In Stockholm tagen die Bilderberger: Sie stellen im Geheimen die Weichen der Weltpolitik – und heben höchste Repräsentanten auf den Thron. Transparenz und demokratische Legitimation? Fehlanzeige!
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Telfs-Buchen, 11. Juni 2015: Das Interalpen-Hotel gleicht einer Festung. Schwer bewaffnete Einsatzkräfte der österreichischen Polizei schirmen das Tiroler Luxus-Resort ab, Hubschrauber umkreisen das Bergplateau in 1.300 Metern Höhe, während schwarze Nobelkarossen mit verdunkelten Scheiben vorfahren. Aus einem der gepanzerten Wagen steigt Ursula von der Leyen aus – zu dieser Zeit Verteidigungsministerin. Schnellen Schrittes eilt sie ins Fünf-Sterne-Haus, wo schon die anderen Gäste warten.
«Das signifikanteste diskrete Forum für westliche Eliten.» Richard Aldrich
Die Deutsche folgt an diesem Tag zum ersten Mal der Einladung eines elitären Klubs, der das Licht der Öffentlichkeit scheut. Die jährlich stattfindenden Treffen unterliegen strengster Geheimhaltung, werden als private Zusammenkünfte deklariert. Dabei gibt sich dort die Crème de la Crème aus Politik, Wirtschaft, Finanzwelt, Medien und Hochadel die Klinke in die Hand. Offenbar passt die Niedersächsin in die diskrete Runde, denn auch 2016 in Dresden, 2018 in Turin und 2019 in Montreux wird sie dabei sein. Kurz darauf ist sie EU-Kommissionspräsidentin.
Geheimakte Europa
Man könnte meinen, dass von der Leyens viermalige Teilnahme an den Konferenzen der Bilderberg-Gruppe etwas mit ihrem Aufstieg zur höchsten Repräsentantin der Europäischen Union zu tun hätte. Jedenfalls wäre sie nicht die Erste, für die das Forum eine Art Karrieresprungbrett war.

Helmut Schmidt nahm 1973 an dem Treffen im schwedischen Saltsjöbaden teil – ein Jahr später wurde er Bundeskanzler. Ähnlich verhielt es sich mit Helmut Kohl, der 1982 im norwegischen Sandefjord bei den Bilderbergern zu Gast war und kurz darauf Amtsinhaber Schmidt durch ein konstruktives Misstrauensvotum stürzte. Maßgeblich beteiligt daran war Otto Graf Lambsdorff, der mit Kohl zusammen nach Norwegen gereist war. Angela Merkel wurde im Frühjahr 2005 zur Konferenz nach Rottach-Egern geladen und konnte nur wenige Monate danach ins Kanzleramt einziehen.
Die illustre Runde traf sich erstmals Ende Mai 1954 im holländischen Oosterbeek. Tagungsort war das noble Hotel De Bilderberg, nach dem die Gruppe benannt ist. Eingeladen hatte damals Prinz Bernhard der Niederlande, einst Hitler-Verehrer, dann Verbindungsoffizier der Alliierten in London.
Eigentlicher Strippenzieher war jedoch der Pole Jozef Retinger. Während des Zweiten Weltkrieges war er Berater von Wladyslaw Sikorski, dem Ministerpräsidenten der polnischen Exilregierung in London. Später rief der gebürtige Krakauer die Europäische Bewegung ins Leben.
So wurden denn auch auf den Bilderberg-Konferenzen die ersten Schritte zur sogenannten europäischen Integration geplant – mit Unterstützung US-amerikanischer Kreise. Der britische Historiker Richard Aldrich schreibt in seinem Buch OSS, CIA and European Unity, «dass die Römischen Verträge {die Geburtsurkunde der Europäischen Gemeinschaft von 1957} ihren Ursprung in den Diskussionen bei Bilderberg im Jahr zuvor hatten».
