Die Technokraten im Silicon Valley befürchten den Bevölkerungkollaps und fordern Frauen zum Kinderkriegen im „Superbreeding“-Stil auf. Allerdings sollen sich bitte nicht alle vermehren
Ein hochbegabtes Baby aus dem Reagenzglas
Montage: der Freitag
Weltuntergangsstimmung im Silicon Valley: Die „Zivilisation“ ist in Gefahr. Aber ein kleines, elitär-exklusives Technokraten-Dorf leistet Widerstand. Und ruft zum Ficken fürs Vaterland auf. Darunter: Elon Musk: „Die sinkende Geburtenrate ist die größte Gefahr für unsere Zivilisation“. Soziale Ungleichheit? Kriege? Klimawandel? Für die Tech-Bros im Silicon Valley liegen die Probleme ganz woanders. Kinder braucht das Land!
Eine Ansicht, die die Regierung im Weißen Haus teilt. Gleich in den ersten Wochen seiner zweiten Amtszeit unterzeichnete Präsident Donald Trump ein Dekret zur Unterstützung von In-vitro-Fertilisation. Er fantasiert öffentlich, für Mütter von sechs oder mehr Kindern eine „Medal of Mothe
unterzeichnete Präsident Donald Trump ein Dekret zur Unterstützung von In-vitro-Fertilisation. Er fantasiert öffentlich, für Mütter von sechs oder mehr Kindern eine „Medal of Motherhood“ einzuführen – das Nazi-Regime und sein Mutterkreuz für Mehrfachmütter lassen grüßen.Pronatalismus ist in. Also die Überzeugung, dass bestehende Probleme durch mehr Nachwuchs gelöst würden. Das ist erstmal die eher vorsichtige Beschreibung. Was der politische Pronatalismus, der innerhalb der Tech-Elite wie rechtskonservativen Kreisen gleichermaßen beliebt ist, eigentlich will: „Im Kern geht es da um die Fantasie und Ideologie, dass Fortpflanzung durch sozialtechnokratische Instrumente und Anreize politisch steuerbar ist“, sagt Heike Kahlert. Sie leitet den Lehrstuhl für Soziologie/Soziale Ungleichheit und Geschlecht an der Ruhr-Universität Bochum. Dabei rutscht der Pronatalismus schnell in rechte Abgründe. „Pronatalismus steht im Zusammenhang mit einem völkischen Denken und einer nationalistischen Haltung.“ Politisch gesehen geht es um Macht für die herrschende und privilegierte Gruppe. Es ist nämlich ganz und gar nicht egal, wer sich da vermehrt. Während die Trump-Regierung die Zahl bestimmter Bevölkerungsgruppen – durch restriktive Migrationspolitik und gewaltsame Abschiebungen – einzuhegen oder gar zu reduzieren versucht, sollen andere mehr Kinder bekommen, bitte! Diese „Anderen“ sind weiß, gesund, gebildet, mit hohem sozialem Status.Der Pronatalismus will nur bestimmte BabysNeu ist das nicht. Pronatalismus ist, historisch gesehen, immer selektiv gewesen, so Wissenschaftlerin Kahlert. „Die Quantitätsfrage ist immer mit der Qualitätsfrage verbunden.“ Was sich ändert, sei lediglich, was unter „Qualität“ verstanden wird: Mal gehe es um das Geschlecht, mal um die soziale Herkunft oder die Hautfarbe. Aktueller Trend im pronatalistischen Silicon Valley: „Es sollen nicht alle möglichen Kinder zur Welt kommen. Sondern möglichst gesunde, weiße, von gebildeten Eltern der Mittelschicht.“ So wie die mittlerweile vier schneeweißen Kinder des Tech-Ehepaars Collins. „Wir würden niemals ein Kind haben wollen, dessen IQ geringer ist als unserer“, sagen die von sich.Simone und Malcolm Collins sind zum Pronatalismus-Vorzeigepärchen geworden. Sie: Ex-Geschäftsführerin bei Dialog, dem geheimniskrämerischen Elite-Club, der unter anderem vom rechts-libertären Peter Thiel, Ex-„Gangmitglied“ der „PayPal-Mafia“, wie sich die Bro-Bande selbst gern nennt und zu der auch Elon Musk gehört, gegründet wurde. Er: Ehemals Risikokapitalgeber und wie seine Frau großer Fan reproduktiver Technologien – Stichwort In-vitro-Fertilisation und genetisches Screening. Dank Polygenic Risk Score Selection (PRS) wählen sie „die optimalen Embryos“ aus. Das sagen sie selbst genau so. Um die Zivilisation vor dem „demografischen Kollaps“ – wie es auf der Webseite ihrer Initiative pronatalist.org heißt – zu retten, erklären sie das (selektive!) Kinderkriegen zur ersten Aufgabe. „Superbreeding“ nennen sie das. Und bezeichnen sich