Eklige Toiletten, siffige Duschen: Jan Labrenz ging auf Social Media viral, als er in der ARD den harten Alltag als Fernfahrer schilderte. Wie geht es dem Spediteur heute? Und was plant die Bundesregierung, um den Job attraktiver zu machen?
In der ARD ist Jan Labrenz kürzlich fast geplatzt – wie geht es dem Spediteur heute?
Foto: Verkehrsrundschau/G. Vogt-Möbs
Man stelle sich mal vor, während der Arbeitszeit für jeden einzelnen Gang zur Toilette einen Euro auf den Tisch legen zu müssen. Da würde man sich den ein oder anderen Kaffee wohl sparen. Für Jan Labrenz ist das Alltag. Sein Arbeitsplatz sind Deutschlands Autobahnen. Sein Pausenraum: die Raststätten mit den klebrigen Böden, die sich, eingehüllt von Benzin, Abgasen und einem Hauch von abgewetztem Autoreifengummi, ungefähr alle 50 Kilometer in leicht abgewandelter Form wiederholen. Vor einigen Monaten wurde der wütende LKW-Fahrer plötzlich berühmt.
Bei „Hart aber fair“ sagte er mit brüchiger Stimme: „Ich platze gleich.“ Während sich Politiker die Diäten um Hunderte Euro erhöhen, müsse
üsse er jeden Toilettengang und jede Dusche an der Raststätte aus der eigenen Tasche zahlen. „Darüber kann ich nicht lachen.“ Nachdem er in der ARD-Sendung auf die miserablen Bedingungen der sanitären Anlagen auf deutschen Rasthöfen hingewiesen hatte, war sein Anliegen auf einmal Thema.Es war seine direkte, authentische Art, die dafür sorgte, dass kurze Videoclips seines Auftritts bei Social Media vielfach geteilt wurden. Doch wird sich die Situation für ihn und die 480.000 anderen Berufskraftfahrer in Deutschland verbessern? Welche Pläne hat die schwarz-rote Bundesregierung? Und sind diese mehr als nur ein Tropfen auf den heißen Stein?„Tank & Rast“ beherrscht rund 90 Prozent des Marktes für Autobahnraststätten – zum leidwesen der LKW-FahrerMit seinem tannengrünen Truck und mit auf Hochglanz polierten Felgen pendelt Jan Labrenz, 45, etwa zweimal die Woche von Bielefeld nach Dillingen an der Donau, um Leergut zu be- und entladen. Seit Anfang des Jahres hat er nun diese feste Strecke, davor war er in ganz Deutschland unterwegs. Die Aufträge kommen von der Spedition, die er zusammen mit seiner Frau betreibt. Freitags ist Bürotag, da werden die Dinge erledigt, die über die Woche so anfallen. Wahnsinnig langweilig sei das immer für ihn, sagt er. Darum hat er Zeit für ein Telefonat.Am schlimmsten seien die Raststätten mit den Sanifair-Toiletten. Und von denen gibt es viele – schließlich hat das Tochterunternehmen des marktbeherrschenden Fast-Monopolisten „Tank und Rast“ seine Pranke über Deutschlands Straßennetz gelegt. Sanifair ist an rund 300 Autobahnraststätten in ganz Deutschland präsent – mit Ausnahme der Bundesländer Berlin und Bremen. Die Muttergesellschaft Tank & Rast beherrscht rund 90 Prozent des Marktes für Autobahnraststätten und erwirtschaftete vor der Corona-Pandemie einen Jahresumsatz von 650 Millionen Euro. Der Konzern hat ein System geschaffen, das LKW-Fahrern mehr schadet als nutzt.Die Bezahlung funktioniert als Tauschsystem: Man gibt einen Euro und bekommt im Gegenzug eine Wertmarke, die bei einem Einkauf eingesetzt werden kann. In jenen Sanifair-Wertcoupons könnte Labrenz ein Bad nehmen – bestimmt vierhundert fliegen davon in seinem Truck herum. Die nützen nur nichts, sagt er. Ein trockenes Brötchen an der Tanke kostet mittlerweile vier Euro. „Wenn ich mir da jedes Mal was holen würde, würde das viel zu sehr ins Geld gehen. Wer soll denn das bezahlen?