Steigende Energiepreise, fragile Lieferketten, wirtschaftspolitische Fehler der schwarz-roten Bundesregierung: Was die Auswirkungen von Israels Kriegs gegen den Iran auf die Weltwirtschaft für Deutschland bedeuten
Links: Blick nach Norden auf die Straße von Hormus, die den Golf von Oman mit dem Persischen Golf verbindet. Rechts: Der britische Öltanker „Stena Impero“ in der Straße von Hormus, umringt von Schnellbooten des iranischen Korps der Islamischen Revolutionsgarde
Fotos: Space Frontiers/Archive Photos/Hulton Archive/Getty Images (links), Morteza Akhoundi/ISNA/Xinhua News Agency/picture alliance
Der völkerrechtswidrige Angriff Israels auf den Iran hat nicht nur einen weiteren gefährlichen Brandherd im Nahen Osten entfacht, sondern auch neue Erschütterungen ausgelöst, deren ökonomische Auswirkungen bis nach Europa reichen dürften. Im Kriegsgebiet zahlen einmal mehr Zivilistinnen und Zivilisten den höchsten Preis für die Gewalt. Derweil spüren deutsche Haushalte bereits die ersten wirtschaftlichen Folgen der Eskalation der Gewalt.
Wie sich diese Folgen in den kommenden Wochen und Monaten noch entwickeln werden, hängt vom weiteren Verlauf des Krieges ab, der mit hohen Unsicherheiten behaftet ist. Die erste Reaktion der Finanzmärkte war verhältnismäßig ruhig. Die israelische Übermacht, ein mögliches Interes
erheiten behaftet ist. Die erste Reaktion der Finanzmärkte war verhältnismäßig ruhig. Die israelische Übermacht, ein mögliches Interesse der USA an einem Deal und die schwache Verhandlungsposition des Iran könnten eher für ein zeitnahes Ende sowie eine regionale Begrenzung des Konflikts sprechen.Von dieser optimistischen Einschätzung ausgehend kam es an den Börsen in den USA, Europa und Asien zu Beginn der Woche sogar zu leichten Kursgewinnen, bevor die Kurse im gestrigen Tagesverlauf etwas nachgaben. Klassische Krisenwerte wie Gold und US-Staatsanleihen blieben jedoch weiterhin relativ stabil. Diese Ruhe könnte sich allerdings als trügerisch erweisen. Sollte der Konflikt außer Kontrolle geraten oder die diplomatische Rückversicherung wegbrechen, stehen globale Märkte, Lieferketten und Energieflüsse vor einer neuen Zerreißprobe.Auch Deutschland wäre gegen diese Erschütterungen nicht immun. Dabei hat das Land die wirtschaftlichen Nachwehen der Pandemie, der Energiepreiskrise und der Inflation der vergangenen Jahre noch längst nicht verdaut. Die Industrie stagniert seit fünf Jahren, die realen Einkommen sind eingebrochen, und mit der AfD steht eine rechtsextreme Partei in den Startlöchern, die politisch längst über das Protestmilieu hinausgewachsen ist. Sollte sich die Situation verschärfen und die Politik erneut entscheidende, wirtschaftspolitische Fehler begehen, könnte aus einer ökonomischen Schieflage schnell ein demokratischer Notfall werden.Energiepreise und Lieferketten als mögliche InflationstreiberUm dem effektiv vorzubeugen, sind die Erfahrungen der Energiepreiskrise und Inflation der 2020er Jahre höchst aktuell. Denn trotz der unterschiedlichen Umstände stehen erneut die Energiepreise im Zentrum der wirtschaftlichen Aufmerksamkeit. Durch die Bedeutung der Region sowohl für die Produktion von Öl und Gas als auch für deren Transport richteten sich die Blicke der Analysten in erster Linie auf mögliche Engpässe und Produktionsausfälle. Eine Schlüsselrolle fällt dabei der Straße von Hormus zu, einem schmalen Korridor zwischen dem Iran und Oman, durch den etwa 20 Prozent des globalen Ölhandels und rund 25 Prozent des LNG-Gases fließen. Sollte diese Passage durch den Iran geschlossen werden, wären die Folgen für die Energiepreise und damit für die europäischen Haushalte unmittelbar und tiefgreifend