Der DB-Konzern meint es gut mit seinen Kunden. Damit Senioren und Geschäftsleute stressfrei reisen können, vergrault er lärmende Kinder samt Eltern mit saftigen Gebühren für die Platzbuchung. Das passt zur Unternehmensphilosophie: Irgendwie Herumwursteln, hoffen, dass es gut geht, und überrascht tun, dass alles schlechter wird. Ein ICE-Zugführer wollte ein Zeichen setzen und setzte in Nürnberg alle Passagiere vor die Tür. Wogegen? Weswegen? Das bleibt ein Rätsel. So wie der Kurs der Bahn. Von Ralf Wurzbacher.

Am Dienstag dieser Woche endete eine Bahnfahrt von München nach Hamburg schon an der ersten Station. In Nürnberg schmiss das Bordpersonal alle Passagiere einfach raus. Man wolle ein Zeichen setzen, lautete die Durchsage. „Dieser Zug ist uns zu dreckig, um damit weiterzufahren.“ Ihre Reise konnten die Verbannten erst eine Stunde später fortsetzen, mit einem hoffnungslos überfüllten ICE, in dem sich die Fahrgäste „förmlich gestapelt“ hätten. Anspruch des Unternehmens wären „hohe qualitative Standards“, gab ein Konzernsprecher später zu Protokoll. Das sei hier „leider nicht gegeben“ gewesen. Allerdings handele es sich um „einen Einzelfall“ …

Was den Zugchef tatsächlich zu dem Schritt bewogen haben mag, bleibt ungeklärt. Denkbar, dass er einfach seinem Frust Luft machen wollte, weil er nicht schon wieder ein unzulänglich präpariertes Gefährt stundenlang durch die Lande gondeln wollte. Irgendwann reicht’s halt! Vielleicht gefiel ihm aber auch nur die Symbolik des Ganzen und die Idee, damit eine Steilvorlage für Journalisten zu liefern. Denn ebenfalls am Dienstag machte eine Neuigkeit die Runde, die ein Faible zum Rausschmeißen auf einer höheren Ebene, nämlich der DB-Chefetage, offenbart. Wie die Bahn in einer Mitteilung zum bevorstehenden Fahrplanwechsel verbreitete, biete man „ab 15. Juni keine Familienreservierungen mehr an“ und weiter: „Alle Reisenden – auch Kinder – zahlen den Preis einer einzelnen Sitzplatzreservierung.“

Tritt in den Hintern

Das wird teuer. Bislang zahlt eine bis zu fünfköpfige Familie für eine Sitzplatzbuchung in der Zweiten Klasse 10,40 Euro. Künftig werden für nur vier Reisende 22 Euro fällig, zu fünft 27,50 Euro, für Hin- und Rückfahrt zusammen 55 Euro. Das ist viel Geld dafür, dass man noch keinen Meter zurückgelegt hat. Tatsächlich zieht auch der Preis für die einzelne Reservierung an, von 5,20 Euro auf 5,50 Euro. Für die Erste Klasse werden es 6,90 Euro statt 6,50 Euro sein. Wohl gar nicht so wenige dürften dies wie einen Tritt in den Hintern empfinden. Mit dem Nachwuchs, insbesondere Kleinkindern, per Bahn unterwegs zu sein, kann sehr herausfordernd sein. Noch am entspanntesten reist es sich im geschlossenen Abteil, wo man unter sich ist und von mosernden Insassen, sie sich an Babygeschrei oder „verzogenen Bälgern“ stören, verschont bleibt. Aber was machen demnächst Familien, die es finanziell nicht so dicke haben? Letztlich gibt es zwei Optionen: Nicht mehr reservieren und Gefahr laufen, sich wild verstreut im Großraumwagen aus Augen und „Ohren“ zu verlieren. Was allerhand Stress mehr verspricht. Oder sie lassen es ganz bleiben und nehmen Reißaus von der Deutschen Bahn.

Das sind zwei schlechte Alternativen. Entsprechend empört haben Bahn-, Umwelt- und Sozialverbände auf den Kurswechsel reagiert. „Die Deutsche Bahn scheint Familien ins Auto treiben zu wollen“, monierte die Verkehrsexpertin bei Greenpeace, Lena Donat. „Wenn eine vierköpfige Familie allein für die Reservierung 44 Euro hinblättern muss, dann ist das mehr, als viele Autos auf 400 Kilometern an Sprit verbrauchen.“ Die Vorstandsvorsitzende des Sozialverbands Deutschland (SoVD), Michaela Engelmeier, erklärte: „Jede zusätzliche Belastung trifft besonders Haushalte mit kleinen Einkommen und erschwert die Entscheidung für eine klimafreundliche Anreise mit der Bahn“. Gerade Familien mit Kindern sind auf reservierte Sitzplätze angewiesen“, äußerte die Bundesvorsitzende Kerstin Haarmann vom ökologischen Verkehrsclubs VCD. „Auf sie kommt jetzt de facto eine erneute Preiserhöhung zu, nur ein halbes Jahr nach der letzten regulären Erhöhung im Dezember.“

Ruinöse Rettung

Oder sie bleiben einfach weg, weil der Preishammer ihr schmales Budget zertrümmert. In der Kalkulation des DB-Managements spielen solche Verluste offenbar keine Rolle. Man will eben irgendwie kurzfristig mehr rausholen, koste es was wolle, schließlich ist man ja so gut wie pleite, bei weit über 30 Milliarden Euro Schulden und notorischen Bilanzdesastern. Gerade im Fernverkehr spielt man Jahr für Jahr riesige Verluste ein, 2024 knapp 100 Millionen Euro, bei sinkender Verkehrsleistung, sinkenden Fahrgastzahlen, weniger Pünktlichkeit und weniger Kundenzufriedenheit. Jeder Kaufmann bei Verstand würde bei der Ausgangslage seine Preispolitik überdenken und sein Angebot attraktiver machen.

