Lesen Sie heute Teil 33 von „Putins Demokratur“. Warum ich Buch hier auf meiner Seite veröffentliche, können Sie hier in meiner Einleitung zum ersten Beitrag finden. 

Die Reaktion fiel harsch aus. »Das ist absurd«, empörte sich mitten im Bundestags-Wahlkampf der smarte Mann, der entfernt an Hollywood-Star Tom Cruise erinnert: »Ein solches Angebot gibt es nicht. Der Bundeskanzler konzentriert sich darauf, die Wahl zu gewinnen.« Es war eine Information aus Moskau, die Regierungssprecher Béla Anda am 19. August 2005 so aus der Ruhe brachte. Vorausgegangen war der barschen Antwort aus Berlin eine Szene in Moskau, wie es sie eigentlich nur in schlechten Agentenfilmen geben sollte. »Boris, lass uns spazieren gehen, und schalte dein Handy aus«, sagte mir der Mann mit den exzellenten Kontakten bis zur Kremlspitze. Wer hinter einer solchen merkwürdigen Aufforderung unschickliche Avancen vermutet, ist mit den Gegebenheiten im heutigen Moskau nicht vertraut. Wie zu Sowjetzeiten geht man wieder auf die Straße, wenn man Vertrauliches zu besprechen hat. Für so viel Misstrauen hat man Gründe, wenn man einmal mit anhören musste, wie sich die Wachleute im Hof über einen unterhalten und Gespräche zitieren, die man eindeutig ohne sie in den eigenen vier Wänden geführt hat.

Was er zu sagen habe, fuhr mein Gegenüber fort, würde mich sicher interessieren, was sich als höfliche Untertreibung herausstellte. Was ich hörte, hatte für Deutschland mitten im Wahlkampf die Sprengkraft einer politischen Bombe: Moskau wolle Gerhard Schröder ein finanzielles Trostpflaster im Falle einer Wahlniederlage bieten – einen üppig dotierten Vertrag mit Gazprom oder einer Konzerntochter. Meine erste Reaktion war nicht freundlich: »Das ist doch Blödsinn!« Mein Gegenüber brauchte einige Geduld und noch mehr Details, um mich zu überzeugen, dass er nicht scherzte. Mein Informant blieb auch bei seiner Aussage, als er von dem entschiedenen Dementi aus dem Bundeskanzleramt erfuhr. »Was? Du glaubst dem Kanzleramt mehr als mir? Wollen wir wetten? Du wirst sehen – denk an meine Worte.« Ich stotterte etwas von Pressekodex, dass wir einen so schwerwiegenden Verdacht nicht einfach so abdrucken könnten, doch er unterbrach mich lächelnd: »Mach dir nichts draus. Ich habe kein Problem damit!«

Einen Monat später, September 2005. Zehn Tage vor der Bundestagswahl besucht Präsident Putin seinen Duzfreund Schröder in Berlin. Die Visite war eigentlich für später geplant und wurde nach dem Neuwahlbeschluss vorgezogen. Mitgereist ist Gazprom-Chef Miller. Auf der Tagesordnung steht die Besiegelung einer seit langem geplanten und in Osteuropa heftig umstrittenen Gaspipeline von Russland nach Deutschland durch die Ostsee.

Zwei Monate später, Oktober 2005. Kurz nach der verlorenen Bundestagswahl, mitten im Koalitionspoker, reist Noch-Bundeskanzler Gerhard Schröder nach Sankt Petersburg und besucht Putins Geburtstagsfeier. Ein kurzer Satz lässt aufhorchen. Wie er sich denn so fühle bei seinem letzten Besuch, wird Schröder gefragt. »Wer sagt Ihnen denn, dass ich das letzte Mal da bin?«,

kommt die Antwort. In den Koalitionsverhandlungen wird Schröders Vertrauter, Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier, zum Außenminister auserkoren. Steinmeier hat gute Kontakte zum Kreml und auch zu Dmitri Medwedew – damals Erster Vizepremier und Aufsichtsratschef von Gazprom.