Bereits 1948 hatten Allen Dulles, der spätere Chef der CIA, und William Donovan, von 1942 bis 1945 Leiter des CIA-Vorgängers OSS, das American Committee for a United Europe (ACUE) gegründet. Wie der britische Telegraph im Jahr 2000 unter der Überschrift «Euro-Föderalisten von US-Spionen finanziert» berichtete, sponserte dieses Komitee Retingers Bewegung. Die ACUE wiederum wurde «durch die Ford-Stiftung und die Rockefeller-Stiftung sowie durch Konzerne mit engen Verbindungen zur US-Regierung» gefördert.
«Mit einigen der wichtigsten Leute in der Welt zu fraternisieren, ist wie eine Droge.» Andrew Kakabadse
Aldrich schreibt: «Es ist auffällig, dass die drei wichtigen transnationalen Elite-Gruppen in den 1950ern aufkommen: Die Europäische Bewegung, die Bilderberg-Gruppe und Jean Monnets Aktionskomitee für die Vereinigten Staaten von Europa haben alle dieselben Ursprünge und bekommen aus denselben Gruppen ihre Unterstützung. Obwohl Bilderberg und die Europäische Bewegung im Allgemeinen Gründer, Mitglieder und Ziele teilten, stellte Bilderberg wohl den effektiveren Mechanismus des transatlantischen Dialogs dar und entwickelte sich zu etwas, was manche als das signifikanteste diskrete Forum für westliche Eliten ansehen.»
Pyramide der Macht
Kennzeichnend für die Bilderberger ist nach wie vor eine Politik der strikten Geheimhaltung. Zwar gibt die Organisation seit einigen Jahren vorab offizielle Teilnehmerlisten heraus und umreißt die Agenda der jeweiligen Konferenz mit einigen Schlagworten, doch die Presse bekommt keinen Zutritt zu den Treffen der Reichen und Mächtigen. Was genau besprochen wird, soll niemand erfahren.
Der Aufbau der Bilderberg-Gruppe gleicht einer Pyramide: An der Spitze steht ein innerer Kreis, der den Namen Advisory Group trägt und dessen Mitglieder auf Lebenszeit ernannt werden. Diese Top-Insider treffen sich auch zwischen den jährlichen Konferenzen und entscheiden darüber, wer auf die Gästeliste gesetzt wird. Dem Gremium gehörten beispielsweise der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger an und Milliardär David Rockefeller bis zu ihrem Tod an. Die nächste Ebene bildet das Steering Committee (Lenkungsausschuss), auf der dritten, der untersten Ebene befinden sich die jeweiligen Teilnehmer der jährlichen Konferenzen, die allesamt zur Verschwiegenheit verpflichtet werden.
Der britische Guardian zitierte 2001 den früheren Labour-Minister Denis Healey, der 30 Jahre lang Mitglied im Steering Committee war, mit den Worten: «Zu behaupten, wir strebten nach einer Eine-Welt-Regierung, ist übertrieben, aber nicht gänzlich unfair.» Bilderberg sei «eine Möglichkeit, Politiker, Industrielle, Finanziers und Journalisten zusammenzubringen». Man sei vor allem «daran interessiert, jüngere Politiker, deren Stern im Steigen begriffen ist, einzubeziehen und sie mit Finanzleuten und Industriellen zusammenzubringen, die ihnen ihre Erfahrungen und Erkenntnisse vermitteln können». Dies erhöhe «die Chance, eine sensible globale Politik zu betreiben».
Genau das kritisiert der Ökonom Andrew Kakabadse, Autor des Buches Bilderberg People: «Da trifft sich eine Gruppe von Leuten, die ihre Weltsicht und Philosophie durchsetzen will.» Die Bilderberg-Konferenz sei ein Türöffner. «Mit einigen der wichtigsten Leute in der Welt zu fraternisieren, ist wie eine Droge.»
