Von Niklas Martin und Simon Federer

Er ist seit zehn Jahren auf Reisen, hat nie direkte Steuern gezahlt und nennt einen Pass des Inselstaats Vanuatu sein Eigentum: Christoph Heuermann lebt, was er predigt. Der 34-jährige Deutsche lebt als wohnsitzloser Nomade und hat ein klares System: Wer sein Leben auf verschiedene Staaten verteilt, kann Steuern sparen, staatlicher Kontrolle entgehen und Freiheit zurückgewinnen. So lautet die Philosophie, mit der Heuermann seit zehn Jahren sein Unternehmen „Staatenlos.ch“ betreibt – eine Beratungsplattform, die Menschen beim Auswandern, Steuernsparen und ihrem persönlichen Weg in die Unabhängigkeit zur Seite steht. Ein Gespräch über Libertarismus, Heimat und darüber, ob es moralisch gerechtfertigt ist, nichts vom Einkommen an den Fiskus abzutreten.

Herr Heuermann, stimmt es, dass Sie noch nie in Deutschland Steuern gezahlt haben?

Keine direkten zumindest. Ich habe mich eine Woche nach Abgabe meiner Bachelorarbeit in Konstanz aus Deutschland abgemeldet und bin mit einem One-Way-Ticket nach Mexiko aufgebrochen. Das war vor zehn Jahren. Seitdem bin ich unterwegs.

Was hat Sie angetrieben?

Ich war schon während des Studiums sehr aktiv in der libertären Szene, habe mich bei der Hayek-Gesellschaft und dem Liberalen Institut in Zürich engagiert. Aber ich habe gemerkt, dass politische Arbeit in Deutschland kaum etwas verändert. Die Mechanismen sind zu träge. Ich wollte nicht warten, bis sich irgendwann mal etwas bessert – ich wollte eine praktische Alternative. Und dann habe ich gesehen: Es gibt viele Menschen, die schon so leben, wie ich es mir vorstellte – international, unabhängig, frei. Nur gab es damals kaum Informationen dazu auf Deutsch. Ich habe diese Lücke dann gefüllt.

Wie heisst diese Alternative?

Flaggentheorie. Man lebt nicht an einem Ort, sondern verteilt die zentralen Aspekte seines Lebens auf mehrere Länder: Wohnsitz in Land A, Einkommen aus Land B, Bankkonto in Land C, Staatsbürgerschaft in Land D. So nutzt man die Vorteile der jeweiligen Systeme und entgeht den Nachteilen. Im Grunde ist es wie bei der Geldanlage: Streuung reduziert das Risiko. Der Name „Staatenlos“ ist für manche vielleicht irreführend, aber im Endeffekt geht es um die mentale Ebene: dass wir uns frei von einem Staat machen. „Staatenlos“ bedeutet „wohnsitzlos“ oder auch „systemfrei“.

Was bedeutet für Sie Freiheit?

Es ist mein Lebensgefühl, das ich täglich spüre. Dass ich mein eigener Herr bin. Dass ich nicht darauf warten muss, bis ein Parlament, die Familie oder die Kirche entscheidet, was ich darf und was nicht. Dass ich selbst entscheide, wo ich lebe, arbeite und wie ich mein Geld verwalte. Für viele ist das schwer vorstellbar, weil sie nie etwas anderes kennengelernt haben. Aber wenn man einmal raus aus dem System ist, ist der Gedanke, zurückzukehren, absurd.

Und wie sieht das in der Praxis aus – verdienen, ohne zu versteuern?

Ich zahle sehr wohl Steuern, nur eben indirekt. Ich würde behaupten, ich zahle deutlich mehr Steuern als die allermeisten Deutschen: Mehrwertsteuer, Tourismusabgabe, Luftverkehrssteuer. Allein durch meine Flüge – das sind etwa 120 im Jahr – fallen erhebliche Abgaben an. Ich zahle dort, wo ich konsumiere. Und das ist für mich gerechter als eine zentrale Zwangsabgabe.

Und wie schützt man sein Vermögen vor staatlichem Zugriff?

Man bringt es ausser Reichweite. Es gibt neue Gesetze wie das Vermögensverschleierungsgesetz. Wenn du nicht genau nachweisen kannst, woher dein Geld kommt, kann es künftig einfach gepfändet werden. Also: raus aus Deutschland, besser raus aus Europa – in Länder, in denen der Zugriff nicht so einfach möglich ist. Zum Beispiel in die USA. Wenn man dort eine Firma gründet, unterliegt man nicht dem automatischen Informationsaustausch – der Staat erfährt also nicht, dass du dort Vermögen hast. Oder Bankkonten in Georgien. Wir helfen Kunden, dort Konten zu eröffnen, die mehr als zehn Prozent Zinsen bringen. In Singapur braucht man 200.000 Euro, in Georgien reichen 50.000 Euro. Es gibt viele Optionen.