Aber die Bahn, die tickt anders! Sie schlägt fast im Halbjahrestakt bei den Preisen auf, stößt Bahncard-Fahrer vor den Kopf, indem sie die Offerte an ein digitales Kundenkonto knüpft, und sperrt im Rahmen der sogenannten Generalsanierung über Monate wichtige Magistralen, während es im Ausland Usus ist, Reparaturarbeiten „unter rollendem Rad“, also bei laufendem Betrieb, zu erledigen. Die NachDenkSeiten hatten bereits an verschiedenen Stellen aufgezeigt (zum Beispiel hier), dass sämtliche jüngeren, durch Bahn-Führung und Bundesregierung getroffenen und geplanten Maßnahmen zur „Rettung“ der Bahn das exakte Gegenteil bewirken. Kapitalerhöhung, Schienenmaut, Netzertüchtigung, Deutschland-Ticket, DB-Cargo-Sanierung – die Effekte sind immer dieselben: Die Angebote im Fern-, Regional- und Güterverkehr werden beschränkt, die Preise erhöht, die Kunden vergrault und die ökologische Verkehrswende sabotiert.

Vor der Zerschlagung

Das alles mutet wie ein Crashkurs mit Vorsatz an und eine Einladung an die Neoliberalen, die Bahn zu zerschlagen und das Schienennetz für noch mehr Wettbewerber zu öffnen, auch im Fernverkehr. Damit war eigentlich schon mit dem Regierungswechsel zu rechnen, aber ganz so schnell geht es wohl nicht. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD ist lediglich davon die Rede, die Netzsparte InfraGO „vom Konzern weiter entflechten“ zu wollen, jedoch „innerhalb des integrierten Konzerns“. Das wiederum könnte nur ein Schritt auf dem Weg zum großen Ausverkauf sein. CDU/CSU wie auch die Grünen, die FDP sowieso, dazu mit der Monopolkommission, dem Bundeskartellamt und dem Bundesrechnungshof drei Bundesbehörden von Rang, propagieren eine komplette Trennung von Infrastrukur und Fahrgeschäft. Das Netz soll demnach von der öffentlichen Hand in Schuss gebracht und unterhalten werden, auf dass alsbald möglichst viele Privatbahnen darauf Profite einfahren. Die taumelnde DB selbst geriete so mithin zum Übernahmekandidaten. Womöglich sind der Verkauf des Spediteurs DB-Schenker und die drohende Zwangsveräußerung der Frachtsparte DB Cargo dafür die Vorboten.

Die Bundesregierung hinterlässt jedenfalls nicht den Eindruck, als wollte sie den Gang der Dinge aufhalten. Als Vorgesetzter von DB-Vorstandsboss Richard Lutz wäre es ein Leichtes für Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU), die Abschaffung der Familienreservierung zu verhindern. Dafür bedürfte es bloß eines Machtwortes. Stattdessen ist von ihm kein Piep zu vernehmen. Vom CDU-Verkehrsexperten Christoph Ploß kam lediglich die Anregung, das Vorgehen zu überdenken. Sitzplatzreservierungen könnten sinnvoll sein, um die Auslastung der Züge im Sinne der Bahnnutzer zu organisieren und zu steuern. „Klar ist: Dabei dürfen Familien nicht über Gebühr belastet werden.“

Ein-Kind-Politik

Der gute Rat verpuffte. Die Bahn-Führung hat trotz des öffentlichen Drucks verkündet, die Sache durchzuziehen. Immerhin bleibe es dabei, dass Kinder bis einschließlich 14 Jahre in Begleitung eines Erwachsenen kostenlos befördert werden (von der Reservierung abgesehen). Außerdem habe die alte Regelung einen Vorteil erst ab drei Personen gebracht, ließ die Pressestelle verlauten. Dagegen werde die Familienreservierung „zu einem großen Teil von Reisendenkonstellationen bestehend aus einem Erwachsenen mit einem Kind gebucht“. Wenn das (wirklich) so ist, kann man die Ein-Kind-Politik ja getrost weiter praktizieren und für größere „Sippschaften“ nachhaltig die Tür verrammeln.

Übrigens verhält sich DB-Frontmann Lutz in der Angelegenheit bisher auffällig schweigsam. „Sowohl beim DB-Konzern als auch bei der InfraGO soll eine Neuaufstellung von Aufsichtsrat und Vorstand erfolgen, mit dem Ziel, mehr Fachkompetenz abzubilden und eine Verschlankung zu erreichen“, steht im schwarz-roten Regierungsprogramm geschrieben. Lutz müsste demnach eigentlich kurz vor der Zwangsdemission stehen. Wer weiß? Vielleicht wollte er seinen Rauswurf nur beschleunigen. Was aber, wenn er noch gebraucht wird? Als Sündenbock!

Titelbild: unguryanu / shutterstock.com



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Von Veritatis

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