Deutschland ist für den Rest der Welt zum Negativbeispiel auf allen Ebenen verkommen. Auf der diesjährigen CPAC (Conservative Political Action Conference) in Ungarn erörterte der ehemalige Chef des Bundesverfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, einem tschechischen Medium die Besonderheiten des deutschen Inlandsnachrichtendienstes. Sein Fazit: Deutschland ist das nahezu einzige westliche Land, in dem der Inlandsnachrichtendienst die politischen Gegner der Regierung ausspionieren darf. Er erörterte, was die Einstufung der AfD als “gesichert rechtsextrem” für die Zukunft bedeutet – und was in diesem Kontext von der Union zu erwarten ist.
Interview von Hans-Georg Maaßen mit www.parlamentnilisty.cz (mit freundlicher Genehmigung):
Zu Beginn sollten wir wohl den Begriff „Verfassungsschutz“ klären. In Tschechien wird er oft als „etwas wie ein Geheimdienst“ dargestellt, aber es ist nicht ganz klar, welche Kompetenzen er im politischen System und gegenüber politischen Parteien hat. Wie ist das also?
Der Verfassungsschutz ist der deutsche Inlandsnachrichtendienst. Er soll über Organisationen, die unsere freiheitliche Demokratie beseitigen oder gefährden wollen, Informationen sammeln und diese analysieren. Dazu gehört die Abwehr von Spionage, Sabotage, Unterwanderung, Cyberangriffe, Terrorismus, aber auch Extremismus. Er hat keine polizeilichen Befugnisse, darf damit keine Festnahmen, Beschlagnahmungen oder Vernehmungen durchführen. Er darf aber auch keine aktiven Maßnahmen betreiben, nämlich die Beeinflussung von politischen Entscheidungen, die Unterwanderung von Organisationen oder die Neutralisierung von bestimmten Personen oder Organisationen.
In Tschechien wird gelegentlich über eine Zusammenarbeit der Geheimdienste mit bestimmten Journalisten spekuliert, offiziell wurde dies jedoch nie bestätigt. Wie ist das in Deutschland? Gilt diese Form von „Leaks“ als unangebracht, oder wird sie als „gesellschaftliches Interesse“ betrachtet?
Hier muss man unterscheiden: Der Verfassungsschutz darf Öffentlichkeitsarbeit durch Pressekonferenzen oder Pressegespräche führen, um die Öffentlichkeit über seine Arbeit und über die bestehende Gefahrenlage zu informieren. Er darf auch Journalisten abschöpfen, also aus Gesprächen mit Journalisten Informationen für die eigene Arbeit gewinnen, wenn Journalisten Erkenntnisse haben, die für die Arbeit des Verfassungsschutzes von Bedeutung sind. Er darf aber nicht – und das dürften Sie mit der Frage meinen – Journalisten instrumentalisieren, um bestimmte Informationen zu streuen, die er selbst nicht verbreiten darf. Er darf zum Beispiel keine geheimen Informationen an Journalisten geben, um dadurch das politische Geschehen oder die politische Meinung zu beeinflussen. Das wäre eine verbotene aktive Maßnahme.
Nur in Deutschland darf die Opposition derartig überwacht werden
Aktuell soll Gegenstand dieses „gesellschaftlichen Interesses“ die Alternative für Deutschland (AfD) sein, eine im Bundestag und in allen Landtagen vertretene Partei. Auf welcher Grundlage wird dieser Eingriff in den politischen Wettbewerb gerechtfertigt?
Der Verfassungsschutz darf – wie ich bereits sagte – Informationen über Organisationen sammeln, die darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung unseres Landes zu überwinden. Dazu gehören nicht nur ausländische Staaten, die spionieren, oder Terrororganisationen, die Terroranschläge planen, sondern es werden auch Parteien darunter gefasst. Der Verfassungsschutz darf auch über seine Erkenntnisse die Öffentlichkeit unterrichten. Zusammengenommen führen die Befugnisse derzeit dazu, dass der Verfassungsschutz fortlaufend die Öffentlichkeit darüber informiert, dass er die AfD überwacht, weil er sie für einen rechtsextremistischen Verdachtsfall hält.