“ Natürlich erlaubt das Geschäftsmodell nicht, vier der Coupons einzusetzen, um eine Schnitte zu kaufen – nur einen pro Einkauf, bitte.Placeholder image-1Letztens, da sei er an eine Raststätte gefahren, hatte seinen Euro in den Schlund der Maschine geworfen, um hinter die Bezahlschranke zu gelangen. Trotzdem konnte er sich nicht in einer der Toiletten erleichtern: „Alle neun waren, ja, wie nennt man das jetzt? Zugeschissen“, sagt Labrenz. Die Betreiber meinten, sie könnten da nichts machen. Es sei nicht ihr Job, die Toiletten zu reinigen, sondern die Aufgabe von Sanifair. So etwas erlebt Labrenz oft auf seinen Touren. Mittlerweile schicken sich die Fahrer untereinander Bilder von den gruseligsten Toiletten Deutschlands hin und her. Vor nicht allzu langer Zeit hatte er mal seinen Geldbeutel vergessen: „Ich hätte nicht zur Toilette gekonnt, wenn ich keinen meiner Fahrerkollegen getroffen hätte, der mir dann Geld lieh – und dann sagt man immer, die LKW-Fahrer seien unhygienisch, wenn sie in den Busch gehen, weil sie keine andere Möglichkeit haben.“Im Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot (PDF) klingt es auf den ersten Blick vielversprechend: Der Ausbau sanitärer Infrastruktur auf Autobahnparkplätzen mit kostenfreiem Zugang wird immerhin „angestrebt“, heißt es da. Jedoch geht es dabei nicht um die Sanifair-Toiletten, wie der Freitag auf Nachfrage beim Bundesministerium für Verkehr (BMV) erfuhr: „Hiermit ist nicht gemeint, dass an bewirtschafteten Rastanlagen die Benutzung von derzeit kostenpflichtigen Sanitäranlagen (z. B. ‚Sanifair‘ etc.), die durch die jeweiligen Konzessionsnehmer betrieben werden, künftig kostenlos sein soll“, heißt es in der Antwort des Ministeriums. Vielmehr sei der Ausbau von Sanitäranlagen an „unbewirtschafteten Rastanlagen“ gemeint. Mit anderen Worten: Es sollen mehr der kostenlosen Klos aufgestellt werden. Klingt nicht schlecht? Joa. Aber leider wird nicht nur der Toilettengang für Labrenz und seine Kollegen regelmäßig zur Mutprobe.Mit der „Brummi-Card“ können Fahrer kostenlos duschen – aber es gibt einen HakenWenn man mitunter tagelang unterwegs ist, verlangt der Körper irgendwann nach der grundlegendsten Hygiene – einer Dusche. Auch dafür müssen Labrenz und seine Kollegen in die Tasche greifen, um jedes Mal zwischen vier und fünf Euro herauszukramen. Dann habe man aber erst den Duschschlüssel in der Hand, sagt Labrenz. Um überhaupt in die Dusche hineinzukommen, müsse er oft noch einen weiteren Euro bezahlen. Wirklich sauber sind die meisten Anlagen aber trotzdem nicht. „Es gibt ja viele Jobs auf der Welt. Ich kenne aber keinen, bei dem so viel selbst bezahlt werden muss, damit ich mein Leben überhaupt menschenwürdig bestreiten kann. Also für ein Mindestmaß an Hygiene bezahlen zu müssen, das finde ich nicht richtig“, erzählt der Spediteur.Laut der Gewerkschaft Verdi gäbe es da zumindest schon eine Kooperation des Bundesverbandes für Güterverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) und der Tank & Rast Gruppe. „Mit der sogenannten Brummi-Card kann Fahrpersonal von Mitgliedsunternehmen des BGL an teilnehmenden Raststätten Toiletten und Duschen kostenlos nutzen“, so Verdi. Für Labrenz ist das keine Option. „BGL-Mitgliedschaft kostet richtig viel. Die schwingen immer große Reden, aber bewirken tun sie nichts“, sagt er. Kein Grund zum Jubeln für ihn und die anderen Fahrer also.Ein Ausbau neuer Sanitäranlagen, wie es das Verkehrsministerium plant, klingt gut. Aber was diese „unbewirtschafteten Raststätten“ angeht, so stehen diese zwar bereits jetzt kostenfrei zur Verfügung. Allerdings kann man sich lebhaft vorstellen, in welcher Verfassung diese oft vorzufinden sind. Keine Dusche, kein Essen, nichts. Niemand würde sich da gern längere Zeit aufhalten. Zudem sind die Parkplätze unbeleuchtet. Für die Berufskraftfahrer geht es aber nicht nur darum, einmal kurz anzuhalten und pinkeln zu gehen. Sie müssen rasten. Und das meistens mitten in der finsteren Nacht, irgendwo am Straßenrand.Jan Labrenz: „Im Zweifel sind Räuber zum Äußersten bereit“Auf eben diesen unbewirtschafteten Parkplätzen, im schummrigen Licht der Laternen, da, wo keine Menschenseele mehr zu finden ist außer hier und da ein vorbeifahrendes Auto, das den Parkplatz kurz erhellt, geraten die Fahrer immer wieder in gefährliche Situationen. „Da draußen passiert so einiges“, sagt Jan Labrenz. Raubüberfälle sind keine Seltenheit. Seinen Jungs sagt er dann immer, dass sie im Führerhäuschen bleiben und die Polizei rufen sollen – nur bloß nicht aussteigen. „Im Zweifel sind die zum Äußersten bereit. Meistens sind das so zehn, zwölf Mann, die Hosentaschen voller Kanonen.