Während Italien zwei Antifas vor der Repression in Ungarn schützte und Ilaria Salis sogar im Europaparlament sitzt, wird Maja T. im Hungerstreik in Budapest immer schwächer. Über den deutschen Umgang mit dem „Budapest-Komplex“


Bengalisches Feuer während der Demonstration eines breiten Bündnisses antifaschistischer Gruppen in Jena unter dem Motto „Jetzt erst recht! Antifaschismus ist notwendig!“ (14.06.2025)

Foto: Daniel Vogl/dpa/picture alliance


Er verstehe das Anliegen der Antifa ja schon grundsätzlich – aber all die Vermummten! „Hoffentlich passiert da nichts“, so der Mann hinter dem Rostbratwurststand in Jena. Am Ende des Tages sollten seine Sorgen unbegründet gewesen sein. Zwischen 5.000 und 10.000 Demonstrierende zogen am Samstag durch Jena, jener Stadt, aus der Maja T. stammt, eine non-binäre Antifaschist*in, die derzeit in Ungarn in Haft sitzt, und forderten „Freiheit für alle Antifaschist*innen.“ Auf der Demonstration wurden Bengalos und Rauchtöpfe gezündet, es blieb jedoch friedlich. Auch zu Verhaftungen kam es nicht.

Ein bundesweites Bündnis von antifaschistischen Gruppen hatte nach Jena aufgerufen, da Maja T. sich seit dem 5. Juni im unbefristeten Hungerstr