mittlerweile selbst ironisch als „Hipster-Eugeniker“.Auch wenn in der pronatalistischen Tech-Szene rund um Collins und Co. beteuert wird, es gehe wirklich, wirklich um (fast) alle Babys. Zwischen den Zeilen: Rassismus, Ableismus, Klassismus, Größenwahn. Das wird allein dadurch deutlich, dass die Mär vom Bevölkerungskollaps schlicht und einfach falsch ist. Die Zahl der Menschen weltweit steigt immer noch beharrlich. Aber für die Silicon Valley-Elite schwinden eben gefühlt die, die „die Bürde des Weißen Mannes“ tragen – hochbegabte, finanziell vermögende, weiße, nicht-behinderte Menschen in sozial privilegierter Position. Deshalb zeugt Elon Musk Kinder, wo immer er kann. Deshalb wollen die Collinses mindestens acht Kinder bekommen, die wiederum jeweils mindestens acht Kinder zeugen sollen. Ad infinitum. Babyglück goes eugenisch durchgestylte Schneeball-Logik.Kinderkriegen gegen den „großen Austausch“ und links-woke IdeologieDie Grenzen zum „Großen Austausch“, der in den Kreisen der Neuen Rechten beliebten Verschwörungserzählung, die weiße Mehrheitsbevölkerung solle durch Migration ersetzt werden, sind fließend. Das Motiv ist ziemlich banal: „Machterhalt und Machtausbau“, meint Kahlert. Dabei steht der Pronatalismus der Tech-Elite in kruder Verbindung zu neurechtem Denken, rassistischen und misogynen Weltbildern bei gleichzeitigen technokratischen Allmachtsfantasien. Propaganda inbegriffen: Kinderkriegen ist erste Pflicht für Ausnahme-Patriot:innen. Dann löst sich auch das links-woke Problem von selbst. Denn, so Malcolm Collins 2024: „Am Ende des Tages werden wir gewinnen. Wenn man sich die Geburtenraten anschaut, sieht man, dass die Leute, die sagen, dass wir Nationalisten oder Extremisten sind, diejenigen sind, die keine Kinder haben. Die werden in 100 Jahren ausgestorben sein. Deshalb ist es eigentlich nicht bedeutend, ob man andere Menschen davon überzeugt, viele Kinder zu bekommen. Die meisten von ihnen und ihre Ideologien werden aussterben.“Es wundert kaum, dass gerade die Tech-Elite im Silicon Valley auf den Pronatalismus-Hype aufspringt. „In der Tech-Szene dominiert ein Machbarkeits- und Kontrollwahn“, so Kahlert. Und was ist absoluter als die Kontrolle menschlichen Lebens? „Den Protagonisten geht es darum, mit ihrer Technologie zu steuern und zu kontrollieren“. Und genau da liegt die Nähe zum Pronatalismus: nämlich die Absicht zu haben, menschliche Fertilität zu steuern und die Fortpflanzung beherrschen und überwachen zu wollen.Das ist nicht nur einfach die Hybris einer Tech-Elite der Superreichen, denen der Bezug zur Realität zunehmend entgleitet, wenn sie aus dem Weltraum-Kurztrip die Schönheit der Erde beträllern. „Diese Fantasie“ so Kahlert „ist eine Allmachtsfantasie, die autoritär und autokratisch ist und das wiederum gehört zu rechtem Denken und rechter Politik“. Das ist beängstigend.Und doch. Wenn man genau hinsieht, dann kann man da neben neurechtem Ausdünsten vor allem auch eines riechen: Angst. Hinter dem pronatalistischen Hype steht schlicht die Furcht vor Machtverschiebungen. Davor, dass das etablierte Werte- und Machtsysteme in Frage gestellt oder sogar gestürzt werden könnten. Kurz: Die Dominanz der mächtigen männlichen, weißen Eliten wankt. Vor diesem Hintergrund kann man Musks verzweifelten Versuch, „single-handedly“ per „unhinged“ Samenspritze die Zivilisation zu „retten“, ein Stück weit gelassener betrachten. Historisch gesehen ist es nämlich so: „Es ist egal, ob ich Medaillen verleihe oder Prämien zahle – Menschen lassen sich nicht zum Kinderkriegen zwingen. Wenn Frauen keine Kinder kriegen wollten, dann kriegten sie keine, egal, was die da Oben beschlossen.“ Dem Pronatalismus liege, so Kahlert, ein naiver Behaviorismus zugrunde, der annimmt, dass Anreiz immer die gewünschte Wirkung zeigt. Nur: „Wir wissen längst, dass das nicht funktioniert“. Aus der Geschichte. Und aus der Wissenschaft. Mit der befassen sich rechte Pronatalist:innen aber oft gar nicht. Na dann, good luck, Tech-Elite!