«Alles, was mit politisch relevanten … Entscheidungen zu tun hat, … kann niemals privat sein.» Hans-Jürgen Krysmanski
Der eigentliche Skandal des Bilderberg-Systems liegt darin, dass gewählte Abgeordnete, Minister und mitunter sogar Regierungschefs oder Spitzenvertreter internationaler Organisationen – unter Ausschluss der Öffentlichkeit, ohne demokratische Legitimation und als privat deklariert – mit Vertretern der Finanzoligarchie und Industriekapitänen kungeln und womöglich weitreichende Entscheidungen treffen, ohne darüber Rechenschaft ablegen zu müssen.
Der Münchner Mediensoziologe Rudolf Stumberger sagte dazu im Deutschlandfunk: «Es ist ja schon so, dass, wenn sich die Reichen und Mächtigen zusammensetzen und über die Welt reden, wir als Bürger davon in irgendeiner Art und Weise früher oder später betroffen sind. (…) Und daher ist das schon ein merkwürdiges Gefühl, wenn diese Treffen fernab jeder demokratischen Öffentlichkeit stattfinden.» Dies komme einer «Re-Feudalisierung» gleich: «Das heißt, dass neben den offiziellen Strukturen, neben den demokratischen Strukturen, die inoffiziellen Strukturen zunehmend wieder an Gewicht gewinnen. Und diese Eliten, diese selbsternannten Eliten, die oben sitzen, die schotten sich zunehmend ab.»
Rockefellers Welt
Die langjährige graue Eminenz der Bilderberger, David Rockefeller, hatte ein sehr spezielles Verständnis von der Weltpolitik. 1991 trompetete er: «Wir sind der Washington Post, der New York Times, dem Time Magazine und anderen großen Medien dankbar, deren Direktoren unseren Treffen beiwohnten und sich an ihr Versprechen, Diskretion zu wahren, beinahe 40 Jahre lang gehalten haben. Es wäre uns unmöglich gewesen, unseren Plan für die Welt zu entwickeln, hätten wir all diese Jahre im hellen Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit gestanden.» Und er fügte hinzu: «Die supranationale Souveränität einer intellektuellen Elite und der Bankiers der Welt ist der in den vergangenen Jahrhunderten praktizierten nationalen Selbstbestimmung sicherlich vorzuziehen.»
Auch für den 2016 verstorbenen Soziologen Hans-Jürgen Krysmanski, Autor des Buches Hirten & Wölfe. Wie Geld- und Machteliten sich die Welt aneignen, waren fehlende Transparenz und demokratische Legitimation das eigentliche Problem: «Das Wichtige und Interessante ist eben, dass diese informellen Netzwerke aus zwei Richtungen gesehen werden können. Sie können einerseits gesehen werden als etwas, was notwendig ist, was man aber transparent machen muss. Oder sie können gesehen werden als etwas, das nicht transparent gemacht werden muss, sondern das als eine Tür dient, hinter der dann auch heikle Entscheidungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit gefällt werden.»
Krysmanski bestritt auch den angeblich privaten Charakter der Treffen: «Abgesehen mal von familialen Bezügen, aber alles, was mit politisch relevanten Inhalten und Diskussionen und Entscheidungen zu tun hat, ob das in vertraulichen Beratungen erfolgt oder im Parlament selber, kann niemals privat sein beziehungsweise ist immer irgendwie öffentlich.»
Globales Schachbrett
Wenn einflussreiche Kreise Pläne im Geheimen schmieden, von denen die Bevölkerung keinen blassen Schimmer hat, gerät Demokratie zur reinen Staffage. Ohnehin stellt sich die Frage, ob die Welt – getreu der Bilderberg-Ideologie – nur noch als geostrategisches und ökonomisches Schachbrett zu betrachten ist, auf dem mächtige Akteure aus Politik, Wirtschaft und Finanzwelt ihre Züge ohne Rücksicht auf die Belange der Völker und Staaten spielen können – oder ob die internationale Ordnung auf den Grundsätzen von Frieden, Freiheit und Souveränität aufgebaut sein sollte.
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