n Gruppen hatte nach Jena aufgerufen, da Maja T. sich seit dem 5. Juni im unbefristeten Hungerstreik befindet. „Ich kann die Haftbedingungen in Ungarn nicht weiter ertragen. Meine Zelle war über drei Monate rund um die Uhr videoüberwacht. Ich musste über sieben Monate außerhalb meiner Zelle immer Handschellen tragen“, so Maja T. in einer Prozesserklärung. Hinter dem Hungerstreik steht der Versuch, die Rückkehr nach Deutschland zu erwirken. Maja T. sitzt seit mehr als elf Monaten in Budapest in faktischer Isolationshaft und fühlt sich, so sagt sie, „lebendig begraben“.Haftbedingungen in Budapest: Verschimmeltes Essen und SchlafentzugDer Prozess gegen Maja T. ist Teil des sogenannten Budapest-Komplexes. Gemeinsam mit anderen Personen soll die Aktivist*in im Februar 2023 an Angriffen auf Rechtsextremisten beim sogenannten „Tag der Ehre“, einem rechtsextremen Gedenktag, in Budapest beteiligt und als Teil einer „kriminellen Vereinigung“ für Körperverletzungen mitverantwortlich gewesen sein.T. droht im schlimmsten Fall bis zu 24 Jahre Haft in Ungarn. Am 21. Februar 2025 eröffnete das Budapester Gericht das Hauptverfahren. Der Staatsanwaltschaft zufolge gäbe es belastende Zeugenaussagen und Videomaterial. Zugleich bot die Anklage einen „Deal“ an: ein Geständnis ohne förmliche Verhandlung gegen eine Strafminderung auf 14 Jahre – jedoch ohne Bewährungsaussichten und unter „besonders strengen Haftbedingungen“. Maja T. lehnte ab und forderte stattdessen ein faires Verfahren.Die Haftbedingungen in der ungarischen Untersuchungshaft sind hart: Isolationshaft, permanente Videoüberwachung, Berichte über verschimmeltes Essen und Schlafentzug. Hinzu kommen nun die Folgen des Hungerstreiks. Laut ihrem Anwalt Sven Richwin verliert Maja T. zunehmend an Gewicht, mittlerweile seien es sieben bis acht Kilo. „Sie wird zunehmend schwächer“, sagt Richwin gegenüber dem Freitag. Jeder weitere Tag im Hungerstreik zehre an Majas Kräften. Hinzu kommen die stündlichen Zellenkontrollen – auch nachts. „Trotzdem musste Maja noch an einem Verhandlungstag teilnehmen, der dann jedoch abgebrochen werden musste, da sie schlicht zu schwach war, ihm zu folgen“, so Richwin weiter, für den das Verfahren lediglich ein „Schauspiel“ ist und mit rechtsstaatlichen Verfahren nichts zu tun hat.Verfahren gegen sieben weitere mutmaßlich Beteiligte „Antifa-Ost“ um Lina E.Doch nicht nur im rechtsautoritären Ungarn läuft die staatliche Repression gegenüber Antifaschistinnen auf Hochtouren. Auch hierzulande ist sie in eine neue Phase eingetreten. Parallel zum Budapest-Prozess verkündete die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe am vergangenen Donnerstag, dass sie Verfahren gegen sieben weitere mutmaßliche Beteiligte des angeblichen Netzwerks „Antifa-Ost“ rund um Lina E. eröffnen will.Vier der Beschuldigten sitzen bereits in Untersuchungshaft, unter ihnen der Verlobte von Lina E., Johann G. Er war Anfang November 2024 von Zielfahndern des sächsischen Landeskriminalamts in einer Regionalbahn in Thüringen festgenommen worden. Ein weiterer Mann sitzt in Berlin in U-Haft. Ihm wird vorgeworfen, als „Kampfsporttrainer“ für den Rest der Gruppierung tätig geworden zu sein. Dieser Vorwurf stützt sich jedoch in erster Linie auf ein ehemaliges Mitglied der angeblichen Gruppierung: Johannes D., der gegen die Zusage der eigenen Straferleichterung umfänglich mit den staatlichen Behörden kooperiert. Die linke Szene bezeichnet den Kronzeugen Johannes D. daher als „Verräter“ und seine Aussagen als wenig belast- und brauchbar. Auch die Verteidigung der Antifaschistinnen hegt Zweifel an D.s Glaubwürdigkeit.Wie die Bundesrepublik mit Maja T. umgegangen istBereits im Januar hatten sich weitere Tatverdächtige im „Antifa-Ost“-Verfahren freiwillig und selbstbestimmt den deutschen Behörden gestellt – teils, um einer möglichen Auslieferung nach Ungarn zuvorzukommen und ähnlichen Haftbedingungen wie Maja T. zu entgehen.Dieser Schritt wirft ein Licht auf den Umgang deutscher Behörden mit Antifaschist*innen. Denn Maja T. wurde im Juni 2024 von Deutschland nach Ungarn ausgeliefert – nur Stunden vor einem Eilbeschluss des Bundesverfassungsgerichts, der die Auslieferung vorläufig stoppen wollte und für rechtswidrig erklärte. Das Kammergericht Berlin hatte zuvor ungeachtet der Berichte über menschenrechtswidrige Haftbedingungen in Ungarn zugestimmt und sich auf „allgemeine Garantieerklärungen“ der ungarischen Behörden berufen.Die Verantwortung für Maja T.s Lage trage daher nicht nur Ungarn, sondern auch der deutsche Staat und seine Behörden, erklärte Andreas Funk, der im Jenaer Demobündnis aktiv ist. „Bei der Auslieferung handelte es sich somit nicht nur eine juristische, sondern auch um eine politische Entscheidung“, so Funk weiter.Es könnte anders gehen: Aus Italien wurde Gabriele M. nicht nach Ungarn ausgeliefertDer spezifisch deutsche Umgang mit Antifaschistinnen wird insbesondere im europäischen Vergleich deutlich. Beispiel Italien. Dort lehnte ein Gericht in Mailand – anders als in Deutschland – die Auslieferung des ebenfalls im „Budapest-Komplex“ beschuldigten Gabriele M. nach Ungarn mit Verweis auf die Haftbedingungen und fehlende Rechtsstaatlichkeit in Ungarn ab. Auch die italienische Regierung unterstützte diesen Schritt.Die italienische Antifaschistin Ilaria Salis, die ebenfalls in Budapest angeklagt ist, musste bereits im Juni 2024 nach 489 Tagen – gegen den Willen der ungarischen Behörden – nach ihrer Verhaftung aus dem Hausarrest in Budapest entlassen werden, nachdem sie für die italienische Grün-Links-Allianz (AVS) ins Europaparlament gewählt wurde. Nun wird der Rechtsausschuss im EU-Parlament wohl 24. Juni darüber entscheiden, ob die italienische linke Abgeordnete Salis ihre Immunität verliert.Zudem kam es in Italien immer wieder zu Demonstrationen für die inhaftierten Antifaschistinnen.Doch auch in Deutschland regt sich – nicht erst durch die Demo in Jena – Protest gegen den behördlichen Umgang mit Antifaschistinnen. In einer Pressekonferenz vor der Demonstration forderte Wolfram Janosch, der Vater von Maja T., die verhafteten Antifaschistinnen nicht alleine zu lassen: „Kämpft für Maja, kämpft für Menschenwürde und Gerechtigkeit, seid laut und wütend gegen den Faschismus und gegen Gewalt“. Auch die Mutter der inhaftierten Lina E. sprach auf der Jenaer Demonstration.Linke fordert Friedrich Merz und Johann Wadephul zum Einsatz für Maja T. aufIm Vorfeld forderte zudem die Abgeordnete der Linksfraktion im Europaparlament, Carola Rackete, von Bundeskanzler Friedrich Merz und Außenminister Johann Wadephul (beide CDU), sich für Maja T. einzusetzen. Der Kanzler sei „in der Pflicht, sich darum zu kümmern, dass Maja T. nach Deutschland zurückgeholt“ werde, sagte Rackete dem Deutschlandfunk.Da gegenwärtig wenig auf einen solchen Schritt hindeutet, muss der zivilgesellschaftliche Druck aufrechterhalten werden, findet Elias Engel, der Pressesprecher des Demobündnisses aus Jena: „Wir erleben seit Jahren ein Erstarken der AfD, rechter Narrative und rechtsextremer Gewalt.“ Und weiter: „Das wollen wir als Zivilgesellschaft nicht zulassen und unbeantwortet hinnehmen. Antifaschismus sollte nicht kriminalisiert werden, sondern in seiner Gesamtheit als zivilgesellschaftliche Notwendigkeit verstanden werden.“Auf der Demonstration in Jena versuchten mehrere Tausend Linke, hierfür ein Zeichen zu setzen. Ob die Bundesregierung Rechtsstaatlichkeit auch für Antifaschist*innen ernst nimmt, oder sich den Inhaftierten weiterhin weniger Unterstützung zukommen lässt als selbst die rechte italienische Regierung dies tut, bleibt nun abzuwarten.



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Von Veritatis

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