Das ESG-System (Environmental, Social, Governance) gilt als Social Credit System der Wirtschaft: Unternehmen, die sich artig bekannten Agenden unterwerfen, sollen so bevorzugt mit Investitionen bedacht werden. Ganz besonders im Fokus stehen dabei die Themen Klima, Nachhaltigkeit und Diversity. Doch angesichts allgegenwärtiger Kriegslust verliert das alles an Bedeutung: Viel lohnenswerter erscheint es nun, in die Rüstung zu investieren. Wie soll man das jedoch rechtfertigen? Ganz einfach: Indem man die Aufrüstung bis hin zur Entwicklung von Atomwaffen als “nachhaltig” umdeutet.
Multipolar Magazin / Dieser Artikel wurde zunächst auf Multipolar veröffentlicht:
Frankfurt am Main / Berlin.(multipolar) Die Deutsche-Bank-Tochter „DWS“ plant, einen Teil ihrer Nachhaltigkeitsfonds für Rüstungsinvestitionen zu öffnen. Darauf machte der „Dachverband der Kritischen Aktionäre“ im Vorfeld der Hauptversammlung (13. Juni) des Vermögensverwalters mit Sitz in Frankfurt am Main aufmerksam. In Nachhaltigkeitsfonds der „DWS“ könnten nun sogar Hersteller von „kontroversen Waffen wie Nuklearwaffen und Waffen aus abgereichertem Uran“ enthalten sein, heißt es in einer Mitteilung der Organisation. Laut „DWS“-Chef Stefan Hoops habe die Öffnung das Potenzial, „Hunderte von Milliarden“ Euro an Waffenhersteller freizusetzen, berichtete die Wirtschaftszeitung „Handelsblatt“.
Investitionen in Aufrüstung kollidieren mit ESG-Richtlinien
Europaweit suchen Fondsmanager laut „Handelsblatt“ nach Möglichkeiten, „eine Industrie zu finanzieren, deren geopolitische Bedeutung angesichts von Kriegen und einer Verschlechterung der Beziehungen zu den USA zugenommen hat“. Bernhard Führer, Gründer der Vermögensplanungsgesellschaft „Strategy & Plan“, schrieb Ende Mai im österreichischen „Standard“ über einen „wachsenden Zielkonflikt zwischen ethischen Anlagekriterien und den wirtschaftlichen Chancen von Investitionen in die Rüstungsindustrie“. Im Kern geht es dabei um sogenannte ESG-Fonds (Environmental, Social, Governance). Sie richten sich an Investoren, die Wert auf ethische, soziale und ökologische Kriterien legen. Laut Führer sind die ESG-Richtlinien „nicht auf die neuen geopolitischen Realitäten ausgelegt“. Mairead McGuinness, ehemalige Kommissarin für Finanzdienstleistungen in der EU-Kommission, erklärte Ende 2024: „In der Industriestrategie der EU für den Verteidigungsbereich (EDIS) ist die Verbesserung des Zugangs der Verteidigungsindustrie zu Finanzmitteln eine Priorität.“
Andreas Niklaus, Vorstand bei der „State Street Bank International“, konstatierte im März 2022 in der „Frankfurter Allgemeinen“: „Die meisten ESG-Initiativen konzentrierten sich auf den Klimawandel, Diversity und die Unternehmensführung.“ Der Einmarsch Russlands in die Ukraine habe Risiken wie Krieg, Energiesicherheit und humanitäre Belange in den Vordergrund gerückt „und die Bedeutung des Begriffs Nachhaltigkeit ausgeweitet“. ESG-Anleger hätten nun begonnen, sich zu fragen, ob Rüstungsaktien Teil eines ESG-Portfolios sein könnten. Laut eines Berichts der „Financial Times“ hatten Europas ESG-Fonds vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs ihren Bestand an Verteidigungswerten zwischen dem ersten Quartal 2022 und September 2024 mehr als verdoppelt.
Umdeutung: Aufrüstung ist jetzt grün und nachhaltig!
