten hatte, plagten mich Schuldgefühle und Scham darüber, dass ich nicht erkannt hatte, wie wertvoll das Leben eigentlich ist. Ich bedauerte, dass ich das, was manche Menschen die besten Jahre ihres Lebens nennen, vergeudet hatte. Ich beschloss, jede Gelegenheit wahrzunehmen, um alles, was ich verpasst hatte, nachzuholen. Ich nahm endlose kreative Projekte in Angriff, fuhr in den Urlaub, schrieb Bücher und Drehbücher, drehte Filme und gab Dinnerpartys.

Die perfekte Geburtstagstorte

Ich war in das Todescafé gegangen, nachdem ich ein Werbeplakat für die Treffen gesehen hatte. An diesem Tag erzählte ich, wie ich mich oft auf Meilensteine fixiert hatte, um meinen Erfolg zu messen, und wie ich mich mit anderen verglich und mich als Versagerin fühlte. Wir lachten, als wir feststellten, dass diese Meilensteine, wie etwa ein Universitätsabschluss oder der Besitz einer Immobilie, nie benutzt wurden, um Menschen zu beschreiben, die gestorben waren.

Mir wurde klar, dass meine neu entdeckte Lebensfreude auch ihre Schattenseiten hatte: Ich fühlte mich ausgebrannt, und ich hatte mir nicht genug Zeit gelassen, um die Momente auszukosten, bevor ich zu etwas anderem überging. Nach einer Karriere als Schauspielerin war ich fast über Nacht zur Journalistin geworden, aber anstatt meine neuen Aufträge zu feiern, bewertete ich meinen Erfolg als Autorin daran, wie viele Artikel ich geschrieben hatte. In ähnlicher Weise hatte ich in mehreren großen Fernsehproduktionen mitgewirkt, geriet aber in Panik, wenn ich die nächste nicht in der Tasche hatte. Ich habe acht Stunden damit verbracht, die perfekte Torte für den Geburtstag eines Freundes zu backen, war dann aber bei der Feier selbst völlig erschöpft.

Gedeihen im Unvollkommen

„Die Reise ist das Beste“, lächelte einer der älteren Fremden im Raum. „Der Spaß besteht darin, nicht zu wissen, was passieren könnte.“ Mir wurde klar, dass meine Angst, nicht genug zu leben, bedeutete, dass mein Ego meine Entscheidungen befeuerte. Mein Wunsch, erfolgreich zu sein, rührte von meiner Unsicherheit her, mich anderen gegenüber als Versager zu fühlen. Ich musste mich also darauf konzentrieren, wie ich mich fühlte, und nicht nur darauf, wie toll die Dinge für Fremde aussahen oder klangen. Meine Scham über meine psychische Gesundheit hatte mich in die Defensive gedrängt, so als wäre ich jedem eine Erklärung schuldig, warum ich bestimmte Entscheidungen traf. Doch im Todescafé wurde mir klar, dass ich in meiner Unvollkommenheit gedeihen kann.

An diesem Abend traf ich kranke Menschen, Menschen, die an Reinkarnation glauben, Eltern, die ihre Kinder verloren haben, und eine Frau, die sich um Sterbende kümmert. Viele Fragen, die wir zum Thema Tod hatten, wurden beantwortet, aber wir mussten auch akzeptieren, dass nicht alle Fragen beantwortet werden konnten. Bevor wir gingen, umarmten wir uns.

Offensein für eigene Grenzen

Ich spürte, wie mich ein Gefühl des Friedens überflutete, als mir klar wurde, dass ich keine Bestätigung von anderen mehr brauchte. Stattdessen entschied ich mich, mich selbst zu akzeptieren und meine Vergangenheit anzunehmen. Anstatt zu glauben, dass es der beste Weg ist, das Leben in vollen Zügen zu genießen, indem ich zu allem Ja sage, bin ich offener geworden, wenn es darum geht, meine Grenzen aufzuzeigen. Ich bin auch ein viel geduldigerer Mensch geworden und versuche, präsenter zu sein, wenn ich Zeit mit Menschen verbringe. Dieser Wandel weg von der Gefälligkeit bedeutet zwar, dass ich einige Freunde verloren habe, aber ich habe auch eine stärkere Bindung zu anderen gewonnen.

Seit meinem ersten Besuch bin ich immer wieder in Todescafés in ganz London gegangen, habe neue Leute kennengelernt und bei Tee und Kuchen neue Gespräche über den Tod geführt. In Wahrheit fühle ich mich lebendiger denn je, weil ich das tue.

Elizabeth McCafferty ist Journalistin und Filmemacherin. Sie schreibt regelmäßig für den Guardian



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Von Veritatis

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