Der Dokumentarfilm „One to One: John & Yoko“ porträtiert eindrucksvoll, wie das Paar in New York 1971 versuchte, politisches Engagement und Kunst zusammen zu leben


Ein-Zimmer-Apartment in New York statt der Villa in Berkshire: Anders als Yoko Ono war John Lennon zunächst gegen die Rückkehr zum Spartanischen

Foto: Magnolia Pictures


Lässt sich in 18 Monaten die Welt ändern? John Lennon und Yoko Ono haben es versucht. 1971 zog das Künstler:innenpaar in New Yorks Stadtteil Greenwich Village, und tauschte seine große Villa in Großbritannien mit einem bescheiden eingerichteten Ein-Zimmer-Apartment: Instrumente, ein Bett, davor der Fernseher. Es sei Yokos Idee gewesen, erzählt John im Dokumentarfilm One to One: John & Yoko, der diese Phase im Leben der Superstars beleuchtet, einem Reporter am Telefon.

Er habe die Rückkehr zum Spartanischen zunächst abgelehnt und zu Yoko gesagt: „Du hast leicht reden, du bist reich geboren“. Doch unter den Augen der Welt (und, wie später herauskommt, auch unter permanenter Beobachtung des Geheimdienstes) entwickelten sich John und

lten sich John und Yoko zu nimmermüden politischen Aktivist:innen.Als Kulisse für ihren herausragenden Film dient den Regisseuren Kevin MacDonald und Sam Rice-Edwards ein naturgetreuer Nachbau des Lennon-Ono-Apartments. Behutsam fährt die Kamera durch den Raum, und landet immer wieder auf dem flackernden Bildschirm: „Ich liebe Fernsehen, es ist das Fenster zur Welt“, sagt Lennon am Anfang.Folgerichtig fächern MacDonald und Rice-Edwards die gesellschaftlichen Umbrüche der von Präsident Nixons Haltung zum Vietnamkrieg geprägten Zeit durch Content-Collagen aus Fernsehbildern auf: Während in dem einen TV-Programm Hausfrauen Flecken bekämpfen, kämpfen Soldaten im anderen. Der selbsternannte „Dylanologist“ A.J. Weberman, der jahrelang Bob Dylan stalkte, durchforstet in einer Sendung Dylans Müll, in einer anderen tritt, von Nixon höchstpersönlich angekündigt, ein Chor in türkisfarbenen Taftroben auf. Doch bevor der Song Ma he’s making eyes at me angestimmt wird, entrollt eine Sängerin ein Plakat mit „Stop the killing“, und fordert Nixon mit fester Stimme auf, sofort mit dem Bombardieren aufzuhören – ein anrührendes Dokument der vielfältigen Antikriegsproteste.Analoge „Shitstorms“Selbst für sattelfeste John-Lennon-Exeget:innen erstaunliche Telefongespräche John und Yokos mit der Welt unterbrechen immer wieder die Bilderflut. Sie existieren, weil das Ehepaar die (tatsächlich erfolgte) Telefonüberwachung ahnte, und sich entschloss, sie prophylaktisch auch auf der eigenen Seite aufzuzeichnen. So erlebt man etwa in einem absurden Nebenstrang die problematischen Versuche mit, genügend lebende Fliegen für Yokos Installation Fly zu besorgen – was essen Fliegen eigentlich, und wie lange leben sie?Offen sprechen beide über gesellschaftliche Verantwortung und persönliche Erfahrungen. Yoko erzählt einem Freund von analogen „Shitstorms“, denen sie in London ausgesetzt war: „Beatles-Fans schreiben mir: Ich hoffe du und dein Baby sterben“. Sie berichtet, dass sie während der Jahre in London drei Fehlgeburten hatte, wie sie auf der Straße mit rassistischen Beleidigungen überzogen wurde, und dass die Rest-Beatles sie lange bewusst ignorierten: „That’s male chauvinism“.Den auch John erkannt hat: „Ich war unbewusst Teil einer Verschwörung“, sagt er bei einem Gespräch über seine Entwicklung zum Feministen, „wie die meisten Männer, aus Ignoranz. Dann verliebte ich mich in ein in meinen Augen unabhängiges eloquentes kreatives Genie, und begann aufzuwachen.“ Das passt zu momentan (und viel zu spät) auch anderswo erfolgenden Versuchen, Yoko endlich aus der Buhfrau-Rolle herauszuholen.Aber One to One ist ebenso ein musikalisches Dokument: Als roter Faden dient ein Benefiz-Konzert, das Lennon und Ono 1972 für die Opfer eines Kinderheims gaben. Ein Fernsehbericht über unfassbare Zustände in der Willowbrook State School, in der Kinder mit mentalen Handicaps im wahrsten Wortsinn „aufbewahrt“ wurden, schockierte und berührte das Paar so stark, dass es Sofortmaßnahmen einleitete; emotionale Szenen zeigen, wie die Kinder ein von Lennon und Ono vor dem Konzert organisiertes Kinderfest besuchen.„Wo sind die Frauen in der Bewegung?“Überhaupt kann man den Künstler:innen in keiner Beziehung Untätigkeit vorwerfen – sie haben sich fest vorgenommen, das Gegenteil jener „Apathie“ zu leben, die Lennon bei der Post-Hippie-Jugend diagnostiziert. Doch es gibt viele Rückschläge: Gemeinsam mit dem Anarchisten und Provokateur Jerry Rubin planen Lennon und Ono eine große Tournee mit dem Titel Free the people – und auch da will man nicht „nur“ singen. Teil der Konzerteinnahmen, erzählt Lennon seinem Manager Allen Klein am Telefon, soll in jeder besuchten Stadt direkt an ein Gefängnis gegeben werden, um damit die ersten 500 Insassen freizukaufen, die nur aus Geldgründen keine Kaution stellen können. „Ich glaube nicht, dass so viele Menschen im Knast sitzen, weil sie sich die Kaution nicht leisten können“, zweifelt Allen. „Doch, tun sie“, weiß Lennon, „und die sind alle schwarz“.Aber die Tour wird gecancelt, weil die Pazifist:innen Lennon und Ono von Rubin und seinen zunehmend radikaleren Ideen Abstand nehmen müssen. „Was er will, klingt alles immer mehr nach Tod und Zerstörung“, erklärt Lennon, „da wollen wir keine jungen Menschen mit hineinziehen. Und wir fragen uns eh: Wo sind die Frauen in der Bewegung?“ Die vielen Anti-Kriegs-Aktivitäten führten dennoch zu einer – nicht ausgeführten – Aufforderung an Lennon, das Land zu verlassen.So bleibt, selbst bei Abzug des filmemacherischen guten Willens, oder einer affirmativen Intention, seine Objekte positiv darzustellen, eine beispiellose Sammlung von beachtlichen Tatsachen. Die vor allem im Hinblick auf die aktuelle Stimmung in den USA (und überall) besorgt machen: Der Film zeigt einen O-Ton des lange die Rassentrennung befürwortenden, ehemaligen Gouverneurs von Alabama, George Wallace. „Ich bin kein Rassist“, antwortet der auf eine entsprechende Frage, „die größten Rassisten der Welt sind diejenigen, die andere Leute Rassisten nennen“. Exakt mit dieser verdrehten Dialektik arbeitet Donald Trump.One to One: John & Yoko Kevin MacDonald, Sam Rice-Edwards Großbritannien 2024, 101 Minuten

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Von Veritatis

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