Das erste Mal, als es passierte, dachte László Makra, er hätte Grippe. Die Symptome traten 1989 am Ende des Sommers wie aus dem Nichts auf: Seine Augen begannen zu tränen, sein Hals fühlte sich eng an und er konnte nicht aufhören zu niesen. Makra war 37 und davon abgesehen fit und gesund, ein Klima-Wissenschaftler in der Mitte seiner Karriere in der ungarischen Stadt Szeged. Schließlich kam der Winter und Makra machte sich wenig Gedanken. Aber dann passierte es im nächsten Jahr wieder. Und im nächsten wieder. „Ich hatte diese Symptome vorher noch nie gehabt. Es war Hochsommer“, erzählt er. „Und drei Jahre hintereinander Grippe – das ist unmöglich.“

Im darauffolgenden Jahr fand ein Arzt schließlich die Schuldige: die Ambrosia-Pflanze, auch beifußblättriges Traubenkraut oder Ragweed genannt. Während des 19. Jahrhunderts von Nordamerika nach Europa eingeschleppt, breitete sich die invasive Art in Mittel- und Osteuropa stark aus. Das Unkraut ist sehr stark allergieauslösend: eine einzige Pflanze entlässt Millionen winziger Pollenkörner in die Luft, und für manche Asthmatiker kann der Kontakt mit ihnen lebensbedrohlich sein.

In den USA sind jedes Jahr fast 50 Millionen Menschen von einer Ambrosia-Allergie betroffen, die Allergie-Saison hat sich mittlerweile bis Anfang November verlängert. Geschätzt 13,5 Millionen Europäer:innen reagieren allergisch darauf. Epidemiologische Daten belegen, dass 10 bis 20 Prozent der Bevölkerung in Europa von Pollenallergien betroffen sind.

Nach der Diagnose änderte Makra den Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Arbeit. Er begann zu erforschen, wie steigende Temperaturen sich auf Pollen auswirken. Mittlerweile ist der Professor an der Universität Szeged, 73 Jahre alt und einer der führenden internationalen Experten auf dem Gebiet und Co-Autor verschiedener Studien, die zeigen, dass während die Temperaturen steigen, die Pollensaison an vielen Orten in der Welt länger und heftiger geworden ist.

Das Phänomen des Gewitter-Asthmas

Im November 2016 kam es in der australischen Stadt Melbourne nach einem Gewitter zu tausenden Notaufnahmen in den Krankenhäusern. Mindestens neun Menschen starben und dutzende mussten auf die Intensivstation. Mehr als 8.500 Leute suchten nach einem Sturm in Krankenhäusern Hilfe, während bei Polizei und Feuerwehr tausende Anrufe von Leuten mit Atemschwierigkeiten eingingen. Es war eine Kombination aus fallenden Temperaturen, steigender Luftfeuchtigkeit und einem hohen Pollenaufkommen, die zu diesem seltenen Wetterphänomen führte, das zuvor auch schon in London, Birmingham und Neapel beobachtet wurde.

Auch wenn es selten ist, sind Gewitterstürme ein nachgewiesener Auslöser für Asthma-Attacken und Menschen mit Heuschnupfen sind wahrscheinlicher betroffen als andere. Solche „Asthma-Epidemien“ werden nur während der Pollenflugsaison und der Zeit festgestellt, in der draußen Schimmelpilze vorkommen. Ganz genau ist nicht klar, wie die Stürme die Asthma-Attacken auslösen. Wissenschaftler vermuten, dass es eine Kombination von Wind, der mehr Pollen in die Luft bläst, und Feuchtigkeit in der Atmosphäre ist. Die Pollen werden dadurch in kleinere Partikel zerteilt – so dass sie tiefer in die Atemwege eindringen können. Da durch die Erderwärmung mehr Feuchtigkeit in der Atmosphäre entsteht, werden Gewitter häufiger und heftiger.

Seit den 1960er Jahren wurden laut Wissenschaft mehr als 350.000 chemische Moleküle in den Alltag eingebracht, von denen viele schädliche Schadstoffe sind. Sie interagieren mit Pollen und dem menschlichen Körper auf eine Weise, die den Heuschnupfen verschlimmern. Zum einen interagiert die Feinstaubbelastung durch Autos und Industrie mit den Pollen und führt dazu, dass sie mehr Allergene produzieren.

Eine in Polen durchgeführte Studie zu Birkenpollen kam zu dem Ergebnis, dass Pollen in Gebieten mit einer hohen Luftverschmutzung höhere Werte des Schlüsselallergens Bet v1 aufwiesen. Eine Studie der Universität Manchester ergab im Jahr 2023, dass Menschen, die in Städten und Großstädten leben, deutlich stärkere Heuschnupfensymptome erleben als die Landbevölkerung. Das weist auf einen möglichen Zusammenhang mit städtischen Schadstoffen hin.