Aus Sicht eines deutschen Juristen sieht dies formal korrekt aus. Wenn man aber die Rechtspraxis in Deutschland sieht und sie auch mit anderen Ländern vergleicht, ist diese Praxis aber eine Gefahr für unsere Demokratie: Der Verfassungsschutz wird nämlich von einem politischen Beamten, der einer Regierungspartei angehört oder ihr nahesteht, geleitet. Der Vorgesetzte des Verfassungsschutzpräsidenten ist ein Minister, der einer Partei angehört. Der Verfassungsschutz ist also nicht unabhängig, sondern muss die politischen Weisungen der Regierung befolgen.
Dies bedeutet, dass der von einer Regierungspartei geführte Verfassungsschutz eingesetzt werden kann, um politische Gegner zu überwachen und auszuspähen und dass er durch seine Öffentlichkeitsarbeit diese Partei auch öffentlich brandmarken und diskreditieren darf. Bizarr war es in Thüringen, als nach der Machtübernahme durch den linksradikalen Ministerpräsidenten Ramelow, der der früheren DDR-Regierungspartei SED angehörte, als eine der ersten Maßnahmen die Überwachung linksextremistischer Gruppen reduzierte und die AfD beobachten ließ.
Im internationalen Vergleich ist Deutschland nahezu das einzige westliche Land, in dem der Inlandsnachrichtendienst die politischen Gegner der Regierung ausspähen darf. Wenn man mal darüber nachdenkt, dass Richard Nixon als US-Präsident zurücktreten musste, weil er die gegnerische Partei in der Watergate Affäre ausforschen ließ, in Deutschland es aber als völlig normal angesehen wird, wenn der Verfassungsschutz gegnerische Parteien unter dem Vorwand des Schutzes unserer Demokratie ausspähen kann, zeigt es sich, dass wir in Deutschland noch nicht einmal ein Unrechtsbewusstsein dafür haben, wenn ein staatlicher Nachrichtendienst zum Konkurrenzschutz instrumentalisiert wird. Ich halte es deshalb für zwingend notwendig, dass die Parteienbeobachtung in Deutschland durch den Nachrichtendienst verboten wird.
Viele durchschauen die Dämonisierung der AfD
Wie wird die AfD derzeit von der Öffentlichkeit wahrgenommen? Wird sie als Bedrohung gesehen, wie es einige „Gegen Rechts“-Demonstrationen im vergangenen Jahr nahegelegt haben?
Aus meiner Sicht zeigt der von den Mainstreamparteien ausgerufene „Kampf gegen rechts“ durchaus Wirkung. Die AfD ist durch die Überwachung durch den Verfassungsschutz und die von der Regierung und den Medien betriebene politische Diskreditierung in Teilen der Bevölkerung so dämonisiert, dass diese Menschen Angst vor der AfD haben.
Es wird bewusst der Eindruck erweckt, bei der AfD handele es sich um den ideologischen Nachfolger der Hitler-Partei. Natürlich ist den meisten Politikern und Journalisten, die das behaupten, klar, dass das eine Lüge ist und dass sie das Hitlerregime mit einem solchen Vergleich verharmlosen, aber es ist eine nützliche Lüge, weil sie dazu beiträgt, dass viele Menschen davor zurückschrecken, diese Partei zu wählen. Mein Eindruck ist, dass die Menschen im Osten Deutschlands, die nicht nur eine Demokratieerfahrung, sondern auch eine Diktaturerfahrung haben, weil sie unter der kommunistischen Herrschaft lebten, diese Lügen eher durchschauen als im Westen.
Einstufung als rechtsextrem: Ausgangspunkt für Verbotsverfahren?
In den letzten Stunden der vorherigen Regierung wurde die AfD formal als Bedrohung für die Demokratie eingestuft. Was bedeutete diese formelle Erklärung?
Die AfD kann mit allen nachrichtendienstlichen Mitteln überwacht werden. Hinsichtlich der Post- und Telekommunikationsüberwachung gelten Sondervorschriften, die man aber auch begründen kann, wenn man eine solche Überwachung betreiben möchte. Für Parlamentsabgeordnete gelten aber besondere Schutztatbestände. Darüber hinaus bedeutet die Bekanntgabe der Überwachung der AfD als „erwiesen rechtsextremistische Partei“, dass damit eine weitere Diskreditierungsstufe erreicht wurde. Fraglich ist, ob sich Wähler davon noch abhalten lassen, die AfD zu wählen, denn sie war bereits zuvor als „rechtsextremistischer Verdachtsfall“ öffentlich geächtet worden. Allerdings könnte diese formelle Erklärung als „erwiesen rechtsextremistisch“ der Ausgangspunkt sein, um ein Verbotsverfahren gegen die AfD einzuleiten.
