Mark Frost erfand als Co-Autor von David Lynch „Twin Peaks“ mit. 25 Jahre später war ihre Fortsetzung eines der radikalsten Comebacks der TV-Geschichte. Hier erzählt er von seiner Arbeit mit Lynch und was er vom Serienfernsehen heute hält


Mit dem Tod von David Lynch (li.) im Januar habe er auch einen Freund verloren, sagt Mark Frost

Foto: Walt Disney Television Photo Archives/Getty Images


„Kultserie“ ist ein inflationär benutzter Begriff, aber auf Twin Peaks trifft er unbedingt zu. Die Ereignisse um den Mord an Laura Palmer in der fiktiven Kleinstadt haben in zwei kurzen Staffeln immer neue Fragen aufgeworfen und seit den frühen 1990ern eine treue Fangemeine gefunden, zunächst im Fernsehen, später auf DVD. Erst 25 Jahre später, 2017, präsentierten die beiden Macher, der im Januar verstorbene David Lynch und sein Co-Autor Mark Frost, mit Twin Peaks: The Return die Fortsetzung, mit der sie erneut für Furore und gehörig Verwirrung sorgten.

Nun ist die Mysteryserie beim Streamingdienst Mubi erstmals komplett zu sehen. Ein guter Grund, mit dem 71-jährigen Mark Frost zu sprechen, über Ursprünge und Auswirkungen, di