Löcher in den menschlichen Schleimhäuten

Zudem verfolgen Wissenschaftler die Theorie, dass moderne Chemikalien und Schadstoffe die Schutzschichten in unserer Haut und Schleimhäuten beschädigen, so dass sie „löchrig“ werden und damit stärker Allergenen ausgesetzt werden. Diese „Epithelbarriere-Hypothese“ ist laut Experten einer der Faktoren hinter dem Phänomen, dass immer mehr Menschen an Pollenallergien, Lebensmittelunverträglichkeiten und Autoimmunkrankheiten leiden.

„Unsere Epithelzellen, die als Schutzbarriere auf unserer Haut und unseren Organen dienen, werden im modernen Zeitalter ständig von Chemikalien angegriffen: ultrafeine Partikel, Kohlenstoffpartikel, flüchtige organische Verbindungen, Chemikalien im Wasser, in der Kleidung, in unserer Nahrung“, erklärt Professor Claudia Traidl-Hoffmann vom Institut für Umweltmedizin und Integrative Gesundheit am Universitätsklinikum Augsburg. „Sie alle haben Auswirkungen auf unsere Körper, unseren Darm, unsere Speiseröhre. Je näher ein Kind an einer Straße mit hohem Verkehrsaufkommen lebt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es Asthma oder Allergien entwickelt.“ Dagegen kann Kontakt zu Tieren – insbesondere zu Kühen und Hunden – der Entstehung von Allergien vorbeugen, sagt Traidl-Hoffmann, ebenso wie eine abwechslungsreiche, pflanzliche Ernährung für Kleinkinder.

In vielen Ländern beginnt die Heuschnupfensaison mittlerweile früher, dauert länger und kommt mit höheren Pollenmengen daher. Zudem gibt es Voraussagen, dass die steigenden Temperaturen mit der Zeit dazu führen, dass die Auswirkungen schlimmer werden. Eine Schätzung für Nordwest-Europa rechnet mit einer Zunahme um 60 Prozent.

Die Veränderungen laufen längst. Eine Studie aus dem Jahr 2019 zeigt, dass an verschiedenen Orten in der nördlichen Hemisphäre von Island bis Kanada die kumulative Pollenfreisetzung gestiegen ist, weil das Pflanzenwachstum von höheren CO₂-Konzentrationen und wärmeren Temperaturen profitiert. In den USA ergab jüngst eine Studie einen ähnlichen Trend, wobei die Pollenproduktion bis zum Ende des Jahrhunderts voraussichtlich um 16 bis 40 Prozent zunehmen wird. Aber das geschieht nicht überall und die Veränderungen sind kompliziert und variabel. Extreme Hitze und Überflutung können manchmal auch die Pollen-Menge reduzieren.

Die Pollensaison verlängert sich

Einige der am stärksten Allergie auslösenden Pflanzen werden wahrscheinlich durch die Erderwärmung profitieren. Die Saison für Ambrosia hat sich in Teilen der USA und Kanadas bereits um 25 Tage verlängert. „Wir wissen, dass die allergieauslösenden Pflanzen sich nach Norden ausbreiten oder migrieren“, berichtet Lewis Ziska, Associate-Professor für Umweltgesundheitswissenschaften an der Columbia Universität. „Die Ambrosia zum Beispiel, die ein Auslöser für den Pollenflug im Herbst ist, taucht jetzt an einigen Stellen in Norwegen und Schweden auf und an anderen Orten, an denen sie vorher noch nicht gesichtet wurde. Die Winter werden milder, und mit milderen Wintern kommt typischerweise der Frühling früher im Jahr und dann der Herbst später.“

In manchen Teilen Europas wächst das Bewusstsein der Risiken für die öffentliche Gesundheit durch invasive Arten mit allergenen Pollen. Die Schweiz hat Ambrosia fressende Blattkäfer aus Nordamerika eingeführt, um die Pflanze zu bekämpfen. In anderen Regionen ist das Unkraut nicht mehr wegzubekommen, insbesondere in Ungarn, den Balkanstaaten, Südfrankreich und im Nordwesten Italiens. Die Gesundheitskosten summieren sich auf 7,4 Milliarden Euro. Zudem wird bis zur Mitte des Jahrhunderts mit einer Vervierfachung der Ambrosia-Pollenkonzentration gerechnet.

Laut Forscher:innen wird sich mit dem Klimawandel das Pflanzenvorkommen auf der ganzen Welt verändern, mit Folgen für die Pollen. Wie genau das aussehen wird, lässt sich noch nicht sagen. Die Augsburger Forscherin Traidl-Hoffmann: „In der Umweltmedizin ist es nie nur ein Faktor, der etwas auslöst, sondern eine Mischung aus Messgrößen. Es ist wie ein Mosaik. Wegen des Klimawandels haben wir eine längere Pollensaison. Wegen der Umweltverschmutzung und der steigenden Temperaturen sind die Pollen aggressiver. Ein weiterer Faktor sind neue Pollen von invasiven Arten.“

Patrick Greenfield ist Umweltreporter beim Guardian



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Von Veritatis

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