Eigentlich wollte ich nicht mehr über sowas schreiben. Zu viele Empörungswellen, zu viel moralischer Abgrund im Minutentakt. Doch es gibt Momente, in denen der Impuls zu schweigen selbst Teil des Problems wird. Der Tweet der grünen Stadträtin Julia Probst aus Weißenhorn ist so ein Moment. Denn er wirkt wie eine unbedeutende Entgleisung – und ist zugleich ein Fieberthermometer für ein Klima, das krank macht.
„Stellt euch vor, ihr müsstet darüber entscheiden, ob die Organe eines Familienangehörigen gespendet werden sollen. Zufällig wisst ihr, dass das der Empfänger die AfD wählt. Würdet ihr spenden? Gerade große Diskussion darüber im Freundeskreis. Mich interessiert eure Meinung“ schrieb Probst auf X, früher Twitter. Nicht in einem privaten Chat, nicht als Satire, sondern ganz öffentlich. Danach löschte sie den Tweet, distanzierte sich halbherzig – doch das Muster ist bekannt. Erst kommt der Tabubruch, dann die Relativierung. Und am Ende bleibt der Verdacht: Es war kein Ausrutscher, sondern ein ehrlicher Moment. Einer, in dem das Weltbild durchscheint, das solche Sätze überhaupt möglich macht.
Denn was hier aufblitzt, ist ein Denken, das nicht mehr zwischen politischem Gegner und Feind unterscheidet. Wer AfD wählt, ist aus dieser Sicht nicht nur falsch informiert, nicht nur ideologisch verirrt – sondern moralisch minderwertig. Und Minderwertigkeit heißt in letzter Konsequenz: weniger Rechte, weniger Hilfe, weniger Empathie. Oder eben: im Zweifelsfall kein neues Organ.
Das klingt übertrieben? Ist es aber nicht. Denn Probst steht nicht allein. In den Kommentarspalten applaudieren viele: „Ja, warum soll ich einem Nazi ein neues Herz geben?“ Oder: „Wer so wählt, wählt gegen die Menschlichkeit – dann soll er auch die Folgen tragen.“ Das ist kein Shitstorm von Rechts, sondern eine Welle der Selbstgewissheit von Links. Und sie spült nicht nur moralischen Schaum hoch – sie offenbart eine autoritäre Logik, die man früher totalitär nannte.
Was geht in einem Menschen vor, der so etwas postet?
Vielleicht war es Wut. Vielleicht der Reflex, besonders konsequent zu wirken. Vielleicht aber auch etwas Tieferes: die Überzeugung, dass politische Abweichung keine Meinung ist, sondern ein Makel. Und Makel gehören ausgemerzt, nicht unterstützt. Wer so denkt, will keine Debatte – er will eine Hygienezone. Eine saubere Welt, in der nur der Richtige lebt, liebt, leidet. Und wenn der Falsche stirbt – na ja, dann ist das eben Schicksal. Oder gar Gerechtigkeit.
Man kennt dieses Denken. Es beginnt mit Empörung und endet mit Entmenschlichung. Früher sprach man von „Volksverrätern“, heute von „Demokratiefeinden“. Und in beiden Fällen gilt: Wer einmal gebrandmarkt ist, dem darf alles genommen werden – sogar die Hilfe in der Not.
Und wo bleibt die Empörung der anderen Parteien?
Man stelle sich vor, ein CDU-Stadtrat hätte geschrieben: „Keine Organe mehr für Grüne.“ Die Talkshows wären voll. Die Distanzierungen kämen im Minutentakt. Doch hier? Ein paar kritische Tweets, ein Bericht der „Jungen Freiheit“ – und dann: Stille.
Das ist das eigentlich Verstörende. Nicht der Satz. Sondern das Schweigen. Die Bereitschaft, solche Ausfälle als „privat“, „ironisch“ oder „emotional“ abzutun – als wäre das kein Blick in den Abgrund, sondern nur ein kleiner Ausrutscher am Rand.
Doch wenn aus politischen Gegnern moralische Aussätzige werden, wenn die Zugehörigkeit zur falschen Partei den Anspruch auf medizinische Hilfe infrage stellt – dann ist das kein Ausrutscher. Dann ist es ein Alarmsignal.
Es ist der Ungeist von damals, im grünen Gewand von heute. Getragen von Leuten, die glauben, gerade deshalb immun zu sein – weil sie ja auf der „richtigen“ Seite stehen. Genauso wie ihre Großeltern einst. Nur dass sie es heute für Fortschritt halten, wenn sie Andersdenkende entmenschlichen.
Sie nennen es „Haltung“. In Wahrheit ist es Hybris. Und genau deshalb habe ich darüber geschrieben – obwohl ich es erst nicht wollte. Weil Schweigen schlimmer gewesen wäre. Weil man dem neuen Totalitarismus nicht mit höflichem Kopfschütteln begegnen kann.
Denn vielleicht kommt der Tag, an dem nicht mehr die Blutgruppe entscheidet – sondern der Wahlzettel. Und wenn dieser Tag kommt, wird niemand sagen können: Wir hätten es nicht kommen sehen.
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