Im Westen werden Iraner schnell als Terroristen entmenschlicht. Was vergessen wird: Hier leben ganz normale Menschen wie überall, darunter die Verwandten unseres Autors. Sie befinden sich in Schockstarre. Ein Blick auf die Straßen Teherans
Ein Mann fotografiert ein Gebäude, das bei einem israelischen Angriff auf Teheran beschädigt wurde (13.06.2025)
Foto: Meghdad Madadi/Tasnim News/AFP/Getty Images
Ich wache auf und tue etwas, das ich mir in den letzten Monaten eigentlich erfolgreich abgewöhnt hatte: Ich greife zu meinem Smartphone und gehe online. Sofort erscheinen mehrere Eilmeldungen und Nachrichten. In der vergangenen Nacht fand ein israelischer Großangriff auf den Iran statt. Weitere Breaking News und Analysen der üblichen Experten, Journalisten und Politiker interessieren mich nicht. Stattdessen versuche ich, meinen Cousin Jahed im Iran zu erreichen.
Gemeinsam mit seiner Mutter und Schwester lebt er mittlerweile in Teheran. Vor einigen Monaten sind sie aus Afghanistan geflüchtet. Noch am Abend zuvor telefonierte ich mit Jahed fast zwei Stunden. Wir sprachen wortwörtlich über Gott und die Welt, fragten uns, wie es unseren Freunden in Kabul wohl zurze
, fragten uns, wie es unseren Freunden in Kabul wohl zurzeit ergeht – und ja, ob Israel oder die USA den Iran demnächst angreifen werden. „Das wäre eine Katastrophe. Viel schlimmer als im Irak oder bei uns in Afghanistan“, meinte Jahed. Ich stimmte ihm zu, entgegnete aber, dass in diesen Tagen viele Radikale und Extremisten an der Macht seien. Damit meinte ich nicht nur das iranische Regime, das seit Jahren extremistische Milizen im Irak, in Syrien, im Libanon oder in Jemen unterstützt, sondern auch die rechtsextreme Regierung Benjamin Netanjahus, die weiterhin ihren genozidalen Angriff auf den Gaza-Streifen durchführt und regelmäßig andere Staaten in der Region attackiert und deren Souveränität verletzt.Bei all diesen israelischen Operationen ist stets vom „Kampf gegen den Terror“ die Rede – eine Floskel, die in den letzten zwanzig Jahren immer wieder vorgeschoben wird, um westliche Gewalt zu rechtfertigen – doch immer wurde auch die Tötung von Zivilisten bewusst in Kauf genommen.Dies ist nun wohl auch in Teheran geschehen. Erste Fotos von den mutmaßlichen Tatorten zeigen die Fotos von toten Menschen, die nichts mit den berüchtigten Revolutionsgarden oder dem iranischen Nuklearprogramm zu tun hatten. Teheran ist eine Millionenmetropole – und meine Verwandten dort haben AngstDies sollte nicht verwunderlich sein, denn Teheran ist eine Millionenmetropole. Es ist wichtig, dies zu betonen, da nahöstliche Hauptstädte seit Jahrzehnten als abstrakte Terrorhochburgen dargestellt und regelrecht entmenschlicht werden. Oft gewinnt man dabei den Eindruck, dass Menschenleben in Bagdad, Kabul oder nun auch in Teheran nichts wert sind, da sie ohnehin irgendwie mit den lokalen Diktatoren und Terrorfürsten verwoben sind. Mein Cousin, seine Familie und andere Verwandten von mir leben in verschiedenen Stadtteilen Teherans, ähnlich wie zahlreiche andere Geflüchtete aus Afghanistan und Millionen von Iranerinnen und Iranern, die sich jetzt allesamt in Schockstarre befinden. Während ich diese Zeilen schreibe, finden weitere Angriffe Israels statt. Das Mullah-Regime wertet den israelischen Großangriff als Kriegserklärung und hat bereits einen Drohnenschwarm, der in weiten Teilen abgefangen wurde, in Richtung Tel Aviv geschickt. Als nächster Schritt werden wohl pro-iranische Milizen wie die Houthis im Jemen, die Israel schon seit Monaten in unregelmäßigen Abständen angreifen, verstärkt mobilisiert werden. Und auf den Straßen Teherans? „Dort herrscht schon Chaos“, erklärt mir Jahed, als ich ihn endlich erreiche. Viele Menschen würden bereits Sicherheitsrationen ansammeln und seien mit dem Kauf von Lebensmitteln und Treibstoff beschäftigt.„Sollen wir jetzt zurück nach Afghanistan, zu den Taliban?”Es sei vor allem die urbane Jugend, unter denen auch mein Cousin viele Freunde hat, die nun Angst hat. Sie kennt nicht den Krieg und wisse deshalb auch nicht, wie es weitergeht. Afghanische Geflüchtete finden sich währenddessen in einer gänzlich anderen Lage wieder. „Wir sind hierher gekommen, um unsere Ruhe zu haben und nun das! Sollen wir jetzt zurück zu den Taliban? Ich weiß es auch nicht“, sagt mir meine Tante – halb lachend.Es mag verrückt klingen, aber viele Afghanen und Afghaninnen zeigen ihre unerschütterliche Resilienz oftmals auch durch diesen schwarzen Humor. Witze und Optimismus werden den Nahen Osten allerdings nicht retten. Die gegenwärtige Eskalation erinnert an die ersten Stunden des Irak- oder Afghanistan-Krieges. Nach dem vermeintlichen Ende des zwanzigjährigen „War on Terror“ der Amerikaner dachten viele, dass der Westen aus seinen Fehlern in der Region gelernt hat. Doch spätestens seit dem mutmaßlichen Genozid in Gaza sollte klar sein, dass Gegenteiliges der Fall ist.Denn egal, ob Afghanen, Syrer, Iraner, Jemeniten, Palästinenser oder Libanesen; in der politischen Machthegemonie der Gegenwart sind manche im Orwell’schen Sinn einfach „gleicher“ als die anderen. Solange sich dies nicht ändert, wird auch die Hassspirale, die den Nahen Osten und andere Regionen der Welt seit Jahren heimsucht, nicht verschwinden. Auch im Fall des Irans sollte man vor allem in der westlichen Medienwelt Obacht gegenüber jenen zeigen, die uns als „Experten“ oder „Kenner“ der Region verkauft werden. Es stimmt, dass sehr viele Menschen in Teheran sich nichts sehnlicher wünschen als den Sturz des Mullah-Regimes. Doch der Iran ist ein großes, heterogenes Land. Jene Menschen, sprich, pro-westliche, liberal wirkende Akteure, die die USA und Europa gerne auf das Podest stellen, sind nur ein Teil des Gesamtbildes.Jenes Bild hat man etwa auch in Afghanistan gerne verdrängt, bis man letzten Endes, sprich, nach zwanzig Jahren des Krieges von den Realitäten vor Ort eingeholt wurde.