Streamingdienst Mubi erstmals komplett zu sehen. Ein guter Grund, mit dem 71-jährigen Mark Frost zu sprechen, über Ursprünge und Auswirkungen, die Zusammenarbeit mit Lynch und mögliche weitere Kapitel.der Freitag: Herr Frost, als Sie mit David Lynch Ende der 1980er Jahre die Pilotfolge von „Twin Peaks“ und dann die erste Staffel drehten, hatten Sie da eine Ahnung davon, welch langen Nachhall die Serie haben würde?Mark Frost: Nein, wir haben einfach versucht, die Geschichte so gut wie möglich zu erzählen. Man hat keine Kontrolle darüber, wie die Leute auf die eigene Arbeit reagieren. Das ist Teil des Risikos, wenn man als kreativer Mensch seine Arbeit der Öffentlichkeit präsentiert. Wenn die Leute daran interessiert sind, was man zu sagen hat und wie man es sagt, kann man im Idealfall davon leben. Die Resonanz, die wir auf die Serie hatten, hat mir und David Lynch das weitere Leben ermöglicht. Sie hat uns die Freiheit gegeben, immer wieder etwas Neues auszuprobieren.Damals gab es im Fernsehen nichts Vergleichbares. Es war die Zeit vor dem Aufstieg der Bezahlkabelsender und später der Streamingdienste. Ihre Art des Erzählens war sehr radikal und neu. Wie ist „Twin Peaks“ damals entstanden?David und ich hatten uns 1985 kennengelernt und gleich eine echte Affinität gespürt. Wir wollten beide Risiken eingehen. Ich erinnere mich, wie ich sechs Jahre zuvor aus der Mitternachtsvorstellung von Eraserhead gekommen bin und völlig verstört davon war. Aber zugleich hatte ich das seltsame Gefühl, dass ich eines Tages mit diesem Mann zusammenarbeiten würde. Und als wir uns trafen, bestätigte sich das. Wir schrieben ein paar Drehbücher zusammen, eines davon wäre fast verfilmt worden, doch sechs Wochen vor Beginn der Dreharbeiten ging das Studio pleite. Als wir überlegten, was wir als Nächstes versuchen könnten, sagte einer unserer Agenten: „Der Fernsehsender ABC würde gerne mit euch darüber sprechen, etwas für sie zu entwickeln.“Ich fand die Fernsehbranche altbacken und konformistisch. Also dachte ich mir: Lass uns da reingehen, eine Bombe zünden Sie hatten da gerade drei Jahre bei der Krimiserie „Polizeirevier Hill Street“ hinter sich …Ich war zuerst gar nicht begeistert von der Idee, weil ich wusste, welche Zwänge das Fernsehen mit sich bringt. Aber dann überwog das Gefühl, dass wir zusammen etwas Radikales und Subversives auf die Beine stellen könnten. Ich wollte die Branche aufmischen. Ich fand sie altbacken, konventionell und konformistisch. Also dachte ich mir: Lass uns da reingehen, eine Bombe zünden und sehen, was passiert. Und David, der nicht viel über die Fernsehbranche wusste, da er nur als Filmemacher gearbeitet hatte, sagte einfach: „Lass es uns machen.“Woher kam dieses Selbstbewusstsein?Wir hatten vor allem Glück. Wegen der verzweifelten Lage, in der sich ABC zu diesem Zeitpunkt befand, weil sie bei den Einschaltquoten auf dem dritten von drei Plätzen lagen, waren sie bereit, ein Risiko einzugehen. Und wir haben klar gesagt: Wenn das der Fall ist, dann kommt aber nicht irgendwann an und sagt uns, wie wir unsere Arbeit machen sollen. Wenn es euch gefällt, gut. Wenn nicht, dann nicht. Aber mischt euch nicht ein.Wie kann man sich die Kollaboration konkret vorstellen? Inwieweit haben Sie und David Lynch sich gegenseitig ergänzt?Wir haben einen Weg gefunden, Dinge zu entwickeln, die gleichsam organisch aus Gesprächen entstanden. Wir haben einfach angefangen zu reden, in diesem Fall allgemein über die Stadt. Wo liegt sie? Wer lebt dort? Was passiert dort? Mit Davids visuellem Gespür haben wir eine Karte erstellt. Dann begannen wir, die Karte zu bevölkern. Wir überlegten uns: Okay, es gibt ein Krankenhaus. Wer ist im Krankenhaus? Es gibt eine Zeitung. Wer arbeitet dort? Es gibt ein Hotel. Wem gehört das Hotel und wer betreibt es? Die Menschen in der Stadt stellten sich uns auf seltsame Weise vor und wir fanden diejenigen, die uns anzogen und die wir interessant fanden. Und dann kamen wir auf die Idee, wie wir die Geschichte organisieren könnten. Es sollte ein Krimi werden, der mit der Leiche einer jungen Frau beginnt, in Plastik eingewickelt … Es sollte nicht um die Auflösung des Falls gehen, sondern die Geschichte dieser Laura Palmer sollte so etwas wie der Generalschlüssel werden, der das Schloss öffnet, das einen tiefer in die vielschichtigen Vorgänge unter der Oberfläche dieser Kleinstadt führt.In Deutschland wurden die ersten Folgen im Herbst 1991 auf RTL ausgestrahlt, nachdem in den USA bereits beide Staffeln gelaufen waren. Die Spannung war groß – dann verriet der Konkurrenzsender Sat.1 den Mörder, um das Interesse an der Serie zu ersticken. Sie hatten im Laufe der zweiten Staffel enthüllt, wer Laura Palmer getötet hat …Und auch das nur, weil uns ABC am Ende der ersten Staffel eine Pistole an den Kopf gehalten und gesagt hat: Okay, wir verlängern die Serie, aber Sie müssen versprechen, dass Sie das Rätsel in der zweiten Staffel lösen. Also habe ich sie so lange wie möglich hingehalten. Und ja, wir hatten dadurch einen kleinen Einbruch bei der Spannung, die wir aufgebaut hatten. Aber wir waren der Meinung, dass das keine Rolle spielt. Für uns war Twin Peaks ein Universum, das ewig weitererzählt werden kann, weil es um viel mehr ging. Aber viele Leute mochten die zweite Hälfte der Staffel nicht, die Einschaltquote ging in den Keller. Diese Folgen erkunden die etwas abwegigeren Nebenstraßen von Twin Peaks, mit vielem darin bin ich immer noch sehr zufrieden.Haben Sie in all den Jahren bis zur Fortsetzung 2017 über „Twin Peaks“ gesprochen?Erst als wir merkten, dass die Serie auf DVDs erschien und so ein zweites Leben gefunden hatte. Es begann sich eine Welle zu bilden. Da begannen wir, darüber nachzudenken, ob vielleicht eines Tages … Ich hatte den verrückten Plan, eine Art James-A.