Der US-amerikanische Künstler David Salle hat einige seiner früheren Gemälde mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz weiterentwickelt. Warum hat er keine Angst, durch sie ersetzt zu werden?


„The Green Vest“ (2025): David Salles Bilder bedienen sich seit jeher bei Popkultur und Kunstgeschichte

Foto: John Berens/David Salle/ARS, New York/Courtesy Thaddaeus Ropac Gallery


Wenn Sie diesen Artikel lesen, ist er wahrscheinlich schon von einer künstlichen Intelligenz (KI) gescannt worden. Fragt man diese nach dem Künstler David Salle, könnte sie für ihre Antwort auch einige der Wörter aus diesem Text neu zusammensetzen. Je größer der Datensatz, desto überzeugender die Antwort – und über Salle ist viel geschrieben worden seit seinem Aufstieg zum Kunstwelt-Star in den 1980er-Jahren. Die Frage ist aber, ob die KI jemals etwas Neues über den Künstler und sein Werk sagen kann oder ob sie für immer dazu verdammt ist, nur Varianten des an sich Gleichen zu produzieren.

Eine ähnliche Frage liegt auch unter der Oberfläche der Gemälde, die Salle seit 2023 schafft, und von denen er gerade eine

Übersetzung: Carola Torti

rade eine neue Serie in der Ausstellung Some Versions of Pastoral in der Londoner Dependance der Galerie Thaddaeus Ropac gezeigt hat. Die Werke hat er mit Hilfe einer Software für maschinelles Lernen erstellt, was auf den ersten Blick aber gar nicht auffällt. Auf den monumentalen Leinwänden sind gestische Pinselstriche zu sehen – wie von Hand mit Ölfarbe gemalt. Bei genauer Betrachtung sind jedoch große Flächen mit flachen, digital gedruckten Untermalungen zu erkennen. Diese sind ein Resultat der Arbeit des KI-Modells, das der Künstler darauf trainiert hat, neue David-Salle-Werke zu schaffen – oder zumindest etwas, das ihnen unheimlich nah kommt.Placeholder image-1Die Zusammenarbeit mit der Maschine begann mit einem Spiel. Salle stand digitalen Mal-Tools lange skeptisch gegenüber, noch 2015 schrieb er: „die wuchernde Ausbreitung des Internets steht im Gegensatz zu der Art von Konzentration, der es bedarf, ein Gemälde zu schaffen, und auch dafür, ein solches zu betrachten“. Etwas Wucherndes haben aber auch seine Gemälde, in denen er Bilder aus einem so breiten Spektrum an pop- und kunsthistorischen Referenzen schichtet, dass das Auge oft nicht weiß, wo es verweilen soll. Bereits 2021 hatte Salle die Idee, ein Computerspiel zu entwickeln, in dem Spieler*innen Elemente aus seinen Gemälden per Drag-und-Drop neu anordnen können.Obwohl sich diese Spiel-Technologie als unbrauchbar erwies, lernte Salle während der Arbeit daran Danika Laszuk, Software-Ingenieurin beim Tech-Startup E.A.T.__Works, und Grant Davis, Erfinder der KI-gesteuerten Skizzenblock-App Wand, kennen. Gemeinsam fütterten sie einen KI-Bildgenerator mit Werken von Künstler*innen, deren Technik Salle als grundlegend erachtet: Andy Warhol für die Farben, Edward Hopper für die Raumillusion, Giorgio de Chirico für die Perspektive, Arthur Dove für die Linie. Dann forderten sie die KI auf Basis von Text-Prompts auf, Bilder zu erzeugen. „Ich habe die KI an die Kunsthochschule geschickt“, sagt Salle.Anfangs war die KI keine Musterschülerin. Unheimliche, cartoonartige Figuren mit unnatürlichem Glanz erinnerten an mit OpenAIs KI-Bildgenerator Dall-E Mini erzeugte Bilder. „Was ist so grundlegend unbefriedigend an diesen digitalen Bildern?“, fragte sich Salle. Die Antwort lag seiner Ansicht nach in den Konturen der Formen: „Weil es nur Pixel sind, gibt es keine echte Unterscheidung zwischen dem Rand von etwas und dem, was sich dahinter befindet“, erklärt er. „Es gibt keine Möglichkeit, der Kontur Bedeutung zu geben. Dabei sagen Konturen in der gegenständlichen Malerei so viel über den Stil von Künstler*innen aus.“ Also fütterte er die KI mit Scans seiner Gouachen und beobachtete, wie die digitale Intelligenz auf deren wässrige Konturen reagierte. „Sie konnte die Körperlichkeit des Pinselstrichs erkennen“, erinnert er sich. „Das hat die Art und Weise, wie die KI über sich selbst denkt, fundamental verändert.“Salle hat an verschiedenen Institutionen gelehrt. Der Lernprozess mit der KI erinnerte ihn an Seminare an der Kunsthochschule. Nur dass die KI extrem schnell lernt. Innerhalb weniger Sitzungen konnte sie Bilder generieren, die sich Salle zwar selbst hätte ausdenken können, allerdings hätte er dafür viel mehr Zeit benötigt. „Die KI kann innerhalb von Sekunden Bilder erzeugen“, sagt er. „Eine solche Entwicklung in der Malerei würde Jahre oder Jahrzehnte dauern.