Vier Monate später, Dezember 2005. Ein Anruf. »Boris, du erinnerst dich sicher an unser Gespräch! Wie läuft die Arbeit? Schönes Wetter heute! Ja, und viel Arbeit. Ja, und übrigens, hör heute mal Nachrichten!« Tatsächlich: Gazprom-Chef Alexej Miller gibt bekannt, dass der Altbundeskanzler den Aufsichtsratsvorsitz in dem Gazprom-Konsortium übernehmen wird, das die umstrittene Ostsee-Pipeline von Russland nach Deutschland bauen soll. Also genau bei jenem Projekt, zu dessen Besiegelung Putin zehn Tage vor der Bundestagswahl zu Schröder nach Berlin gereist war. Dem Altbundeskanzler wird in dem Pipeline-Unternehmen ausgerechnet ein umstrittener ehemaliger Stasi-Offizier begegnen – Matthias Warnig, Repräsentant der Dresdner Bank und Presseberichten zufolge noch aus DDR-Zeiten befreundet mit Putin.

»Auf mich wirkt Schröder wie ein Einflussagent in alter Tradition«, empört sich der Moskauer Bürgerrechtler Leonid Sedow. »Ich bin entsetzt über diese Entscheidung Schröders, und für mich hat sie einen unglaublich unappetitlichen Beigeschmack – nachdem er als Kanzler jahrelang loyal zu Putin gehalten hat, nachdem er immer wieder gute Worte gefunden hat für die Entwicklung in Tschetschenien, wo ein blutiger Krieg herrscht«, sagt Sedow aufgebracht. Er findet, dass Schröder den Demokraten in Russland damit einen Dolch in den Rücken stößt. »Unsere Antidemokraten können jetzt sagen, ›Seht her, im Westen läuft alles genauso, ihre angeblichen Werte sind Firlefanz, wenn Geld ins Spiel kommt.‹«

Die Moskauer Bürgerrechtlerin Valeria Nowodworskaja wählt Worte für das Verhalten des Exkanzlers, deren Wiedergabe zu juristischen Schritten gegen dieses Buch führen könnte. Sie ist überzeugt davon, dass Schröder nicht im Interesse von Deutschland gehandelt hat: »Heute schon dreht der Kreml am Gashahn nach Georgien und in die Ukraine. Wo ist die Garantie, dass morgen nicht die Deutschen ins Visier geraten?«

Das Pipeline-Unternehmen brauche an der Spitze einen »starken Führer«, der über exzellente Kontakte verfüge, rechtfertigt dagegen ein Kremlberater die Berufung Schröders und macht üble Motive für die Kritik am Altkanzler aus: Neid, russlandfeindliche Tendenzen in Deutschland, gezielte Stimmungsmache aus anderen Ländern. Lob bekommt Schröder von den oppositionellen russischen Kommunisten.

Die SPD-Spitze weist die Vorwürfe gegen den Altkanzler ebenfalls zurück. Von »nicht tragfähigen Unterstellungen« ist die Rede; Schröder sei ein »völlig integrer Mann«, sagt Matthias Platzeck. SPD-Präsidiumsmitglied Ludwig Stiegler sieht in der Kritik am Altkanzler den »kleingeistigen Versuch nachzutreten«.

Schröder war unter den westlichen Regierungschefs neben dem Italiener Silvio Berlusconi der wichtigste Anwalt Putins. Mehrfach nahm er ihn gegen Vorwürfe in Schutz, in Russland entstehe eine autoritäre Herrschaft. Der Kreml-Chef betreibe, so der Kanzler im Herbst 2004, eine Wiederherstellung der Staatlichkeit. Diese Linie sei nach dem Chaos der Wendejahre notwendig. »Der Staat muss seine Schutzfunktion wieder erfüllen, ohne dass man Schutz vor mafiösen Elementen kaufen muss«, betonte Schröder. Er bescheinigte Putin, ein lupenreiner Demokrat zu sein, lobte sein Vorgehen in Tschetschenien und sah in der Yukos-Affäre »keine Anhaltspunkte, dass das nicht mit rechtsstaatlichen Mitteln vor sich geht«.