-Michener-Roman über Twin Peaks zu schreiben, der bis in die geologische Entstehungszeit zurückreicht. Daraus wurde später das Buch Die geheime Geschichte von Twin Peaks. Ich dachte viel nach, und schließlich rief ich 2012 David an und sagte: „Ich glaube, ich habe eine Idee. Lass uns zusammen Mittag essen.“ Und das führte zu einem Jahr voller Diskussionen. Und dann zu einem weiteren Jahr voller Schreibarbeit, bevor wir überhaupt jemandem davon erzählten. Wir hatten das Gefühl, als würden wir am Manhattan-Projekt arbeiten, wir hielten es streng geheim.Diese dritte Staffel ist eines der radikalsten Comebacks in der Geschichte des Fernsehens. Wie haben Sie das geschafft?Wir waren entschieden gegen jede Art von Nostalgie. Das sollte keine Rückkehr zu Dallas sein, kein Star Trek – The Next Generation. So etwas interessierte uns überhaupt nicht. Wir sahen es als Chance, an das Alte anzuknüpfen, aber etwas Unerwartetes zu schaffen. Nachdem wir damals all diese Türen aufgestoßen hatten, wollten wir sie nun einreißen. Die Geschichte wurde dann viel ambitionierter als zunächst gedacht. Wir haben das Ganze als ein fortlaufendes Drehbuch ohne Unterteilung in Einzelfolgen geschrieben, ein Wälzer von rund 500 Seiten. Und wir wollten nicht im Voraus bezahlt werden. Wir wollten es bereits vollendet den Sendern anbieten. Und so hat es Showtime damals gekauft.Komischerweise hat es beim zweiten Mal sogar mehr Spaß gemacht. Vielleicht weil wir älter und uns unserer eigenen Sterblichkeit bewusster waren.Hatte sich die Art und Weise, wie Sie zusammengearbeitet haben, in der Zwischenzeit verändert?Die einzige Veränderung war, dass ich aus Los Angeles weggezogen bin und weiter nördlich im Ventura County lebe, etwas abseits vom Trubel. So haben wir viel gemailt oder über Skype gesprochen. Alles andere fühlte sich gleich an. Wir hatten dieselbe persönliche Verbindung. Ich vergleiche es gern mit einem Tennismatch: Man spielt am besten mit jemandem, der einem ebenbürtig ist und mit dem man lange Ballwechsel spielen kann. So waren David und ich. Komischerweise hat es beim zweiten Mal sogar mehr Spaß gemacht. Vielleicht weil wir älter und uns unserer eigenen Sterblichkeit und der Vergänglichkeit der Zeit bewusster waren.Seitdem sind weitere acht Jahre vergangen, in denen sich die Branche stark verändert hat. Glauben Sie, dass „Twin Peaks“ heute möglich wäre?Oh ja. Es gibt heute viel mehr Plattformen. Ich glaube, die Möglichkeiten für kreative Menschen sind heute größer als zu Beginn unserer Karriere. Damals gab es viele Gatekeeper in der Branche. Es war wie ein Club, bei dem man einen Fuß in der Tür haben oder jemanden kennen musste, um überhaupt eintreten zu dürfen. Die klassischen TV-Sender bekommen heute nichts Bedeutendes mehr hin, das das Geschichtenerzählen voranbringt. All das ist zuerst zu den Premium-Kabelanbietern und dann zu den Streamingdiensten gewandert. Das hat die gesamte Branche ins Chaos gestürzt. Aber aus dem Chaos können viele großartige Chancen entstehen.In der Flut an Serien ist aber bei Weitem nicht alles gut.Einiges davon ist kaum zu ertragen! Aber es ist im Großen und Ganzen besser als früher, als es nur drei Sender gab und es in allen Serien um die Probleme von weißen Männern oder von Kernfamilien ging.Erkennen Sie den Einfluss, den Sie auf das heutige Serienfernsehen hatten?Nur insofern, als es Menschen gibt, die Serien kreiert haben, die ich bewundere, und die mir gesagt haben: „Du hast mir geholfen.“ Ich erinnere mich an ein Gespräch mit David Chase, dem Macher der Sopranos. Er sagte: „Die Traumsequenzen in deiner Serie haben mir die Freiheit und den Mut gegeben, mich etwas Ähnliches zu trauen.“ Nic Pizzolatto meinte, ohne Twin Peaks hätte er nie True Detective schreiben können. Wenn das, was wir gemacht haben, den Leuten das Selbstvertrauen, den Mut oder die Chuzpe dafür gibt, ein Risiko einzugehen, dann ist das wirklich ein befriedigendes Gefühl.David Lynch ist im Januar verstorben. Bedeutet das auch das endgültige Ende von „Twin Peaks“?Es ist sehr schwer für mich. Ich habe nicht nur einen guten Freund verloren, sondern auch meinen kreativen Partner. Eine neue Fernsehserie auf die Beine zu stellen, ist für mich kaum vorstellbar. Zwar bin ich offen für alle möglichen Optionen und schaue, was sich ergibt – sei es ein Roman, ein Broadway-Stück oder eine One-Man-Show. Aber ich lasse mir damit noch Zeit. Noch vermisse ich David zu sehr.Mark Frost wurde 1953 in New York geboren und arbeitete nach seinem Studium in den 1980er Jahren im Writers’ Room der Serie Polizeirevier Hill Street, die als Vorläufer der modernen Qualitätsserien gilt. Abseits von Twin Peaks verfasste er mehrere Romane und SachbücherThomas Abeltshauser führte das Gespräch



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Von Veritatis

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