“Die schneiden dann die Planen auf und rauben die Auflieger aus. Vor allem bei wertvoller Fracht, wie Whisky oder Fernsehern. „Ich verstehe das auch“, sagt Labrenz, „jeder versucht ja, über Wasser zu bleiben und irgendwie zu überleben.“ Es werde aber nicht nur die Fracht geklaut, oft wird auch der Sprit aus dem Tank gezapft. „Wir schließen unseren Tank schon gar nicht mehr ab – so können sie einfach den Deckel abnehmen, Schlauch rein und sich ziehen, was sie brauchen. Ansonsten würden sie ein Loch in den Tank schlagen, sich vielleicht 500 Liter nehmen, der Rest würde im Boden versickern und der Tank wäre im Eimer.“Placeholder image-2Dass es überhaupt so weit kommen muss, ist längst Teil des Systems: „Wir kalkulieren solche Überfälle ein. Das ist für uns Spediteure am Ende günstiger, als den Fahrern die Spesen zu erhöhen und somit die bewirtschafteten Parkplätze zu finanzieren.“ Mittlerweile bleiben viele Anhänger sogar bewusst unverschlossen. „Dann nehmen sie halt die Ladung, aber der LKW bleibt heil. Das ist das kleinere Übel.“Häufig bleibt den Fahrern nichts anderes, als sich in solche gefährlichen und unbehaglichen Situationen zu begeben, denn auf Deutschlands Rasthöfen mangelt es nicht nur an sauberen Sanitäranlagen, sondern auch an Stellplätzen für LKWs. Vor allem in der Nacht stehen die Verkehrselefanten dicht an dicht, oftmals sogar auf Parkflächen, die eigentlich für PKWs gedacht sind. Das Problem: Diese Plätze werden dann trotzdem mitgezählt, erklärt Labrenz. „Dann heißt es in irgendwelchen Statistiken, es gäbe genug Stellplätze. Das stimmt aber einfach nicht, und wer nach 17 Uhr unterwegs ist, sieht das auch.“ Vielen bleibt oft nichts anderes übrig, als am Seitenstreifen zu rasten, und das sei schlicht lebensgefährlich, so der Spediteur.Experten: Jährlich fehlen zwischen 45.000 und 60.000 LKW-Fahrer – Tendenz steigendDass die Bedingungen für Berufskraftfahrer so schlecht sind, ist eigentlich absurd. Immerhin gibt es in der Branche einen Arbeitskräftemangel. Experten schätzen, dass in Deutschland jedes Jahr zwischen 45.000 und 60.000 LKW-Fahrer fehlen – weiter steigend. Viele von ihnen nähern sich mit großen Schritten dem Rentenalter, was den Trend verschlimmert. Wäre es da nicht smart, den Job attraktiver zu machen? Doch darauf werden Labrenz und seine Kollegen wohl noch länger warten müssen. Trotz miserabler Arbeitsbedingungen ist das LKW-Fahren für ihn ein Traumjob. Nie hat er sich so frei gefühlt wie auf der Straße, sagt er.Ein Bürojob? Das könnte er nicht. „Da würde ich eingehen“, sagt er. Vor 16 Jahren hat er den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt. Auch wenn Spediteure wie er es wirklich nicht leicht haben. Er sieht, wie viele seiner Kollegen in andere Branchen gehen, die Schotten dicht machen. „Früher, als ich noch Kind war, wollten alle LKW-Fahrer werden, heutzutage will das doch keiner mehr machen. Und die, die es noch machen, machen es aus Leidenschaft.“ Das muss man auch, schließlich verbringen sie oft 13 bis 15 Stunden am Tag im Führerhäuschen. „Was ich so liebe, sind die ganzen Leute, die ich unterwegs treffe“, sagt Jan Labrenz.Ein kurzer Plausch an der Tanke, ein gemeinsamer Kaffee zwischen zwei Lieferstopps. Auf langen Strecken halten sie sich gegenseitig wach, verabreden sich zu kleinen Telefonrunden. Lebensmittel, Medikamente, Baumaterial – alles, was unser Konsumentenherz begehrt, würde ohne Berufskraftfahrer fehlen. „Wenn wir die Arbeit niederlegen würden“, sagt Labrenz, „würde gar nichts mehr gehen“. Während das Land schläft, rollen sie über die Autobahnen und liefern, was gebraucht wird. Noch bevor es jemand vermisst.