Tag 1
Fatima Khan: Madonna in den Trümmern
Von Florian H.J. Untererweg
Die Ausgangsbedingungen, um die literarischen Herzen von Jury und Publikum im Sturm zu erobern und damit einen Kickstart im Literaturbetrieb hinzulegen, könnten besser nicht sein für die vielfach ausgezeichnete Autorin Fatima Khan. In Bangladesch geboren, in Köln aufgewachsen, hat sie an der Kunsthochschule für Medien kreatives Schreiben studiert und am Literarischen Colloquium Berlin an der Autorinnenwerkstatt für Prosa teilgenommen und als studierte Germanistin in essayistischer Form sich mit der Frage auseinandergesetzt, was gute Literatur ausmacht. Darüber hinaus ist sie Mentee und Protegé von Mithu Sanyal, auf deren Einladung sie in Klagenfurt um den prestigeträchtigen Bachmannpreis liest.
Auch hat Fatima Kahn das Glück, mit ihrem Text Madonna in den Trümmern die Bachmanntage eröffnen zu dürfen, kann sich so um 10 Uhr in Klagenfurt auf wache und wettbewerbsliteraturausgehungerte Geister freuen und mit ihrem Text tonangebend die Latte setzen. Kein Druck. Aber manchmal passen Anglizismen einfach besser, auch für deutsche Literatur – no pressure also.
Ihr Text baut auf zwei Konflikten. Das Fremdsein, was sie sehr gelungen mit den unterschiedlichen Arten der Nahrungsaufnahme in Deutschland und Bangladesch beschreibt, und der Konflikt mit dem Vater, dessen Anerkennung sie sucht, von dem sie sich aber gleichzeitig abnabeln will. Das funktioniert über die deutsche Sprache, die sie im Gegensatz zu ihrem Vater meisterhaft beherrscht, sowie über die katholischen Sakralbauten und Götzen, die sie über die islamischen Gepflogenheiten ihres Vaters stellt. Die Madonnafigur in der Kapelle dient dann als Nexus, stellvertretend für diesen Konflikt.
Fatima Kahn inszeniert sich gegen Mitte ihrer Performance mit gefalteten Händen, gebetsmäßig ruft sie in einem lyrischen Einschub eine höhere Macht an, schickt Wünsche an ihren Text, er möge der bruchstückhaften Kapelle gleichen, in der die Madonna hängt.
Die Form des Textes wird von den Juroren kontrovers diskutiert. Wenn es sich um einen Brief an den Vater handelt, abgeschickt oder nicht, erklärt die Geschichte vieles, was der Vater ohnehin weiß. Gegen dieses Argument wird von Mihtu Sanyal ins Feld geführt, dass es sich um eine Textmontage handle und extrem geschickt gebaut ist. Auch für Klaus Kastberger „passt es schon irgendwie“, die Montage sieht er als legitime Textstrategie. Jurorin Mara Delius sieht im Tonfall die große Stärke des Erzählten, weil dieser einen eigenen Platz einfordert und sich somit von der Sprache des Vaters abhebt. Laura de Weck hebt das „Vater-Tochter-Sprache-Dreieck“ positiv hervor, das Schreiben als Sieg über Vater, als Desintegration aus der Familie.
Für Thomas Strässle ist der Text am besten, wenn er sprachlich verdichtet und szenisch ist. Jurorin Sanyal hebt die herausragende Rhythmik des Textes hervor und belegt das dann mit einer kurzen Stelle aus dem Brief an den Vater: „Du hast stets gesagt, dass ich immer in diesem Land auffallen werde, immer auffallen wird, dass ich mit der Muttermilch aufgesaugt habe, wie man die Sprache spricht, ohne dass man sie spricht.“
Der Bachmann-Wettbewerb: Die Tage der deutschsprachigen Literatur im österreichischen Klagenfurt gibt es seit 1977 – ihre 49. Auflage in diesem Jahr findet von 25. bis 29. Juni 2025 statt.
14 Autorinnen und Autoren aus Österreich, Deutschland und der Schweiz lesen unveröffentlichte Texte und bewerben sich damit um den Ingebor-Bachmann-Preis 2025: Thomas Bissinger, Natascha Gangl, Max Höfler, Nefeli Kavouras, Fatima Khan, Laura Laabs, Kay Matter, Tara Meister, Nora Osagiobare, Josefine Rieks, Almut Tina Schmidt, Boris Schumatsky, Verena Stauffer und Sophie Sumburane.
Über die Vergabe des Preises entscheidet die Jury, bestehend aus Klaus Kastberger, Mara Delius, Laura de Weck, Mithu Sanyal, Brigitte Schwens-Harrant, Thomas Strässle und Philipp Tingler unter Moderation von Peter Fässlacher und Cecile Schortmann.
Unter Anleitung von Freitag-Autor Karsten Krampitz berichten an dieser Stelle Studierende der Angewandten Kulturwissenschaft des Instituts für Kulturanalyse an der Alpe-Adria-Universität Klagenfurt im Rahmen eines Blockseminars „Einführung in den Literaturbetrieb“ fortlaufend aus Klagenfurt.