spürbar.Bereits nach dem israelischen Angriff stieg der Preis für Rohöl der (für Europa wichtigsten) Referenzsorte Brent um rund sieben Prozent. Der aktuelle Ölpreis liegt bei etwa 75 US-Dollar pro Barrel (159 Liter) und damit deutlich über dem Niveau von Anfang Juni, als der Preis noch bei 65 US-Dollar lag. Doch in längerfristiger Perspektive ist selbst das Preisniveau von 75 US-Dollar moderat. Zum Vergleich: Anfang Juli 2024 kratzte der Ölpreis an der 90 US-Dollar-Marke.So entwickeln sich die Öl- und Gaspreise geradeFür einen eher begrenzten Anstieg der Ölpreise spricht auch, dass die Ölförderung seit Jahresbeginn deutlich anzog und durch die sich abkühlende Wirtschaft in den USA und in China weniger nachgefragt wird. Gerade gab die Internationale Energieagentur (IEA) bekannt, dass ihren Prognosen zufolge das Ölangebot die Nachfrage für die kommenden fünf Jahre übersteigen wird. Die Gaspreise dagegen näherten sich zuletzt der Marke von 40 Euro pro Megawattstunde an – ein deutlicher Anstieg gegenüber dem Preisniveau von 35 Euro der Vorkriegswochen, aber immerhin noch etwas unter dem Niveau vom August 2024.Die Preissteigerungen der ersten Kriegstage haben bereits erste, bisher eher moderate Auswirkungen auf die Lebenshaltungskosten der Haushalte in Deutschland gehabt. An den Tankstellen und bei den Heizölpreisen mussten die Verbraucher mit erhöhten Kosten zurechtkommen. Sollten die Energiepreise jedoch weiter steigen, würde sich der Preisschock – ähnlich wie nach dem russischen Angriff auf die Ukraine – auf eine breite Palette an Produkten und Dienstleistungen übertragen, denn Energie ist ein wesentlicher Inputfaktor in der gesamten Produktion.Ein weiteres Risiko für steigende Preise entsteht durch die mögliche Beeinträchtigung der Schifffahrt, sollten die jemenitischen Huthi-Milizen Containerfrachter angreifen, die über das Rote Meer durch den Suezkanal nach Europa unterwegs sind.Die höchsten Reallohnverluste seit der NachkriegszeitEin erneuter Anstieg der Energiepreise und neue Störungen in den Lieferketten würden die ohnehin angespannte Lage der deutschen Wirtschaft weiter verschärfen. Viele Unternehmen, die bereits unter den strukturellen Herausforderungen der Energiewende und einer schleppenden industriellen Transformation leiden, stünden vor einer weiteren Welle von Unsicherheit. Steigende Kosten, brüchige Handelswege und eine zunehmend volatile geopolitische Lage könnten die Produktion erheblich beeinträchtigen – und das in einem Umfeld, das sich seit nunmehr fünf Jahren kaum aus seiner wirtschaftlichen Lethargie befreien konnte!Auch die krisengebeutelten Haushalte wären von den Preisschocks betroffen. Die durch die Energiepreise und Lieferkettenengpässe ausgelöste Inflation der frühen 2020er Jahre sorgte erst vor Kurzem für die höchsten Reallohnverluste seit der Nachkriegszeit. Im Zuge der Energiepreiskrise brachen die Reallöhne um 3,4 Prozent ein – und damit mehr als viermal so viel wie während der Coronakrise (-0,8 Prozent) und mehr als achtmal so viel wie im Zuge der Finanzkrise (-0,4 Prozent). Trotz des Anstiegs von 3,4 Prozent im Jahr 2024 liegen die Reallöhne derzeit gerade einmal auf dem Niveau von 2017 und acht Prozent unter dem Vorkrisentrend.Die Inflation wog umso schwerer, je ärmer die Haushalte waren. Da Menschen mit niedrigerem und mittlerem Einkommen einen höheren Anteil ihrer Ausgaben für Energie, Lebensmittel und Transport aufbringen, wurden sie durch die Preissteigerungen in den Bereichen stärker belastet als die wohlhabenden Haushalte. Auf dem Höhepunkt der Inflation, im November 2022, hatten Familien mit einem niedrigen Nettoeinkommen von 2.000 bis 2.600 Euro eine haushaltsspezifische