Seit der verlorenen Bundestagswahl und seinem Rückzug aus der Politik hat Schröder mehrere Posten in der Wirtschaft übernommen. Kritiker verdächtigen ihn der strafbaren Vorteilsnahme:

Die liegt vor, wenn ein Amtsinhaber für eine – auch legale – Dienstausübung einen Vorteil fordert, sich versprechen lässt oder annimmt. Bei der Staatsanwaltschaft Berlin gehen mehrere Anzeigen gegen Schröder ein; sie sieht aber keinen Anfangsverdacht.

Um den Verdacht zu erhärten, müsste unter anderem belegt werden, dass Schröder von seinem neuen Job wusste, bevor er aus dem Kanzleramt ausschied. Gazprom-Chef Miller erklärte im Dezember 2005: »Das Angebot wurde zu dem Zeitpunkt gemacht, als bekannt wurde, dass Herr Schröder die große Politik verlässt und Deutschland einen neuen Kanzler haben wird.« Letzteres war spätestens am 10. Oktober, nach Ende des Koalitionspokers, klar – also zwei Wochen, bevor die Bürgschaft für Gazprom beschlossen würde. Der Altkanzler sagte in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung, er habe das Angebot am 9. Dezember per Telefon erhalten – also genau an dem Tag, an dem Gazprom-Chef Miller die Vereinbarung publik machte. Diese Aussage Schröders legt nahe, dass er seine Entscheidung binnen Stunden getroffen hat. Gut drei Monate später erzählt Schröder dem Handelsblatt eine etwas anders klingende Version: Demzufolge hat er bereits im November 2005 von dem Angebot erfahren, es aber zunächst abgelehnt.

Im März 2006 wird bekannt, dass Gerhard Schröder als Aufsichtsratschef ein jährliches Salär von 250 000 Euro erhalten werde, beinahe so viel, wie er als Bundeskanzler bezog. Die Kritik an seinem Wechsel zu der Ostsee-Pipeline-Gesellschaft könne er nicht nachvollziehen, sagt Schröder. Im Gazprom-Konzern gelten Insidern zufolge die Aufsichtsratsposten bei Tochterunternehmen, wie Schröder einen erhalten hat, als die eigentlichen Geldadern. Dabei gilt nicht selten das Prinzip, dass eine relativ niedrige Grundvergütung – im Falle Schröders die 250 000 Euro – durch deutlich höhere Prämien aufgebessert wird. So bezieht Gazprom-Chef Miller nach Presseberichten ein Gehalt von 150 000 Euro im Jahr; als Aufsichtsrat der Gazprom-Bank soll der Putin-Freund allerdings im Jahr 2004 das 16-fache seines Gehalts als Prämie erhalten haben: 2,5 Millionen Euro. Offizielle Angaben zu den Prämien sind die Ausnahme; ob auch der Altkanzler einen solchen Zusatzverdienst erhält, ist nicht bekannt. Bislang. wurde die Höhe von Schröders Einkünften als Lobbyist nicht öffentlich. Da er aber auf sein Bundestagsmandat verzichtete, muss er nicht mehr als Abgeordneter alle Nebeneinkünfte offenbaren.

Von russischen Kritikern wird Schröder mit bissigem Spott überzogen: Von »Gerd-Gas für Russland« ist die Rede, »Gerd-Prom« statt Gazprom, »Gas-Gerd« und dem »Gaspromi«.