“Geboren im US-Bundestaat Oklahoma und aufgewachsen in Wichita, einer Stadt in Kansas, betrat Salle 1980 die New Yorker Szene. Sieben Jahre später war er bereits einer der geschätztesten Maler seiner Generation und mit 34 wurde er zum jüngsten Künstler, dem das Whitney Museum of American Art eine Mid-Career-Retrospektive widmete. Ein solch steiler Aufstieg bedeutete eine große Fallhöhe auf dem Kunstmarkt, als figurative Malerei aus der Mode kam. Salle arbeitete trotzdem weiter an immer ambitionierteren Serien, einschließlich derer, die jetzt den Kern der New Pastorals bildet. Heute ist figurative Malerei wieder relevant – und Salle hat den Moment abgepasst. Oder der Moment ihn.Für die neuen Werke hat Salle die KI auf Basis seiner großformatigen Pastoralen aus den Jahren 1999 und 2000 trainiert. Diese surreal wirkenden Landschaften zeigen ein Paar an einem See. Das Motiv hat er von einem Opern-Bühnenbild aus dem 19. Jahrhundert übernommen. Die Farben sind schrill, über der Szene liegen Bilder und Muster unterschiedlichster Stile. Bereits diese Gemälde sehen aus, als wären sie mit Photoshop bearbeitet worden, aber Salle malte sie damals analog.Wie aus dem MixerDie ersten Kritiken zu den Pastoralen fielen gemischt aus. Einige Kritiker*innen beschrieben sie als kalt und gefühllos, ein Vorwurf, der Salle oft gemacht wird, denn sein Auftreten kann so distanziert und verkopft wirken wie seine Bilder. Mit den neuen Pastoralen scheint sich etwas verändert zu haben. Die Pinselstriche sind lockerer, schneller und kräftiger, stärker abstrakt-expressionistisch als alles andere von Salle.Die Motive sind ein großes Durcheinander, als hätte er all seine frühen Bilder in einen Mixer gesteckt. Kopflose Körper ragen halb ins Bild hinein, die Gegenstände schweben. Beunruhigenderweise sehen diese Arbeiten handgemalter aus als ihre Vorbilder. Zumindest, bis man sich ihrer Oberfläche nähert. Dort ist die Farbe an einigen Stellen so dünn, dass sie nur eine Maschine aufgetragen haben kann.Salle hatte immer schon das Gefühl, noch nicht mit den Pastoralen abgeschlossen zu haben. Allerdings sagt er, dass es andere Gründe gegeben habe, warum sie gut zu seinem KI-Experiment passten. „Mir wurde klar, dass diese Gemälde der Maschine Material liefern würden, das sie auf ihre Weise verstehen würde“, erklärt er. „Sie nahm all diese facettenreichen Formen in unterschiedlichen Farbharmonien und spielte mit ihnen herum – behielt aber die DNA des Überblendens, die Horizontlinie, die Berge, das Wasser, das Paar und die Figuren bei und legte dann die Struktur des Pinselstrichs darüber.“Wand-App-Erfinder Davis begreift die Einspeisung der Pastoralen als Durchbruch für das KI-Modell, weil sie eine neue Technik erforderlich machte, „die im Grunde ein Bild nimmt und den Inhalt abstrahiert, um daraus Variationen zu erzeugen“. Die KI begann also, die Gemälde von Salle auf formaler Ebene zu verarbeiten. Und die Pastoralen waren vielleicht auch deshalb gut geeignet für das Training der KI, weil das Genre der Landschaftsmalerei – und auch Bühnenbilder – digitalen Technologien ähnelt, was die Schaffung der Raumillusion angeht. Die Neuen Pastoralen verweigern sich dem kunsthistorischen Imperativ, Tiefe in einem flachen Gemälde zu erzeugen.Sorgen darüber, dass KI ihn ersetzen wird, hat er nicht. Er versteht sie als Werkzeug, wie einen Pinsel oder eine Staffelei. Seine KI-generierten Werke schöpfen wie Allesfresser aus Themen und Stilen und scheren sich wenig um das Konzept von Originalität. 1985, als Salle auf dem Höhepunkt seines Ruhmes war, bezeichnete die Kunsthistorikerin Rosalind Krauss Originalität als „modernistischen Mythos“; jedes Kunstwerk übernehme etwas aus anderen Quellen, ob es diese nun anerkenne oder nicht. Zumindest im Vorgehen unterscheiden sich menschliche Künstler*innen damit vielleicht gar nicht so sehr von ihren Roboter-Verwandten.Was die KI langfristig von Salle übernehmen könnte, ist eine andere Frage. Die von E.A.T.__Works gesammelten Daten sind urheberrechtlich geschützt. Sein Feedback wird daher in der nahen Zukunft keine anderen künstlerisch tätigen KIs antreiben, obwohl die Fotos seiner neuen Gemälde auf der Website der Galerie durchaus als Anregung für KI-generierte Bilder dienen könnten. „Theoretisch könnte unser Modell selbstständig Bilder erzeugen“, räumt Davis ein, „aber die besten Bilder entstehen mit einer Technik, die sehr viel Handarbeit erfordert“. Noch braucht die KI Menschen, die sie trainieren – zumindest so lange, bis die Schülerin zur Lehrerin wird.



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Von Veritatis

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