Trotz breiter Forderungen, nützlicher Effekte und positiver Konjunktur bleibt der gesetzliche Mindestlohn weit unter der 15-Euro-Marke. Warum das ein politischer und wirtschaftlicher Fehler ist – und wem es nützt


Ein höherer Mindestlohn verbessert die Einkommen von Millionen Menschen im unteren Lohnsegment, besonders profitieren Frauen sowie Beschäftigte in Ostdeutschland

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Die Mindestlohn-Kommission hat gesprochen: Die viel diskutierten 15 Euro Mindestlohn wird es absehbar nicht geben. Zum 1. Januar 2026 steigt der allgemeine gesetzliche Mindestlohn von 12,82 Euro auf 13,90 Euro, ein Jahr später dann auf 14,60 Euro.

Insgesamt entspricht dies einem Plus von 13,9 Prozent. Der Beschluss beruhte auf einem Vermittlungsvorschlag der Kommissionsvorsitzenden Christiane Schönefeld. Arbeitgeber- wie auch die Gewerkschaftsseite in der Kommission haben ihn letztlich mitgetragen.

Ein Eklat wie Mitte 2023 ist damit ausgeblieben. Damals setzte die – eigentlich unparteiische – Kommissionsvorsitzende Christiane Schönefeld gemeinsam mit den Arbeitgebervertreter*innen eine Erhöhung des Mindestlohns auf lediglich 12,41 Euro durch. Dies lag weit unt