Am 28. März 2006 berichtet die russische Oppositionszeitung Kommersant, Gerhard Schröder wolle ein Lobby-Zentrum für russische Interessen im Westen gründen. Eine der Hauptaufgaben des neuen Lobby-Zentrums solle sein, »ein positives Image Russlands in den deutschen Medien zu schaffen und gemeinsame deutsch-russische Projekte zu fördern, darunter auch die Ostsee-Pipeline«, so das Blatt. Finanziert werden solle das Zentrum vor allem durch Spenden der russischen Wirtschaft. Mit solchen freiwilligen Gaben finanzierte der Kreml im Frühjahr 2006 auch die amerikanische Werbeagentur Ketchum, die Imagereklame für Russland betreiben soll. Schröder sagt, der Bericht im Kommersant enthalte »eine Reihe falscher Aussagen«. Geplant sei kein »Lobby-Unternehmen«, sondern eine Denkfabrik mit dem Ziel, die strategische Partnerschaft zwischen Deutschland und Russland zu verbessern. Schröder erklärte dazu gegenüber Focus Online: Ein »gemeinsamer Dialog braucht keinen finanziellen, wohl aber einen engagierten Beitrag aller aufgeklärten Teile der deutschen und russischen Gesellschaft«. Ziel sei es, »dass Deutsche und Russen einander besser verstehen, voneinander lernen, Vorurteile abgebaut und damit die engen Beziehungen zwischen den beiden Ländern weiter vertieft werden.« Russlands Opposition jedenfalls sieht darin ein verlängertes »Propaganda-Instrument Putins«.

Tatsächlich saß der Kreml bei der Idee für die »Denkfabrik« offenbar von Anfang an mit am Tisch – und zwar ganz buchstäblich: Gerhard Schröder besprach das Projekt im Februar 2005 in Berlin im Beisein des Exverteidigungsministers Volker Rühe (CDU) bei einem Abendessen mit dem Russland-Experten Alexander Rahr und Moskaus Vizepräsidialamtschef Viktor Iwanow.

Am 1. April 2006 wird bekannt, dass durch die Zustimmung von Schröders Regierung in den letzten Tagen ihrer Amtszeit Gazprom eine Milliarden-Bürgschaft bewilligt wurde. Der Altkanzler betont, er sei an der Entscheidung nicht beteiligt gewesen und habe auch keine Kenntnis davon gehabt. Nachdem es über diese Bürgschaft bemerkenswerten Umfangs und auch über den Zeitpunkt ihrer Erteilung öffentliche Aufregung gegeben hatte, erklärte Gazprom seinen Verzicht darauf.

2. April 2006. »Ich gehöre zu denen, die nach wie vor der Auffassung sind, dass der russische Präsident der Garant für eine demokratische Entwicklung des Landes ist«, sagt Schröder in einem Interview mit dem Handelsblatt.

Am 29. Mai 2006 wird Schröder zum Ehrenvorsitzenden des Nah- und Mittelostvereins gewählt, der seit 1936 deutsche Geschäfte im arabischen Raum fördert; bei der Veranstaltung verstört er deutsche Außenpolitiker mit der Forderung, man müsse mit der Hamas verhandeln, die das erklärte Ziel hat, Israel zu vernichten. Kurz zuvor war Putin wegen seiner Verhandlungen mit der Hamas auf große Kritik im Westen gestoßen. »All das gibt Anlass zu der Vermutung, Schröder arbeitet nicht nur für die Gazprom, er vertritt auch die russische Außenpolitik«, schreibt Henryk M. Broder.

Schröders neue Jobs enthalten alles, was Sozialdemokraten erschaudern lässt: einen Spitzenjob in Russlands staatsmonopolistischem Kapitalismus, eine Zusammenarbeit mit einem früheren Stasi-Offizier, einen Firmensitz in einer Steueroase in der Schweiz und die Aussicht auf fürstliche Bezüge.

Den vorherigen, zweiunddreißigsten Teil – Die „Gasölmedienbank-Kolchose“ – finden Sie hier.
Den ersten Text der Buchveröffentlichung finden Sie hier

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Von Veritatis

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