Die Künstlerin Simone Dede Ayivi zeigt in den Berliner Sophiensälen ihre neue Perfomance „Hä?!“. Unsere Kolumnistin war auf der Premiere und erlebte einen hinreißenden Abend der Selbstbefragung in alle Richtungen


Die Künstlerin Simone Dede Ayivi

Foto: Gedvilė Tamošiūnaitė


Zugegeben, der Fragelaut „Hä?!“ bringt auf sympathisch geerdete Art das Unverständnis gegenüber der Gegenwart auf den Punkt. „Hä?“ ist die Antwort auf so ziemlich alles, was gerade passiert. Andererseits markiert es auch eine Art Sprachverlust, denn die lähmende Ratlosigkeit ist so groß, dass man es verbal nur noch bis zur Ziellinie einer hervorgestoßenen Lautäußerung schafft. Es fällt einem einfach nichts mehr ein, noch nicht mal ein „Ach, wieso denn?“ oder „Interessant, nicht wahr?“. „Hä?“ ist das verständnislose Dunkel, in dem man tappt, wenn alle Diskurs-Koordinaten verloren gegangen sind.

So fängt die Performance Hä?! von Simone Dede Ayivi, die am Wochenende

, die am Wochenende in den Berliner Sophiensälen Premiere feierte, denn auch an: Im stockdusteren Nebelraum sucht der Strahl einer Taschenlampe nach Anhaltspunkten. Zum Beispiel Sektgläser, von der Decke hängende Alufoliensternchen, alte Röhrenfernseher. „Es war nicht das erste Mal, dass sie diesen Raum betrat“, verkündet eine Stimme: „Früher hatte sie diesen Raum als heimelig empfunden, aber jetzt kam er ihr unheimlich vor“.Die Performerin Simone Dede Ayivi widmet sich in ihrer Arbeit schon seit vielen Jahren den gesellschaftlichen und persönlichen Folgen von Rassismus. Wie 2012 in Krieg der Hörnchen, in dem sie die bei einigen vorhandene Angst vor der Ausbreitung des amerikanischen Grauhörnchens in deutschen Wäldern zum Anlass nahm, um rassistische Kategorien zu dekonstruieren.„Aber das habe ich doch alles schon erzählt“, sagt sie nun, bekleidet mit einem beeindruckenden lilasilbernen Regenponcho („Du kannst jeden Raum betreten, wenn du einen Raumanzug hast!“). In diesem „Diskursraum Theater“ ist also alles schon mal dagewesen; wie kommt es dann, dass die Wirklichkeit nicht besser, sondern immer extremer wird? Denn dass hier an die Macht des Theaters geglaubt werde, das beweise ja schließlich die Anwesenheit des Publikums, meint sie verschmitzt.Glitzernd im Kreis drehenDoch welche Geschichten und Ansätze müssten gezeigt werden, um die „Geister der Vergangenheit“ endgültig zu bannen, um das Monster des rechten Gedankenguts (von dem uns gesagt wurde, dass es schliefe, dass es „nie wieder“ kommen würde) endlich zu besiegen? „Ich kann mir ja kein Glitzerkostüm anziehen und Seifenblasen pusten, das sieht zwar schön aus, bringt aber nichts“, grübelt sie. Dann findet sie eine verstaubte Kiste, in der alte Familienbilder liegen. Das sei aber auch schon alles erzählt: jahrelang habe man der Dominanzgesellschaft Geschichten von der eigenen Herkunft erzählt, von den Mango-, Mandel- und Olivenbäumen der eigenen Heimat und von den warmen Armen der Großmutter im Herkunftsland. Auch das habe zu keiner Empathie geführt. Aber vielleicht muss man diese Geschichten trotzdem weiter und immer wieder erzählen?Hä?! ist ein wunderbarer, absolut ehrlicher Abend der künstlerischen Selbstbefragung in alle Richtungen angesichts einer bedrohlichen Gegenwart. Denn nicht nur die künstlerischen Räume im „post-Chialo Theater“ sind radikal unsicher geworden, sondern auch das Land selbst, in dem kalte Abschiebediskurse und ungesetzliche Grenzkontrollen ihre Wettrennen miteinander veranstalten. So von allen Seiten unter Druck geraten, stellt sich auch die existenzielle Frage nach der Wirksamkeit von Kunst. Und es ist bewegend und selten zu sehen, dass ein Theaterabend so vorbehaltlos die eigene Ratlosigkeit offenbart.Am Ende trägt Simone Dede Ayivi doch noch einen Glitzerumhang. Sie sitzt vom Licht angestrahlt auf der Drehbühne und funkelt letzte Hoffnung in den Raum hinein. „Was tust du da?“ fragt die Stimme und sie antwortet: „Ich drehe mich im Kreis.“ Seifenblasen gibt es dann auch noch. Vielleicht ist das ja erstmal die einzige Antwort, die es gerade geben kann.

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Von Veritatis

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