Inflationsrate von 11,5 Prozent, während Familien mit einem Nettoeinkommen von über 5.000 Euro mit Teuerungen von 9,3 Prozent fertig werden mussten. Alleinlebende mit einem Nettoeinkommen von über 5.000 Euro hatten eine Inflation von acht Prozent. Dies verdeutlicht die wachsende soziale Schieflage, die durch erneute Preisschocks verschärft werden könnte.Die Folgen für den Arbeitsmarkt und die GeldpolitikNeben den zu erwartenden Realeinkommensverlusten dürfte sich auch die Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt weiter eintrüben. Eine Eskalation im Nahen Osten hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Rückgang der globalen Nachfrage zur Folge, was mit direkten Konsequenzen für die exportorientierte Industrie einhergehen würde. Zugleich ist damit zu rechnen, dass die Geldpolitik, wie bereits in der Energiekrise 2022/2023, erneut zu Zinsanhebungen greifen würde, um der anziehenden Inflation entgegenzuwirken.Tatsächlich aber wären solche Maßnahmen kaum geeignet, die eigentlichen Ursachen eines angebotsseitigen Preisschocks zu adressieren. Höhere Leitzinsen können weder Produktionsengpässe auflösen noch fehlende Energieimporte ersetzen. Dennoch wird die Europäische Zentralbank an ihrem Mandat festhalten und mit geldpolitischer Straffung auf eine Teuerung reagieren, die sich weitgehend ihrer Steuerungsreichweite entzieht – mit absehbaren Nebenwirkungen für Wachstum und Beschäftigung.Was der Jom-Kippur-Krieg für Zentralbank und Gewerkschaften bedeuteteDie historische Erfahrung mahnt dahingehend zur Vorsicht. In den 1970er Jahren reagierte die damalige Bundesbank auf den Ölpreisschock infolge des Jom-Kippur-Kriegs mit drastischen Zinserhöhungen: Der Leitzins stieg binnen kurzer Zeit von vier auf 13 Prozent, um die Inflationsdynamik in den Griff zu bekommen, die sich durch die Lohnsteigerungen ergab, die von den Gewerkschaften als Antwort auf die Inflation durchgesetzt wurden. Die Folge: Die Arbeitslosigkeit vervielfachte sich, die bis dahin dominante Verhandlungsposition der Gewerkschaften wurde nachhaltig geschwächt.Die Zahlen, die das Ausmaß dieses strukturellen Wandels ausdrücken, sind wahrlich beeindruckend: Während über die 1960er Jahre hinweg die Zahl der offenen Stellen stets die Zahl der Arbeitslosen überstieg, kehrte sich das Verhältnis danach dauerhaft um. 1972 standen noch 250.000 Arbeitslose 550.000 offenen Stellen gegenüber. Das änderte sich mit der Krise: Bis Mitte der 1970er Jahre vervierfachte sich die Zahl der Arbeitslosen auf über eine Million, während sich die Zahl der offenen Stellen auf 230.000 nahezu halbierte. Die Revolution im Iran 1979, die mit ähnlichen Effekten wie der Preisschock der frühen 1970er Jahre einherging, verschärfte den Trend, sodass in den 1980er Jahren die Zahl der Arbeitslosen die Marke von zwei Millionen überstieg, während die Zahl der offenen Stellen auf weniger als 100.000 sank. Diese Zäsur markierte nicht nur den Übergang zu einer strukturell höheren Arbeitslosigkeit, sondern bereitete auch den Nährboden für den wirtschaftspolitischen Paradigmenwechsel zum marktliberalen Neoliberalismus.Die Wiederauferstehung des NeoliberalismusDie Wirtschaftskrise der vergangenen fünf Jahre förderte ebenfalls massiv den Aufschwung neoliberaler Ideen. „Mehr Bock auf Arbeit“, Erhöhung des Renteneintrittsalters, die Abschaffung des Acht-Stunden-Tages, Abschaffung von Feiertagen, weitere Aufweichung der Erwerbslosensicherung, Druck auf die Löhne, pauschale Steuersenkungen für Unternehmen – all die Forderungen standen mit dem Verweis auf die schwache Konjunktur im Raum und wurden zum Teil bereits von der schwarz-roten Koalition angegangen.Die Wiederauferstehung