Israels Krieg gegen den Iran lenkt vom Krieg gegen die Palästinenser ab. Die von Frankreich und Saudi-Arabien dazu geplante Konferenz mit 70 Staaten ist bereits storniert
Palästinenser erhalten Lebensmittel in Khan Yunis im südlichen Gazastreifen (Archivbild)
Foto: AFP/Getty Images
Es ist wenig glaubhaft, dass der israelische Angriff auf den Iran einen Präventivschlag in letzter Minute darstellt, weil das Mullah-Regime angeblich kurz vor seiner ersten Atombombe stand und die auch gleich gegen Israel einsetzen wollte. Viel spricht dafür, dass für den Zeitpunkt zwei andere Gründe maßgebend waren: Man wollte die im Oman geführten Atomgespräche zwischen den USA und dem Iran torpedieren.
Wäre es auch nur zu bescheidensten Ergebnissen gekommen, wäre der Vorwand für den von Benjamin Netanjahu seit Jahren angekündigten Krieg zunächst verloren gegangen. Ebenso wichtig dürfte gewesen sein, dass seine Regierung eine Chance sah, die Aufmerksamkeit vom Geschehen in Gaza abzuziehen und sich wieder mehr Unterstütz
ür den von Benjamin Netanjahu seit Jahren angekündigten Krieg zunächst verloren gegangen. Ebenso wichtig dürfte gewesen sein, dass seine Regierung eine Chance sah, die Aufmerksamkeit vom Geschehen in Gaza abzuziehen und sich wieder mehr Unterstützung bei einst engen Partnern zu sichern. Die schien zu bröckeln.Am 18. Juni sollte es in New York eine gemeinsam von Emmanuel Macron und dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman einberufene Konferenz geben, bei der 70 Staaten – darunter Kanada und Großbritannien – über Wege zur Zwei-Staaten-Lösung und den arabischen Befriedungsplan für Gaza beraten wollten. Inzwischen ist unter Verweis auf den israelisch-iranischen Krieg abgesagt, was seit Februar vorbereitet wurde. Es steht in den Sternen, wann sich so viele Staaten erneut auf Termin und Agenda einigen können.Die Frage ist, wie lange es im Gazastreifen überhaupt noch palästinensisches Leben gibt, für das sich eine internationale Gemeinschaft verantwortlich fühlen kann. Eine extrem geschwächte Bevölkerung wird in immer engere Reservate gezwungen. Israel hat die von der United Nations Relief and Works Agency (UNRWA) bislang geleistete Lebensmittel- und medizinische Hilfe seit Jahresbeginn unterbunden. Stattdessen wurde die in der Schweiz registrierte US-Organisation Humanitarian Foundation (HF) damit beauftragt. Im Unterschied zur UNRWA bringt die HF Nahrungsmittel nicht zu den Notleidenden, sondern die müssen sich – teils durch umkämpfte Gebiete – zu den oft weit entfernten Verteilungsstellen durchschlagen. Für Alte, Kranke oder Schwangere so gut wie unmöglich.Emmanuel Macron verspricht Benjamin Netanjahu WaffenDass sich Jugendliche oder Männer für ihre Familien auf den Weg zu den Hilfszentren machen, ist riskant – was die HF tut, wird von der israelischen Armee kontrolliert. Da diese verhindern will, dass sich die Hamas mit Lebensmitteln und Medikamenten versorgt, werden „Verdächtige“ an den Verteilungszentren kurzerhand erschossen. Damit hat die israelische Regierung Hilfsstrukturen etabliert, um die physische und psychische Verelendung der Palästinenser aufrechtzuerhalten. Der nationalreligiöse Knesset-Abgeordnete Zvi Sukkot äußerte Mitte Mai sogar, „alle“ hätten sich doch weltweit „daran gewöhnt, dass man 100 Gaza-Menschen in einer Kriegsnacht töten kann. Keiner interessiert sich dafür.“Natürlich gibt es Stimmen, die dazu aufrufen, die im Gazastreifen herrschende Not nicht aus den Augen zu verlieren. Dazu gehörte auch der deutsche Außenminister Johann Wadephul (CDU), der vom israelisch-iranischen Schlagabtausch auf seiner Nahost-Reise überrascht wurde. Möglich, dass ihn die Gastgeber in Kairo und Riad dazu veranlasst hatten. Wadephul erklärte sogar, dass er den arabischen Wiederaufbauplan für Gaza gutheiße.Der Diskurs in Europa zu Israels Gaza-Feldzug hat sich etwas verändert, aber das gilt nur für die verbale Reaktion und folgt nicht zuletzt dem Zweck, die Millionen Menschen zählende muslimische Community in der EU zu besänftigen. Besonders bei Präsident Macron fällt auf, dass er den palästinensischen Staat zwar anerkennen will, aber schon bei den ersten Bomben auf Teheran verspricht, die unterbrochenen Waffenlieferungen an Israel wiederaufzunehmen.Die Israel erreichenden ballistischen Raketen des Iran haben in den vergangenen Tagen auch mehrere in Israel lebende Palästinenser getötet, darunter drei Frauen in Tamra, nördlich von Haifa. Dass die Palästinenser innerhalb Israels, die rund 20 Prozent der Bevölkerung ausmachen, genau wie auch die Palästinenser im Gazastreifen und in der Westbank bei einem Atomangriff ebenso betroffen wären wie die jüdische Bevölkerung, müsste eigentlich zu dem Schluss führen, dass ein vom Iran ausgehender Nuklearschlag auf Israel eher unwahrscheinlich war und bleiben wird.