Der „Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie“ (BDSV) beklagt seit längerem, dass Rüstungsfirmen aus grünen Wertpapierfonds „ausgeschlossen“ sind. Im Papier „Frieden Sicherheit Nachhaltigkeit” vom Mai 2022 erklärt BDSV-Hauptgeschäftsführer Hans Christoph Atzpodien: „Wenn wir unsere demokratisch-freiheitliche Lebensform gegen Aggression verteidigen wollen, dann brauchen unsere verfassungsmäßigen Streitkräfte dazu auch Waffen.“ Nur so könnten die Lebensgrundlagen geschützt werden. Bereits im Oktober 2020 bezeichnete Atzpodien „Sicherheit als ‚Mutter‘ aller Nachhaltigkeit“.
Das Magazin „Jacobin“ machte im Mai darauf aufmerksam, dass immer häufiger behauptet werde, Investitionen in Rüstungsunternehmen seien nachhaltig: „Schließlich könne Europa nur auf diese Weise die Demokratie verteidigen, was Nachhaltigkeit überhaupt erst ermöglicht.“ Recherchen der Zeitung „taz“ und der Organisation „LobbyControl“ zeigen, dass hinter solchen Behauptungen eine „massive Kampagne der Waffenlobby“ stecke. Investitionen in „Verteidigung, Resilienz und Sicherheit” sollten an sich als nachhaltig gewertet werden, da sie Frieden sicherten und so erst Nachhaltigkeit ermöglichten. Diese Argumentation habe Eingang in mindestens zwei der wichtigsten Strategiedokumente der EU-Kommission gefunden. „Teilweise finden sich Formulierungen, die sich wortgleich mit Aussagen in Stellungnahmen eines Rüstungslobbyverbandes decken”, erklärt „LobbyControl“.
“Nachhaltige” Atomwaffen?
Der österreichische Naturwissenschaftler und Friedensaktivist Peter Weish sieht hier ähnliche Netzwerke am Werk wie bei der Atomkraft. Auch die soll nach dem Willen von Lobbyisten als „umweltfreundlich“ eingestuft werden, erklärte er auf Anfrage von Multipolar. Der Berliner Gewerkschaftssekretär Ralf Krämer, der mit der Initiative „Gewerkschaften gegen Aufrüstung und Krieg” kooperiert, betonte gegenüber Multipolar, „Investitionen in Rüstungsunternehmen haben mit ‚Nachhaltigkeit’ überhaupt nichts zu tun“. Kriege, Rüstung und Militäraktivitäten seien im Gegenteil in immer höherem Maße für Naturzerstörung verantwortlich: „Eine Rettung von Menschen und Natur wird nur möglich sein, wenn die Hochrüstung gestoppt und stattdessen abgerüstet wird, und zwar weltweit.“
Juliane Hauschulz von der „Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen“ (ICAN) hält es für einen „Skandal“, dass selbst Atomwaffen inzwischen als „nachhaltig” eingestuft werden. Auf Multipolar-Anfrage erklärte sie, die Einstufung konventioneller Rüstung als „nachhaltig“ mache den Begriff Nachhaltigkeit „lächerlich“. Das ICAN-Vorstandsmitglied erinnert daran, dass die Zahl der Finanzinstitute, die in Atomwaffenproduktion investieren, seit Inkrafttreten des Atomwaffenverbotsvertrags Anfang 2021 „enorm“ gesunken sei. Der im Februar 2025 veröffentlichte Report „Don’t Bank on the Bomb” zeige allerdings, dass trotzdem schon jetzt knapp 514 Milliarden US-Dollar in Anleihen und Aktien von Firmen gehalten werden, die an der Atomwaffenproduktion beteiligt sind. Die Einstufung dieser Investitionen als „nachhaltig“ könnte für einen Anstieg sorgen.
Bei diesem Artikel handelt es sich um eine Übernahme von Multipolar. Der Titel, die Einleitung sowie Hervorhebungen und Zwischentitel wurden durch die Report24-Redaktion ergänzt.