Wenn neun Behörden wegen eines satirischen Memes gegen einen Rentner aktiv werden, ist die Grenze vom Rechtsstaat zur Repressionsfarce längst überschritten. Besonders aufhorchen lässt eine ministeriale Begründung, die andeutet, wie sich mit Verweis auf „Mehrheitsmeinung“ und Instrumentalisierung jedwede Abweichung zum strafbaren Verdachtsmoment umdeuten lässt.
von Josef Kraus
Weil er den damaligen Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck in Anlehnung an die „Schwarzkopf“-Shampoo-Werbung mit „Schwachkopf“ assoziierte, musste der 64-jährige Unterfranke Stefan Niehoff am 12. November 2024 im Morgengrauen eine Hausdurchsuchung der Kripo wegen Volksverhetzung über sich und seine Familie ergehen lassen. Niehoff hatte das Bild im Juni 2024 gepostet bzw. retweetet, und Habeck hatte Strafanzeige (eine seiner rund 1.500 Strafanzeigen) erstattet.
Anfang Juni 2025 wurde Niehoff schließlich in erster Instanz vom Amtsgericht Haßfurt zu einer Geldstrafe von 55 Tagessätze zu je 15 Euro, also 825 Euro, verurteilt. Grund: Niehoff habe NS-Bilder verbreitet, ohne dass man auf Anhieb erkennen konnte, ob er dafür oder dagegen ist. Ausgelöst wurde dies alles aber durch das „Schwachkopf“-Meme.
Nun stellt sich heraus, mit welcher an DDR-Verhältnisse erinnernden Gründlichkeit sich der bundesdeutsche Rechtsstaat dieses vermeintlich staatsgefährdenden Rentner-Posts annahm. Wahrscheinlich steckt dahinter die Erfindung des „Phänomenbereichs“ der „verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates“. Erfinder dieses Wortungetüms war im Frühjahr 2021, also noch zu Merkel-Zeiten, der damalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Thomas Haldenwang, CDU.
Neun Behörden waren bislang an der Causa „Schwachkopf“ beteiligt: Die Meldestelle „Hessen gegen Hetze“ des hessischen Innenministeriums, die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/Main, das Landesamt für Verfassungsschutz Hessen, das Bundeskriminalamt in Wiesbaden, das Landeskriminalamt Bayern, die Kriminalinspektion Schweinfurt, die Staatsanwaltschaft Bamberg, das Amtsgericht Haßfurt, und das Amtsgericht Bamberg.
Warum hessische Behörden, ging es doch um einen Bürger Bayerns?
Staatsanwaltschaft und Verteidigung zeichneten nun die Chronik nach. Das Landeskriminalamt Bayern hatte den Fall der Kriminalinspektion Schweinfurt und der Staatsanwaltschaft Bamberg geschickt. Das Landeskriminalamt seinerseits hatte ihn vom Bundeskriminalamt in Wiesbaden bekommen. Und das Bundeskriminalamt hatte ihn von einer der zahlreichen neuen Meldestellen erhalten, und zwar einer Abteilung im hessischen Innenministerium. Von dort ging es an die Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet des Bundeskriminalamts (ZMI BKA). Die Meldestelle wiederum arbeitet „eng mit dem Hessischen Landeskriminalamt, der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main, dem Bundeskriminalamt und dem Landesamt für Verfassungsschutz Hessen zusammen“, teilt eine Sprecherin des hessischen Innenministeriums mit.
Besonders verräterisch sind die Kriterien, nach denen „Hessen gegen Hetze“ vorgeht. Auf ihrer Website heißt es: „Immer mehr Menschen sind von Hass im Internet betroffen und ziehen sich lieber zurück, anstatt sich zur Wehr zu setzen. Dieser Entwicklung gilt es entgegenzuwirken, um zu verdeutlichen, dass hasserfüllte und extremistische Inhalte nicht die Mehrheitsmeinung unserer Gesellschaft abbilden.“ Wer also eine Meinung vertritt, die „nicht die Mehrheitsmeinung unserer Gesellschaft abbildet“, muss mit Strafverfolgung rechnen? Wenn man das nicht Gleichschaltung nennt – brav unterstützt von NGOs und den Öffentlich-Rechtlichen.
Und dann wird auch noch der politische Mord am hessischen Regierungspräsidenten Walter Lübcke instrumentalisiert. Die ministeriale Sprecherin schrieb dazu in einer Stellungnahme gegenüber der Welt: „Am 2. Juni 2019 wurde Walter Lübcke von einem Rechtsextremisten getötet. Der Täter hat zuvor im Internet massiv Hass und Hetze verbreitet. Der erschreckende Mord hat gezeigt, dass aus Worten Taten werden können. Die Meldestelle ‚HessenGegenHetze‘ wurde unter anderem als Reaktion auf den Mord durch einen Rechtsextremisten an Walter Lübcke gegründet.“ Und hier wird es nun bemerkenswert bis knifflig: mit einer solchen „Begründung“ lässt sich jede Kritik strafrechtlich verfolgen.
„Folgt man seiner Argumentation, sagt das hessische Innenministerium damit, dass jedes kritische Wort als möglicher Auftakt zu politischem Mord zu verstehen und daher zu verbieten sei. Dass die meisten bösen Worte keineswegs zu bösen Taten führen, scheint sich in Wiesbaden niemand auch nur vorstellen zu können, auch nicht, dass es in einer freiheitlichen Demokratie sinnvoll sein könnte, gerade mit einem offenen Debattenklima dazu beizutragen, dass Konflikte ausgetragen werden können und es bei Worten bleibt.“, schreibt Christoph Lemmer bei Welt.
Klassenprimus Bayern?
Der Freistaat Bayern will sich bei der Verfolgung von „Hass und Hetze“ offenbar besonders hervortun. Der Apparat dafür ist riesig: Es sind mindestens 30 staatliche, staatsnahe oder öffentlich-rechtliche Institutionen mit der Bekämpfung von „Hatespeech“ befasst. Dazu gehören Staatsministerien, Hatespeech-Beauftragte aller 22 Staatsanwaltschaften im Freistaat, öffentlich-rechtliche wie private Medien und Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Sie sind quer durch staatliche Gewalten und außerstaatliche Institutionen koordiniert.
Von Januar bis März 2025 zählte die Münchner Generalstaatsanwaltschaft, bei der der zentrale „Hatespeech-Beauftragte“ der bayerischen Staatsregierung angesiedelt ist, 921 neu eingeleitete Ermittlungsverfahren. Im gesamten Jahr 2024 waren es 3462 Verfahren. Das bedeutete eine Steigerung um elf Prozent gegenüber 2023. Zum 15. Februar 2024 war Staatsanwalt Beck zum aktuellen Hate-Speech-Beauftragten der Bayerischen Justiz als Gruppenleiter und als Koordinator von 22 Sonderdezernenten der örtlichen Staatsanwaltschaften ernannt worden.
Dabei ist man in Bayern auch nicht wählerisch, wenn es um die Zusammenarbeit mit eigenartigen „Trusted Flaggers“ wie dem dubiosen Portal „REspect!“ geht. Als „Direktor“ von „REspect!“ firmiert nicht etwa ein Jurist, sondern der aus Ägypten stammende und an der Kairoer Universität qualifizierte Islamgelehrte Ahmed Haykel Gaafar. Der Freitstaat ist sich auch nicht zu schade, große „Respect!“-Plakate in seinen Gerichtsgebäuden auszuhängen. „Frei“-Staat?
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