Mit 95 Prozent zur neuen SPD-Chefin gewählt: Bärbel Bas halten viele für die neue Hoffnungsträgerin der Sozialdemokratie – sie haben wohl nicht genau zugehört, was die Arbeitsministerin beim Parteitag zu Stromsteuer und Mindestlohn sagte
Lars Klingbeil wurde als SPD-Chef wiedergewählt, aber mit 65 Prozent abgestraft. Bärbel Bas hingegen erhielt 95 Prozent der Delegiertenstimmen
Foto: Florian Gärtner/Imago/Photothek
Bärbel Bas wird gern als Vertreterin des linken Flügels der SPD markiert – und vor allem Sozialdemokraten, die sich diesem Flügel zurechnen, haben ihre Worte sicher gern gehört: Die SPD, sagte Bas auf dem Parteitag, sei „auch eine Partei der Visionen für eine bessere Welt“. Die Delegierten dankten mit 95 Prozent der Stimmen bei der Wahl der Bundesarbeits- und Sozialministerin zur neuen Parteichefin. Ihr Co-Vorsitzender, Bundesfinanzminister Lars Klingbeil, wurde derweil für seine machtpolitische Skrupellosigkeit vom Parteitag mit knapp 65 Prozent abgestraft. Lars Klingbeil gilt als Vertreter der rechten Parteiströmung. Schlägt die SPD nun also plötzlich einen linken Kurs ein?
Wer das glaubt, sollte Bas‘ Parteitagsrede genau stud
it vom Parteitag mit knapp 65 Prozent abgestraft. Lars Klingbeil gilt als Vertreter der rechten Parteiströmung. Schlägt die SPD nun also plötzlich einen linken Kurs ein?Wer das glaubt, sollte Bas‘ Parteitagsrede genau studieren. Die Ex-Bundestagspräsidentin hatte auch darauf angespielt, dass die Sozialdemokratie jetzt von einer Doppelspitze mit Doppelfunktion geführt wird, da ja die beiden Vorsitzenden sowohl dieses Partei- als auch ein Regierungsamt haben: „Gerade jetzt ist es unser Vorteil, wenn wir in unseren Ämtern beides zusammenbringen können: die Logik der Regierung und die Logik der Partei.“ Wobei mit Regierungslogik wohl gemeint war, „dass wir jetzt die Themen durchkämpfen, die wir in den Koalitionsvertrag geschrieben haben“. Die „Logik der Partei“, so war das zu verstehen, habe eher mit den Visionen zu tun, also mit dem, was über einen Koalitionsvertrag mit CDU und CSU hinausgeht.Schon am Montag nach dem Parteitag führte Bärbel Bas im Interview mit dem Deutschlandfunk vor, wie es tatsächlich um die sozialdemokratischen Logiken steht. Es ging um die Senkung der Stromsteuer für den privaten Verbrauch, und die vermeintliche Frontfrau der SPD-Linken tat alles Mögliche – nur Visionen vertrat sie nicht. Im Gegenteil: Nicht einmal das, was der Koalitionsvertrag nahelegt, scheint sie „durchkämpfen“ zu wollen.Die Sozialdemokraten zwischen Wahlkampf und KoalitionsvertragEs lohnt sich, das kurz im Detail zu betrachten, um die Lage der SPD besser einzuordnen: Die Sozialdemokratie hatte im Wahlkampf ein Klimageld befürwortet, das die weniger Wohlhabenden relativ stärker von den Energiekosten entlasten würde als die Reichen. Das wäre also die Parteilogik gewesen, angesichts der aktuellen Machtverhältnisse fast schon eine „Vision“. Aber mit den Unionsparteien war das nicht zu machen. Stattdessen fand sich im Koalitionsvertrag das Versprechen, „als Sofortmaßnahme“ die Stromsteuer „für alle“ zu senken. Das ist viel ungerechter als ein Klimageld, weil auf diese Weise stärker entlastet wird, wer mehr Strom verbraucht. Aber in der SPD würden sie wohl sagen: Immerhin!Zur Begründung hatte kein Geringerer als