des Neoliberalismus war somit bereits vor dem israelischen Angriffskrieg in vollem Gange, obwohl die Arbeitnehmenden in Sachen gewerkschaftlicher Organisation deutlich schwächer dastehen als noch in den 1970er Jahren. Laut Schätzungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ging die Zahl der offenen Stellen seit Ende 2022 von nahezu zwei Millionen auf zuletzt 1,2 Millionen zurück. Die Zahl der Arbeitslosen hingegen stieg von 2,5 auf 2,9 Millionen, die Unterbeschäftigung von 3,3 auf 3,6 Millionen. Weniger als die Hälfte (49 Prozent) der Beschäftigten sind durch einen Tarifvertrag gedeckt.Nichtsdestotrotz spüren reaktionäre Kräfte in Politik und Wirtschaft, dass sie den Moment nutzen können, um ihre Anliegen durchzusetzen – vom Druck auf die Löhne bis hin zum Abbau von Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards. Sofern sich die Krise in Nahost verschärfen sollte, würde die Verhandlungsposition sich weiter zu ihren Gunsten verschieben.Schwarz-Rot ist noch marktgäubiger als die AmpelkoalitionPolitisch müsste die schwarz-rote Koalition entschieden gegenhalten, doch es ist bei dem Personal und der ideologischen Ausrichtung fraglich, ob die richtigen Schlüsse gezogen würden. Die Erfahrung der Ampelregierung zeigt, wie gravierend die Folgen einer naiven Marktgläubigkeit waren, die unter der jetzigen Regierung deutlich stärker ausgeprägt sein dürfte.Während das kurzfristige Krisenmanagement der Ampel noch die Gasversorgung sicherte, setzte die Politik viel zu spät auf das Instrument strategischer Preisbremsen. Bei der Ausgestaltung der Energiepreisbremsen zeigte sich, dass die marktliberale Dominanz in der ExpertInnen-Kommission der Bundesregierung zu einem Instrument führte, das in der Folge für die Industrie nutzlos war und so die strukturellen Standortnachteile nicht ansatzweise ausgleichen konnte. Fiskalpolitisch schlug die Ampel viel zu früh einen Kurs der „Normalisierung“ ein, da sie der fälschlichen Annahme unterlag, die Krise wäre vorbei. Vonseiten der Geldpolitik fehlte es ebenfalls an Unterstützung für eine Belebung der Wirtschaft und industriepolitisch war unklar, welche Perspektiven die Wirtschaft der Zukunft den Menschen bieten würde.Auch unter der neuen Regierung gibt es in dieser entscheidenden Frage noch keine Klarheit (mit Ausnahme der Rüstungsindustrie, die in hohem Maße gefördert wird). Dabei wäre es gerade jetzt wichtig, über strategische Investitionen in die Energieinfrastruktur und in die Entwicklung von Clean-Tech-Industrien die Beschäftigungs- und Wohlstandsperspektiven für das 21. Jahrhundert zu schaffen, die den Menschen die Unsicherheit und Angst vor der Zukunft nehmen würde.Placeholder image-1Marktliberale Wirtschaftspolitik ist Wasser auf die Mühlen der AfDDie AfD konnte von dieser Unsicherheit profitieren, sodass ihr Aufstieg auch entscheidend mit den wirtschaftspolitischen Fehlern der Ampel zusammenhängt. Sollten steigende Energiepreise und Störungen in den Lieferketten erneut zu einem Preisschock führen – und sollte die wirtschaftspolitische Reaktion abermals von marktliberalen Ideen geprägt sein – wäre ein weiterer Vertrauensverlust in die Handlungsfähigkeit demokratischer Institutionen nahezu vorprogrammiert.Eine solche Entwicklung würde nicht nur die soziale Spaltung vertiefen, sondern der AfD in die Hände spielen. Dass autoritär orientierte Kräfte aus Wirtschaft und Gesellschaft eine erneute Krisensituation nicht strategisch nutzen würden, um den politischen Diskurs noch weiter nach rechts zu verschieben, erscheint mit Blick auf die jüngsten Entwicklungen alles andere als realistisch. Für die Zukunft des Landes könnte dies verheerende Folgen haben.