Schönefeld gemeinsam mit den Arbeitgebervertreter*innen eine Erhöhung des Mindestlohns auf lediglich 12,41 Euro durch. Dies lag weit unter den Forderungen der Gewerkschaften und glich die damals hohe Inflation nicht annähernd aus.Dem Beschluss war im Oktober 2022 eine politische Erhöhung des Mindestlohns von 10,45 Euro auf 12 Euro durch die damalige Ampel-Regierung vorausgegangen. Die geringe Erhöhung 2023 war eine Retourkutsche Schönefelds und der Arbeitgeberseite auf diesen politischen Eingriff.Ein Eklat wie Mitte 2023 ist damit ausgebliebenAuch als Reaktion auf diese aus ihrer Sicht skandalös geringe Erhöhung 2023 forderten die Gewerkschaften schon seit Längerem ein kräftiges Plus auf 15 Euro. Die SPD hat diesen Betrag wachsweich in den Koalitionsvertrag schreiben lassen – der zugleich allerdings das Primat der Mindestlohnkommission betont. Diese werde sich bei ihrer Entscheidung sowohl an der Tarifentwicklung als auch an 60 Prozent des Bruttomedianlohns von Vollzeitbeschäftigten orientieren, heißt es da. Und dann: „Auf diesem Weg ist ein Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar.“ Kanzler Friedrich Merz interpretierte dies – durchaus nachvollziehbar – als Absage an die Möglichkeit, den Mindestlohn erneut durch politischen Eingriff anzupassen.Profitieren würden Frauen sowie Beschäftigte in OstdeutschlandSo wird es also 2026 keinen Mindestlohn von 15 Euro geben, und auch 2027 nicht. Dabei hätte es gute Gründe dafür gegeben. Ein höherer Mindestlohn verbessert die Einkommen von Millionen Menschen im unteren Lohnsegment, besonders profitieren würden Frauen sowie Beschäftigte in Ostdeutschland.Es wäre ein zusätzlicher Impuls für die Binnennachfrage gewesen. Gerade Haushalte mit geringen Einkommen geben zusätzliche Mittel vollständig für den Konsum aus, was die private Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen direkt ankurbelt.Deutschland ist 2025 konjunkturell besser gestartet als erwartet; die Wirtschaftsforschungsinstitute korrigieren derzeit ihre Prognosen für das Gesamtjahr und für 2026 nach oben. Neben den absehbar höheren öffentlichen Investitionen dank Schuldenpaket der Bundesregierung ist die höhere Nachfrage durch Privathaushalte ein wesentlicher Treiber für diese – vorsichtige – Stabilisierung.Ein höherer Mindestlohn verbessert die Einkommen von Millionen Menschen im unteren LohnsegmentDie Exportbranchen hingegen kriseln nach wie vor. Angesichts der geopolitischen Unsicherheiten dürfte das mindestens mittelfristig so bleiben. Ein stärkeres Plus gerade bei kleinen Einkommen wäre in dieser Situation konsequent gewesen. Es hätte exportorientierte Betriebe weniger belastet, da sie Arbeitnehmer*innen nur in unterdurchschnittlichem Umfang zum Mindestlohn beschäftigen. Stattdessen hätte es die private Nachfrage weiter gestärkt – und damit indirekt jene Betriebe und Branchen, die von ihr stärker profitieren.Erfolgreiche Gegenwehr der Arbeitgeber- und BranchenverbändeGenau hiergegen hatten die Arbeitgeber- und Branchenverbände seit Wochen getrommelt. Insbesondere der Deutsche Bauernverband hat wiederholt vor einer Erhöhung auf 15 Euro gewarnt und Ausnahmen für Saisonarbeitskräfte gefordert. Andernfalls bringe ein höherer Mindestlohn für viele Agrarbetriebe das Aus. Auch der Arbeitgeberverband Gesamtmetall, dessen Mitgliedsunternehmen nur wenig betroffen sind, sprach sich gegen die 15 Euro aus – wie auch Gastronomie und Handwerk.Bereits im April warnten in einer gemeinsamen Erklärung der Handelsverband Deutschland, der Deutsche Bauernverband, der Raiffeisenverband, das Bäckerhandwerk, Gesamtmetall sowie die land- und forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände vor Unternehmenspleiten und steigenden Preisen durch einen höheren Mindestlohn.Dabei sind diese weniger problematisch, als es angesichts der alarmistischen Kakophonie der letzten Wochen erscheinen mag. Steigen die Preise für „Mindestlohn-produzierte“ Güter und Dienstleistungen, so verliert ein Großteil der Bevölkerung zwar etwas an Kaufkraft, da diese Haushalte für den gleichen Konsum etwas mehr bezahlen müssen. Die Minderheit der Mindestlohn-Beschäftigten allerdings profitiert – aus guten Gründen: Die Einkommensverteilung wird auf diese Weise weniger ungleich.Insolvenzen sind kein HorrorszenarioSelbst Insolvenzen von Unternehmen sind kein Horrorszenario. Die Mindestlohn zahlenden Unternehmen legen die gestiegenen Lohnkosten teilweise oder vollständig auf die Preise um. Das mag zu geringeren Absätzen und bisweilen in die Pleite führen. Wenn die Menschen sich etwa seltener die Haare schneiden lassen, werden einige Friseurläden verschwinden.Dies ist aber schlicht ein Zeichen dafür, dass eine Gesellschaft die entsprechenden Güter und Dienstleistungen ganz oder teilweise für verzichtbar hält und ihre Einkommen lieber anderweitig verausgabt.Für die betroffenen Unternehmen mag das ärgerlich sein, für eine Volkswirtschaft als Ganzes hingegen ist es von Vorteil: Sie kann Zeit und Geld zielführender einsetzen. Das Geld gibt sie für Produkte aus, für die sie mehr zu bezahlen bereit ist. Und die (Arbeits-) Zeit der Beschäftigten verwendet sie auf Güter und Dienstleistungen, die mit höherer Produktivität hergestellt werden, was wiederum höhere Löhne ermöglicht. Das ist kein „schleichender Verlust von einfachen Jobs“, wie das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft pflichtschuldig behauptet. Es ist Voraussetzung für gute Löhne und Wohlstand.Die schlechteste Lösung jedenfalls wäre, solche Branchen durch eine schlechte Bezahlung am Leben zu haltenNun mag es gute Gründe geben, dass es bestimmte Güter und Dienstleistungen trotz unzureichender Nachfrage weiterhin gibt. Versorgungssicherheit etwa mag für landwirtschaftliche Produktion im eigenen Land sprechen, kulturelle Gründe für den Erhalt eines vielfältigen Restaurantangebots. Im Zweifel wird es politische Eingriffe oder öffentliche Gelder brauchen – wie schon lange bei Krankenhäusern, Kitas oder Theatern. Die schlechteste Lösung jedenfalls wäre, solche Branchen und Betriebe durch eine schlechte Bezahlung der Beschäftigten am Leben zu halten.Kurzum: Ein höherer Mindestlohn wäre sinnvoll gewesen.

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Von Veritatis

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