der Bundeskanzler und CDU-Vorsitzende Friedrich Merz angemerkt, man müsse eben auch „den Haushalt im Auge behalten“ – was wiederum bei Milliarden-Entlastungen für investierende Unternehmen nicht ganz so wichtig ist. Dass der SPD-Rechte und Finanzminister Lars Klingbeil prompt die Stromsteuer-Senkung für Private aus seinem Etat-Entwurf strich, ist bei einem Fan der reinen Regierungslogik nicht überraschend. Dass er für diesen Schlag ins Gesicht der Normalverbrauchenden dann aus der CDU kritisiert wurde, obwohl deren Chef und Kanzler genauso dafür ist, auch nicht. Dass aber dann die vermeintlich Parteilinke an der SPD-Spitze die verbraucherfeindliche Position von Klingbeil und Merz gegen die populistische Kritik aus der Union verteidigt, hat mit „Parteilogik“ nichts und mit „Visionen“ erst recht nichts zu tun.Bärbel Bas ist mit weniger als 15 Euro Mindestlohn zufriedenEs stimmt schon: Einerseits steckt die SPD in einer Regierung, zu der es zumindest nach Klingbeils Aussage keine Alternative gab, weil jeder anderen realistischen Konstellation die Mehrheit gefehlt hätte (was ja in Deutschland, wo etwa Minderheitsregierungen notorisch verpönt sind, wie ein objektiver Zwang zum Regieren verstanden wird). Andererseits ist sie nach den peinlichen 16,4 Prozent bei der Bundestagswahl auf Profilierung angewiesen, mit den Worten von Bärbel Bas: auf eine erkennbare „Logik der Partei“. Aber es spricht leider Bände, wenn die neue Vorsitzende nur einen Tag später auf diese treffende Benennung des Dilemmas einen vollständigen Kotau vor der „Logik des Regierens“ folgen lässt.Gleiches gilt übrigens beim Mindestlohn, dessen bescheidene Steigerung auf 14,60 Euro ab 2027 Bärbel Bas schon auf dem Parteitag als erfreuliche Ausgeburt gelungener Tarifpartnerschaft lobte. Hatte nicht selbst der Koalitionsvertrag 15 Euro von 2026 an für „erreichbar“ erklärt? Ist es nicht eher ein erschreckender Beleg für die Machtverhältnisse zwischen Arbeit und Kapital, dass die Mindestlohn-Kommission unter Beteiligung der Gewerkschaften dieses „Erreichbare“ weit verfehlte? Kein Wort davon bei der neuen Hoffnungsträgerin der SPD.Wie der SPD-Parteitag mit dem Friedens-„Manifest“ umgegangen istApropos Visionen: Auch an der Parteitags-Debatte über die Friedenspolitik wurde der Umgang mit Gedanken deutlich, die über den Tag hinausgehen. In dem vieldiskutierten „Manifest“ aus Teilen der Partei war einerseits die Notwendigkeit zu militärischer Verteidigung anerkannt worden. Andererseits aber beharrte das Manifest darauf, an der Idee einer europäischen Friedensordnung mit (und nicht gegen) Russland festzuhalten.Dieser „Vision“ begegneten der sozialdemokratische Verteidigungsminister Boris Pistorius und andere mit Widerspruch zu einer Behauptung, die niemand aufgestellt hatte: Bei Wladimir Putin „können wir nicht von jemandem reden, der mit uns über Frieden und Abrüstung reden will“. Die Vergewisserung über langfristige Ziele, die auf die Überwindung dieses Zustands beharren, war damit vom Tisch gewischt.Es gibt in der SPD noch immer eine Menge Leute, die solcher Ideologie des vermeintlichen Realismus eine womöglich visionäre „Logik der Partei“ entgegensetzen wollen. Aber die innerparteiliche Hegemonie liegt woanders. Bärbel Bas hat bisher nicht gerade gezeigt, dass sie das ändern will.