In der Affäre um die Beschaffung von Schutzmasken in der Pandemie wird die Luft für Jens Spahn immer dünner. Neue Veröffentlichungen aus einem zentralen Kapitel in dem Sonderbericht über die Beschaffungsmaßnahmen zu Beginn der Pandemie belasten den ehemaligen Gesundheitsminister schwer.
Eigentlich will die neue Gesundheitsministerin und Parteikollegin von Spahn, Nina Warken, das interne Gutachten unter Verschluss halten, einzelne Ausschnitte werden aber sukzessive durch verschiedene Medien aufgedeckt. Jetzt haben NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung die nächsten Auszüge, diesmal aus dem zusammenfassenden Kapitel, veröffentlicht.
Dort wirft die SPD-Sonderermittlerin Margaretha Sudhof dem jetzigen Vorsitzenden der Unionsfraktion ein „fehlendes ökonomisches Verständnis“ vor, das gepaart mit politischem Ehrgeiz dazu geführt haben könnte, dass der Gesundheitsminister nicht als „Team Staat“, sondern vielmehr als „Team Ich“ handelte beziehungsweise handeln ließ. Letztlich sei daraus „das Drama in Milliarden-Höhe“ entstanden, bei dem sich der CDU-Politiker „nachweislich gegen den Rat seiner Fachabteilungen“ vorgenommen habe, „die Beschaffung allein meistern zu wollen“.
Außerdem wird Spahn in dem Bericht eine undurchsichtige Aktenführung vorgeworfen: Für die Beschaffung sei „per SMS und Messenger (im Wesentlichen wohl WhatsApp) kommuniziert“ worden – wobei „die Messenger- und SMS-Kommunikation nicht archiviert“ wurde. Überdies habe Spahn „immer wieder persönlich interveniert“ und dafür nicht die Mailadresse des Ministeriums, sondern seine Bundestagsadresse verwendet.
Bereits in den vergangenen Tagen hatte es Berichte über Ausschnitte aus dem Sonderbericht gegeben, aus denen hervorgeht, dass Spahn den persönlichen Kontakt zu Händlern und Lieferanten suchte (Apollo News berichtete) und dabei auch die Empfehlungen der Fachabteilung des Gesundheitsministeriums ignorierte.
Spahn hatte zur Beschaffung von Masken im Frühjahr 2020 ein Open-House-Verfahren initiiert. Konkret wurde von dedizierten Lieferverträgen abgesehen, Lieferanten sollten vielmehr einen Festpreis pro Maske erhalten, wobei die Anzahl der Lieferungen nicht gedeckelt wurde. Die Fachabteilung schlug einen am Durchschnitt orientierten Preis von 2,83 Euro pro Maske vor – Spahn handelte wenig später 4,50 Euro, mit Mehrwertsteuer sogar 5,36 Euro, pro Maske aus (mehr dazu hier).
Insgesamt könnte so nach jetzigem Stand bis zu 623 Millionen Euro zu viel ausgegeben worden sein. Doch damit nicht genug: Insgesamt wurden unter Spahn rund sechs Milliarden Euro zur Beschaffung von Masken ausgegeben, wobei 1,7 Milliarden Masken nicht in Deutschland verteilt oder teilweise bereits zerstört wurden – deren Lagerung kostete dennoch Geld.
Weil das Open-House-Verfahren außerdem keine Obergrenze vorsah und sich der CDU-Politiker bald mit einer Flut an Maskenlieferungen überschwemmt sah, wurden einige Verträge unter Verweis auf Qualitätsmängel oder verspätete Lieferungen gekündigt. Das ließen sich etwa 100 Lieferanten aber nicht gefallen: Vor Gericht muss sich die Bundesrepublik mittlerweile wegen der gekündigten Abmachungen verantworten – in dutzenden Verfahren geht es um insgesamt 2,3 Milliarden Euro.
Sudhof schreibt in ihrem Bericht überdies: „Weitere erhebliche Risiken stehen allerdings heute noch aus und werden sich absehbar künftig noch im Bundeshaushalt niederschlagen.“ Mit anderen Worten: Die Sonderermittlerin geht davon aus, dass sich die Summe, die letztlich auf den Steuerzahler zurückfällt, noch in den Milliardenbereich erhöhen könnte.
Konfrontiert mit den neuen Veröffentlichungen von NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung sagte Spahn, er habe „in der damaligen Notsituation bei der Beschaffung unkonventionelle Wege“ gehen müssen, weil die vorgesehenen Wege „nicht funktionierten“. Außerdem äußerte er deutliche Kritik an dem Sonderbericht und dessen Autorin: Sudhof habe „nicht nur Sachfragen behandelt, sondern umfangreich persönliche Wertungen vorgenommen“, so der CDU-Politiker.