Die derzeitige Regierung hat diese Politik geändert. Wie erklären Sie sich das?
Ich sehe nicht, dass die Regierung unter Bundeskanzler Merz die Politik gegenüber der AfD ändern wird. Wir wissen, dass vor der öffentlichen Bekanntgabe, dass die AfD „erwiesen rechtsextremistisch“ sei, Merz und Dobrindt informiert waren. Mehr noch, wir müssen davon ausgehen, dass dieses Vorgehen zwischen der alten und der neuen Regierung abgestimmt war. Im Unterschied zur Vorgängerregierung fordern Merz und sein Innenminister Dobrindt kein Verbot der AfD. Es bleibt abzuwarten, ob sie dabei bleiben werden.
Dankbarkeit für klare Worte von J. D. Vance
Es wird über einen Einfluss der US-amerikanischen Regierung im Hintergrund gesprochen. Und nicht nur im Hintergrund – Vizepräsident Vance äußerte sich auf der Münchner Sicherheitskonferenz recht konkret. Ist das aus Ihrer Sicht eine mögliche Erklärung?
Wir können dankbar sein, dass Vizepräsident J. D. Vance bei dieser Konferenz, aber auch bei Bekanntgabe der Überwachung der AfD als „erwiesen rechtsextremistisch“, sich besorgt über die menschenrechtliche Situation in Deutschland äußerte und erklärte, dass Meinungsfreiheit und politische Verfolgung von Andersdenkenden nicht zu den westlichen Werten zählen, für die die Amerikaner Deutschland 1945 vom Hitlerregime befreite. Der stellvertretende US-Außenminister Christopher Landau erklärte, dass sein Vater nicht deshalb aus Hitler-Deutschland fliehen musste, weil es dort ein Zuviel an Meinungsfreiheit gab, sondern weil der Nachrichtendienst gegen politisch Andersdenkende eingesetzt wurde.
Kein Kurswechsel mit der scheinkonservativen Union
Es gibt aber auch „nähere“ Erklärungen, etwa dass die sehr aktivistische Ministerin Faeser nach vier Jahren durch den wesentlich gemäßigteren CSU-Minister Dobrindt ersetzt wurde. Auch Kanzler Merz äußert sich deutlich zurückhaltender – einmal akzeptierte er sogar, dass die AfD mit der CDU gemeinsam abstimmte, was ein historischer Durchbruch war. Ist es also möglich, dass die CDU die „rechte Bedrohung“ einfach anders sieht als SPD und Grüne?
Es ist richtig, dass CDU und CSU die AfD anders sehen. Sie sehen sie vermutlich weniger ideologisch. Man darf aber nicht verkennen, dass CDU und CSU von der politischen Ausrichtung ihres Führungspersonals für eine linke Politik stehen. Es sind scheinkonservative Parteien. Diese Parteien sind verantwortlich für die millionenfache Massenmigration, den Ausstieg aus der Kernenergie, die verrückte Energie-, Klima-, Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik. Diese beiden Parteien konnten nur deshalb erfolgreich sein, weil sie den Schein, konservativ zu sein, weitgehend erfolgreich haben verteidigen können. Die AfD ist für CDU und CSU eine existenzielle Gefahr, weil sie diesen Schein infrage stellt und immer wieder deutlich macht, dass diese beiden Unionsparteien für die linke Politik hauptverantwortlich sind. Deshalb wird die AfD von diesen beiden Unionsparteien als gefährlicher Konkurrent teilweise noch schärfer bekämpft als von den offen links auftretenden Parteien SPD und Grüne.
Auch in den Geheimdiensten gibt es Veränderungen: Kanzler Merz hat vor wenigen Tagen den BND-Chef ausgetauscht. Ist das aus Ihrer Sicht ein normaler Vorgang bei einem Regierungswechsel oder Ausdruck einer tiefergehenden strategischen Neuausrichtung?
Dies ist aus meiner Sicht ein normaler Vorgang. Der bisherige BND-Präsident Bruno Kahl hat diese Aufgabe rund acht Jahre wahrgenommen. Ich hatte den Eindruck, dass er auf seine alten Tage und bis zu seinem Altersruhestand einen Posten haben wollte, wo er seine Karriere noch einmal genießen kann. Deshalb soll er wohl deutscher Botschafter beim Heiligen Stuhl in Rom werden.