Am Berliner Bahnhof Ostkreuz versammeln sich rechtsradikale Demonstrant:innen (Archivbild)
Foto: Omer Messinger/Getty Images
Während in Sachsen Millionen bei politischer Bildung, Jugend- und Kulturarbeit gestrichen werden, erwägt Innenminister Schuster, bereits 12-Jährige vom Verfassungsschutz überwachen zu lassen. Warum das eine kontraproduktive Strategie ist
Gerade jetzt, wo man in Sachsen massiv bei politischer Bildung, Jugendarbeit und Kultur kürzt, erwägt Innenminister Armin Schuster (CDU) im MDR-Politik-Podcast „Was ist los in unseren Kinderzimmern“, bereits 12-Jährige durch den Verfassungsschutz beobachten zu lassen.
Der Grund: zunehmende rechte Umtriebe immer jüngerer Menschen. Wer denkt, dass das der richtige Schritt gegen autoritäre Mobilmachungen ist, liegt falsch. So werden Opfermythen und psychologische Abwehr nur verstärkt. Die Jugendlichen bewegen sich zunehmend in digitalen und realen Räumen, die wir nur mit guter politischer Bildung, Jugendarbeit und Kulturarbeit erreichen – nicht mit Repression.
Budgets für Präventionsarbeit werden gekürzt
In einer umfassenden S
nd in digitalen und realen Räumen, die wir nur mit guter politischer Bildung, Jugendarbeit und Kulturarbeit erreichen – nicht mit Repression. Budgets für Präventionsarbeit werden gekürztIn einer umfassenden Studie für die Bundeszentrale für politische Bildung wurde 2023 gezeigt, dass nachhaltige Prävention gegen Rechtsextremismus am wirksamsten über pädagogische Ansätze, Empowerment und den Ausbau demokratischer Kompetenzen gelingt.Die Jugendlichen bewegen sich zunehmend in digitalen und realen Räumen, die wir nur mit guter politischer Bildung, Jugendarbeit und Kulturarbeit erreichenUmso absurder ist es, dass dieselbe Landesregierung aktuell massiv die Budgets für genau diese Bereiche kürzt. Im Doppelhaushalt 2025/26 sollen die Ausgaben für Kulturförderung um insgesamt 38 Millionen Euro sinken; die Projektförderung wird dabei um 45 Prozent, der „Kleinprojektefonds“ im ländlichen Raum sogar um 70 Prozent reduziert. Im Bereich der Demokratie- und Extremismusprävention werden Programme wie „Orte der Demokratie“ von 2,65 Millionen Euro im Jahr 2024 auf nur noch 0,29 Millionen Euro zusammengestrichen. Das Programm „Soziale Orte“ fällt vollständig weg, und die Beratung gegen Extremismus wird um bis zu 53 Prozent gekürzt. Ministerpräsident Michael Kretschmer selbst hatte am 25. Mai 2025 im Interview mit der ZEIT noch betont, wie wichtig es sei, „mit den Jugendlichen in Kontakt zu bleiben“, und Sport-, Kultur- und Bildungsangebote als zentrale Mittel der Prävention bezeichnet. Im selben Interview urteilte er zugleich die Arbeit vieler Demokratieprojekte im Freistaat ab: Diese seien zwar „gut gemeint“, aber „zu links“ und „zu ideologisch“. Der Widerspruch liegt auf der Hand: Während Kretschmer im selben Interview die Notwendigkeit von Vertrauen, Beziehungsarbeit und lebensnaher Prävention betont, kürzt seine eigene Regierung genau in diesen Bereichen massiv. Ziel verfehlt?Hinzu kommt: Eine solche Überwachung würde nicht nur extremistisch gefährdete Jugendliche betreffen, sondern könnte auch linke und zivilgesellschaftlich engagierte junge Menschen ins Visier nehmen – also genau jene, die sich aktiv gegen Rechtsextremismus einsetzen und die man eigentlich vor rechten Umtrieben schützen will. Damit droht eine fatale Umkehr der Präventionslogik: Anstatt Schutz und Empowerment zu stärken, wird das Misstrauen gegenüber demokratischem Engagement verschärft. Eine solche Überwachung könnte auch linke und zivilgesellschaftlich engagierte junge Menschen ins Visier nehmenDer Politikwissenschaftler Lukas Huber warnte bereits 2022, dass staatliche Repression gegenüber Jugendlichen häufig kontraproduktiv wirkt. Geheimdienstliche Beobachtung oder polizeiliche Maßnahmen führten bei jungen Menschen oft zu psychologischer Reaktanz: einem verstärkten Bedürfnis nach Autonomie und Solidarisierung mit extremistischen Gruppen. Die Studie „Digitale Radikalisierung Jugendlicher. Dynamiken und Präventionsansätze“ zeigte 2021, dass extremistische Akteure in Online-Räumen staatliche Überwachung gezielt als Beleg für eine angebliche „Systemverfolgung“ nutzen. Besonders heikel ist die Zielgruppe: Minderjährige. Auch der Sozialwissenschaftler Kasper Lippert-Rasmussen wies bereits 2021 auf die gravierenden ethischen und psychologischen Risiken präventiver Überwachung von Kindern und Jugendlichen hin. Frühzeitige Stigmatisierung kann die Persönlichkeitsentwicklung belasten und das Vertrauen in demokratische Institutionen dauerhaft untergraben. Wer Angeboten für Minderjährige nun die finanzielle Grundlage entzieht und zugleich eine Ausweitung von Überwachungsmaßnahmen erwägt, handelt widersprüchlich und riskiert das Gegenteil des Gewünschten.Vertrauensverlust in InstitutionenDass dies riskant ist, zeigte sich bereits beim sogenannten Tag X, dem 3. Juni 2023 in Leipzig. Dort waren nach Auseinandersetzungen mehr als 1000 Menschen stundenlang von der Polizei eingekesselt und danach vieler Straftaten bezichtigt worden. Die polizeilichen Maßnahmen betrafen auch viele Minderjährige – was erhebliche Auswirkungen auf das Vertrauen dieser jungen Menschen in staatliche Institutionen hatte. Radikalisierung bei Jugendlichen verlangt differenzierte Antworten, keine Symbolpolitik. Wer autoritären Mobilisierungen wirklich entgegenwirken will, muss in langfristige Bildungs- und Präventionsarbeit investieren – nicht in einen erweiterten Überwachungsapparat für Zwölfjährige.