In Kürze:

 

 

 

Am Montag, 23. Juni, wird Kanadas Premierminister Mark Carney in Brüssel einen „Sicherheits- und Verteidigungspakt“ unterzeichnen. Schon jetzt ist die Rede von einem der weitreichendsten Abkommen, die Brüssel je mit einem Drittstaat abgeschlossen habe. Ein hochrangiger EU-Beamter bestätigte die erfolgte Einigung am Freitag gegenüber der Nachrichtenagentur „The Canadian Press“.

Bereits am Sonntag wird Carney anreisen. Für Montagabend ist ein Treffen mit Ratspräsident António Costa und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geplant. Bereits zu Beginn der Vorwoche hatte diese am Rande des G7-Gipfels in Alberta Kanada als „Schlüsselpartner“ bezeichnet. Sie sprach auch von einem „Moment, in dem wir Kanadas Rolle in Europas sich schnell entwickelnder Verteidigungsarchitektur stärken können“.

Kanada soll sich zu maximal 35 Prozent an Projekten beteiligen können

Mit dem „EU Canada Security and Defence Partnership Agreement” wolle man „neue Wege für eine Zusammenarbeit“ finden. Diese solle sich auf Bereiche wie Krisenmanagement, militärische Mobilität, Bedrohungen im Cyberspace und die Rüstungsindustrie erstrecken.

Ein wesentlicher Teil des Abkommens wird die Beteiligung Kanadas am EU-Kreditprogramm „Security Action for Europe“ (SAFE) sein. Dieses umfasst ein Volumen von 150 Milliarden Euro und ist Teil der Initiative „ReArm Europe“. An dem Programm zur Förderung gemeinsamer Rüstungsprojekte sollen neben den EU-Ländern selbst auch ausgewählte Partnerländer teilnehmen können.

Kanada soll künftig nicht nur an europäischen Rüstungsprojekten teilnehmen können, sondern auch bevorzugten Zugang zum EU-Markt für militärische Güter erhalten. Bis zu 35 Prozent der Komponenten für deren Erzeugung sollen fortan aus Kanada stammen können. Mindestens 65 Prozent müssen jedoch weiterhin aus der EU kommen.

Weitreichende Abhängigkeit von US-Verteidigungsindustrie

Um konkrete Programme auf den Weg zu bringen, muss die Regierung in Ottawa jedoch noch ein zusätzliches bilaterales Abkommen aushandeln. Dabei ist bis dato das zivile Freihandelsabkommen CETA noch nicht vollständig ratifiziert. Das Abkommen wurde bereits im Oktober 2016 unterzeichnet. In Brüssel will man am Montag auch über dieses sprechen.

Vor dem Hintergrund der anhaltenden Krisen in der Ukraine und im Nahen Osten und angesichts des eigenständigeren Kurses der USA dient die Zusammenarbeit auch einem weiteren Zweck. So soll die derzeit massive Abhängigkeit sowohl der EU als auch Kanadas von der US-Verteidigungsindustrie verringert werden. Diese zeigt sich sowohl im materiellen als auch im technologischen Bereich.

Insbesondere bei hochentwickelten Waffensystemen und elektronischer Kriegsführung geht derzeit nichts ohne entscheidenden Beitrag von US-Unternehmen. Beispielsweise kann der Störsender AN/ALQ-131 für F-16-Kampfjets derzeit ausschließlich von den USA aktualisiert werden. Kurzfristig wird weder die EU noch Kanada diese Abhängigkeit in der Luftverteidigung in signifikantem Maße verringern können.

NATO-Vorgabe erstmals im aktuellen Haushalt erreicht

Mit einem Verteidigungsetat von etwa 62,7 Milliarden kanadischen Dollar (circa 39,6 Milliarden Euro) erreicht Kanada im laufenden Haushaltsjahr 2025/26 erstmals das NATO-Ziel von 2 Prozent des BIP. Noch im Vorjahr blieb das Land mit 1,4 Prozent noch deutlich darunter.

Auch wirtschaftlich und industriell ist Kanada eng mit den USA verflochten. Aus dem Nachbarland stammen 62 Prozent der kanadischen Importe, 76 Prozent der kanadischen Exporte gehen in die Vereinigten Staaten. Obwohl es seit 2020 ein neues Freihandelsabkommen zwischen den USA, Kanada und Mexiko gibt, hat US-Präsident Donald Trump jüngst seine Zollpolitik auch gegenüber den Nachbarn verschärft.

Als Gründe für die zusätzlichen Zölle nennt Trump neben dem Interesse an einer ausgeglichenen Handelsbilanz auch nicht handelsbezogene. Der US-Präsident fordert unter anderem striktere Grenzkontrollen vom nördlichen Nachbarn. So gebe es eine zu große Zahl an irregulären Einreisen von Migranten in die USA und Fentanyl gelange über die Grenze. Kanada betont, die Lage im Griff zu haben.

Kanada fühlt sich durch Forderungen nach Beitritt zu den USA brüskiert

Mit Blick auf kritische Rohstoffe für die Rüstungsindustrie ist Kanada für die USA der größte Lieferant. Gleichzeitig haben hauptsächlich die USA die Kapazitäten, die im Nachbarland abgebauten Rohstoffe zu verarbeiten und die erlangten Produkte zu exportieren. Dies unterstreicht die enge wirtschaftliche Verzahnung zwischen den beiden Ländern auch in diesem Bereich.

Die EU hofft nun, zusammen mit der Regierung in Ottawa alternative Lieferketten aufbauen zu können. Gleichzeitig soll das nun geplante Abkommen auch helfen, Technologien zu fördern, die zu einer stärkeren strategischen Autonomie beitragen.

Die Eintrübung des Verhältnisses zwischen Kanada und den USA – verstärkt durch Forderungen Trumps, sich als 51. Bundesstaat anschließen – hatte sogar Vorschläge laut werden lassen, der EU beizutreten. Bis dato bleibt es jedoch erst einmal bei der Absicht Ottawas, die eigene Rüstungszusammenarbeit zu diversifizieren.

CETA als ungelöste Baustelle – Hoffnung auf neuen Schwung

Fen Hampson, Professor für internationale Angelegenheiten an der Carleton University, hält auch erst einmal eine Ratifizierung von CETA für die dringlichere Herausforderung. Gegenüber „The Canadian Press“ äußerte er:

„Die wirkliche Herausforderung besteht darin, kanadische und auch europäische Unternehmen dazu zu bringen, es anzunehmen […] und mehr Geschäfte über den Atlantik zu machen, aber das erfordert auch politische Führung.“

Vor allem auf europäischer Seite hatte man es bislang mit der Ratifizierung des formal bereits 2017 in Kraft getretenen Abkommens nicht eilig. Möglicherweise kann Carneys Besuch vorerst zumindest diesen Prozess beschleunigen.



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Von Veritatis

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