Nefeli Kavouras: Zentaur
Von Julia Gfrerer
Mit geneigtem Kopf beginnt Kavouras zu lesen. Ganz in ihrer eigenen Welt, die Welt ihres Textes. In der auch die ProtagonistInnen in ihrer eigenen Welt sind, isoliert voneinander. Mutter und Ehefrau Ruth und ihre Tochter Lea. Während der Ehemann und Vater im Sterben liegt.
Den ersten begrüßenden Blick ins Publikum gewährt Kavouras nach dem ersten Absatz, welcher das Ende der Geschichte vorausnimmt. Das Danach, die Beerdigung. Die Begrüßung, die Begegnung kommt mit dem Tod daher. Da sind sie auch wieder ein „wir“, die Mutter und die Tochter. Nach dem Danach beginnt das Davor. Die Geschichte wird abwechselnd aus der Perspektive der Mutter und der Tochter erzählt.
Ruth begleitet ihren Mann. „Der darf jetzt so sein, wie er ist. Und jetzt ist er nun einmal ein Sterbender. Und wie egal alles ist, wenn man jemanden einfach in Ruhe sterben lässt.“ Tochter Lea hat jetzt keinen Platz in Ruths Welt. Sie redet nicht mehr mit ihr. Lea kümmert sich in dieser Zeit um sich selbst. Sie wünscht sich eine Liebesgeschichte und bekommt auch eine.
Ruth betrachtet fasziniert die Schönheit des langsamen Sterbens und wie sich der Mensch immer mehr zum Tier verwandelt. Es riecht nicht so staubig, wie sie es sich vorgestellt hat, erzählt sie. „Eher süßlich, ein wenig nach Rosinen. Georg mochte keine Rosinen.“ Doch mit der Zeit stoppt die Faszination. Sie braucht eine Pause, Normalität, Schlaf. Sehnt sich danach, ihre Tochter in den Arm zu nehmen und wieder ihre Mutter zu sein, sehnt sich danach, dass es vorbei ist. Ein Wunsch, der mit der Erschöpfung einhergeht und selten laut ausgesprochen wird. Lea muss bei ihrem ersten Kuss an ihren Vater denken. Sie vergleicht die Familie ihres Freundes mit ihrer eigenen, hält es nicht mehr aus, geht in das Zimmer des sterbenden Vaters, und findet dort ein Pferd.
„Dass man nicht als Todkranker stirbt, sondern als Tier, hat etwas Würdevolles“, findet Jurorin Laura de Weck und empfindet Kavouras Werk als seltenen, weil positiven Sterbetext. Mit einfacher und klarer Sprache schenkt Kavouras dem Tod eine Leichtigkeit und gibt diesem vielbeschriebenem Thema damit eine neue Stärke. Auch wenn der Juror Klaus Kastberger nicht findet, dass der Text jetzt von der ganzen Welt gelesen werden muss, um sterben zu können, sieht er ihn als einen der Besten, eben weil er die Schwere herausnimmt.
Max Höfler: LAMBADA TUTTO GAS
Von Susanna Grozdek
Max Höfler geboren 1978 in Vorau, lebt zurzeit in Graz als freier Autor. Liest auf Einladung von Klaus Kastberger. Höfler studierte Germanistik, Philosophie- und Kunstgeschichte, promovierte mit einer Arbeit über Wittgenstein. In seiner beruflichen Laufbahn konnte er schon einige Erfolge erzielen, unter anderem als Literaturreferent des Forum-Stadtparks (2009–2017) und als Herausgeber des Leinwandliteraturmagazins Glory Hole. Einige wenige seiner Arbeiten und Veröffentlichungen sind unter anderem ALLES ÜBER ALLES Ritter-2024, Alternative Title: BOOK. Sampson Low, London 2020, Traktor. Ritter 2020, Arbeit Freizeit Gewalt. Ritter 2018, wies is is. Ritter 2014, Texas als Texttitel. Ritter 2010. Seine engagierte und gewissenhafte Arbeit bot ihm die Chance, sich beim Bachmannpreis 2025 dem kritischen Blick der Jury zu stellen.
