In der U8 ist es schrecklich, aber in der Linken auch irgendwie: Jens Winter zeichnet in „Im langen Sommer geboren“ ein lakonisches Porträt der Berliner linken Szene. Die Kritik am Klischee gerät jedoch selbst zu einem
„In der U8 ist es schrecklich, aber das wäre langweilig, sich darüber auszulassen.“ Gilt das nicht auch für die Linke?
Ein Mann versteht die Welt nicht mehr. Eben noch trugen doch alle um ihn herum dieselben Klamotten, tranken dieselben Getränke und vertraten dieselben Ansichten. Und dann? Postmoderne, Islamisten, Corona, Krieg und Krise: Plötzlich sind alle zerstritten.
Von der Szene, die einst antideutsch hieß, scheint nur noch wenig übrig zu sein. Durch ihre Ruinen schlendert der Protagonist in Jens Winters Debütroman Im langen Sommer geboren (XS-Verlag, 140 S., 22 €). In einem lakonischen Ton aus einfachen Hauptsätzen schickt er seinen Ich-Erzähler durch Berlin. Von der Ex-Szenekneipe Laidak über eine WG-Party mit Sesamstraßen-Motto zu einer Veranstaltung im Brecht-Haus.
Kein Klischee bleibt aus: Der ehemalige Mitbewohner, der vom Studium in den USA mit einem Arsenal postmoderner Theorie wiederkommt. Ines Schwerdtner, die im ICE versucht, den Schaffner zu agitieren. Dazu kommen Reflexionen über Islamisten und die linke Sehnsucht nach Gemeinschaft, über Petra Kellys Schlafzimmerblick und das Chthuluzän. Und irgendwann buddelt einer in Hegels Grab herum.
„Im langen Sommer geboren“: Männerliteratur, like it’s 1995
Das alles ist als eine formale und stilistische Kopie von Christian Krachts Faserland angelegt. Die Szene, die hier aufs Korn genommen wird, ist durch Marken und Konsum charakterisiert, und statt der Barbour-Jacke dient die Fleece-Jacke als Körperpanzer. Nur nichts an sich heranlassen, immer schön distanziert bleiben. Männerliteratur, like it’s 1995. Nur was außer Epigonalität mit Szenebezug kommt dabei heraus? Zur Sicherheit hat Winter die Kritik an seinem Vorgehen metaironisch gleich mitgeliefert: „In der U8 ist es schrecklich, aber das wäre langweilig, sich darüber auszulassen.“ Gilt das nicht auch für die Linke?
So überwiegt der Eindruck, dass hier weniger mit der intellektuellen und menschlichen Armut eines Milieus abgerechnet wird, sondern ein linker Mann über das ungute Gefühl klagt, in der Welt um sich herum nicht mehr im Mittelpunkt zu stehen. Insofern überrascht es wenig, dass der Autor vor Kurzem seinen ersten Artikel für Nius geschrieben hat – über die schlimmen Linken natürlich.