Im Plüschpullover und kurzen Hosen erzählt uns Höfler in seinem Text LAMBADA TUTTO GAS auf satirische und humorvolle Weise den Sinn des Lebens und welche Herausforderungen das Leben und die Gesellschaft für uns bereithält. Mit Bildern, Gedichten und frecher Rhetorik hinterlässt er einen bleibenden Eindruck. Keine konventionelle Erzählung, eher eine wortgewaltige Suada. Zu Beginn ist die Rede von: „Lebenszeit, die sicher keiner von uns verschwendet haben will, wenn wir dann vom werten Herrn Sensenmann höflichst in den Holzpyjama gebeten worden sind, wir unsere Hufe also endgültig gestreckt, den finalen Lambada fertig getanzt haben.“
Höfler liest von „Aushilfsfürsten auf Bratspießen“, von „schwer behaarten Beelzebuben in viel zu engen Lederhotpens“ und „Knallharte Götterhelden“ und der schönste Satz von allem: „Und jetzt, Freunde, sehet, wie mir dieses scheißige Schicksal hier meine schöne Schüssel entreißt, mir meine schöne Schüssel einfach mir nichts, dir nichts hier auf den Boden pfeffert, hier einfach derart hinunterwichst, dass jetzt überall nur noch höchstgefährliche Schalensplitter herumliegen.“
Für einiges Staunen im Publikum und in der Jury sorgten die von ChatGPT verfassten Passagen, Sätze wie: „Diese obskuren Fußfetisch-Vibes und die ganze Pyjamaparty-Nummer sind richtig unangenehm.“ Aber sehr unterhaltsam, das meinte auch die Jury. Philipp Tingler sprach nicht nur für sich: „Ich fand das ganz sympathisch.“
Laura Laabs: Adlergestell
Von Ronja Fleischmann
„Denn hier hatte sie eingeschlagen, die fröhliche Bombe des Kapitalismus.“ Wie ist der Osten so rechts geworden? Wie kommen solche Menschen zu ihren rechten Ideologien?
Bei der Lesung des Romanausschnitts kamen gerade solche Fragen auf. Die Hauptfigur erzählt von ihrer Kindheit im Osten der unmittelbaren Nachwendezeit – und von ihren zwei Freundinnen. Es ist der Ausflug der lebenden Mädchen, im Kontrast zu Anna Seghers berühmter Erzählung. Zur Literatur wird ein Text nicht, wenn die Autorin sich erinnert, sondern die Leser*innen. So scheinbare, von Raum und Zeit gelöste Erinnerungen wie die Süßigkeiten Center Schocks, dem kleinen Laden an der Ecke oder auch die Sticker der Grundschullehrerin lösen eigene Kindheitserinnerungen aus.
Der Stil von der Jury gepriesen, wie von Mithu Sanyal als „dicht und sehr poetisch“ oder von Philipp Tingler als „routiniert und filmisch“. Eine minderjährige Mädchenmeute schmeißt von der Brücke aus Steine auf die Autos der Wessis. Was für ein Stoff! Nur verwandelt sich die Erzählerin am Ende in eine reichsdeutsche Aktivistin. Juro Thomas Strässle hat selten einen Text gelesen, der „sich so ins eigene Knie schießt.“ Dennoch großes Kino.
Verena Stauffer: Die Jäger von Chitwan
Von Julia Dueller
„Klaus, mach was für dein Geld! Erklär uns den Text“, sagt Philipp Tingler als erstes nach längerer Stille in der Jury. Juror Klaus Kastberger, der die Autorin zum „Bewerb“ eingeladen hat, weigert sich. Um was es in dem Text von Verena Stauffer wirklich handelt, kann, wie es aussieht, keiner so richtig beantworten. Nochmal Tingler: „Ich anerkenne den künstlerischen Gestaltungswillen.“
Schon zu Beginn startet die Geschichte mit einer herausfordernden und komplexen Einleitung: „In jener Stadt reißen Tiger Hunde. Die Tiger kommen nachts, die Hunde leben jetzt indoor: Die Menschen gehen nicht mehr nach draußen, sobald es dunkel ist.“ Wenn es in Klagenfurt einen Preis für den besten Satz geben würde, dann dieser: „Jener Elefant in Nepal, der fünfzehn Menschen auf Gewissen hat, heißt Ronaldo.“
Der Bachmann-Wettbewerb: Die Tage der deutschsprachigen Literatur im österreichischen Klagenfurt gibt es seit 1977 – ihre 49. Auflage in diesem Jahr findet von 25. bis 29. Juni 2025 statt.
14 Autorinnen und Autoren aus Österreich, Deutschland und der Schweiz lesen unveröffentlichte Texte und bewerben sich damit um den Ingebor-Bachmann-Preis 2025: Thomas Bissinger, Natascha Gangl, Max Höfler, Nefeli Kavouras, Fatima Khan, Laura Laabs, Kay Matter, Tara Meister, Nora Osagiobare, Josefine Rieks, Almut Tina Schmidt, Boris Schumatsky, Verena Stauffer und Sophie Sumburane.
Über die Vergabe des Preises entscheidet die Jury, bestehend aus Klaus Kastberger, Mara Delius, Laura de Weck, Mithu Sanyal, Brigitte Schwens-Harrant, Thomas Strässle und Philipp Tingler unter Moderation von Peter Fässlacher und Cecile Schortmann.
Unter Anleitung von Freitag-Autor Karsten Krampitz berichten an dieser Stelle Studierende der Angewandten Kulturwissenschaft des Instituts für Kulturanalyse an der Alpe-Adria-Universität Klagenfurt im Rahmen eines Blockseminars „Einführung in den Literaturbetrieb“ fortlaufend aus Klagenfurt.