Was halten Sie von der Schweiz als Finanzplatz?

Sie ist nach wie vor gut – aber es ist viel schwieriger geworden, ein Konto zu eröffnen. In der Regel muss man dort mehrere Hunderttausend Euro einbringen. Technisch gesehen ist die Schweiz top, aber sie ist längst nicht mehr so zugänglich wie früher.

Die EU plant, Finanzströme künftig zentral zu überwachen – mit einer neuen Superbehörde namens AMLA, die in Frankfurt angesiedelt wird. Ziel ist es, Geldwäsche, Steuerhinterziehung und Terrorfinanzierung besser zu bekämpfen. Was bedeutet das für den Bürger?

Mehr Regulierung, mehr Kontrolle. Das Ziel ist, jedes Vermögen transparent zu machen – und wer da nicht mitspielt, wird sanktioniert. Genau deshalb ist es wichtig, sich frühzeitig unabhängig aufzustellen. Es geht nicht nur ums Geld, es geht um Selbstbestimmung.

Wer kommt zu Ihnen?

Früher waren es hauptsächlich selbstständige digitale Nomaden mit 50.000 bis 500.000 Euro Jahresgewinn. Heute ist das viel breiter geworden. Es gibt Angestellte, Familien mit Kindern, Rentner, auch Vermögende oder sogar Arbeitslose, die neu anfangen wollen. Die Spannweite ist riesig.

Eine 90-minütige Beratung bei Ihnen kostet fast 3000 Euro…

Ja – als ich angefangen habe, waren es 50 Euro mit fast einem ganzen Tag Arbeit. Mit der Zeit ist die Nachfrage immer weiter gestiegen. Je weniger Lust ich heute auf Beratungen habe, umso höher mache ich den Preis. Heute mache ich vielleicht noch fünf Beratungen pro Woche.

Sie sind durchaus vermögend und zahlen im Gegensatz zur überwiegenden Mehrheit keine Steuern. Haben Sie kein schlechtes Gewissen?

Ich sehe das genau andersherum: Wer Steuern zahlt, ist asozial. Er übergibt die Verantwortung für sein Geld an eine übergeordnete Instanz, die angeblich etwas Sinnvolles damit macht. Und er unterstützt ein System, das andere ausbeutet. Der Staat nimmt Geld mit Gewalt – Steuern sind nichts anderes als erzwungene Abgaben. Für mich ist das moralisch nicht vertretbar. Deshalb sage ich auch: Steuern sind Raub.

Muss man nach der Abmeldung aus Deutschland weiterhin direkte Steuern zahlen?

Es kommt darauf an. Die sogenannte Wegzugssteuer wird fällig, wenn man mit mindestens einem Prozent an einer Kapitalgesellschaft beteiligt ist und Deutschland verlässt. Dann behandelt das Finanzamt das so, als hätte man seine Anteile verkauft – selbst wenn man das nicht getan hat. Seit 2025 wird das sogar auf bestimmte Investmentfondsanteile ausgeweitet. Deutschland zieht damit Österreich nach, wo die Wegzugssteuer sogar bei Aktien und Kryptoassets greift. Wobei es Mittel und Wege gibt, diese Steuer zu umgehen.

Vor allem ein beliebtes Angstszenario deutscher Steuerberater ist die sogenannte erweitert beschränkte Steuerpflicht. In der Praxis betrifft das fast niemanden. Man fällt nur darunter, wenn man nach der Auswanderung noch Immobilien oder GmbH-Anteile in Deutschland hält. Unsere Kunden trennen sich in der Regel davon. Laut einer Auskunft des Finanzministeriums waren in den vergangenen Jahren durchschnittlich zehn bis 15 Personen jährlich betroffen – wir haben ein Vielfaches an Kunden.

Haben Sie Angst, dass der deutsche Staat doch noch irgendwann gegen Sie vorgeht?

Angst habe ich keine. Ich bin bereits mehrfach in diesem Jahr unbehelligt nach Deutschland eingereist. Aber natürlich bin ich im Fokus der Behörden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass bei meinen Vorträgen, die ich in Deutschland halte, ein Gast vom Verfassungsschutz dabei sitzt. Diese Leute begrüsse ich jedes Mal recht herzlich…

Was meine Arbeit angeht, habe ich vorgesorgt. Mein Zweitpass des Inselstaats Vanuatu schützt mich, den ich kürzlich erworben habe. Ausserdem hilft mir auch meine Domain .ch – viele halten mich für einen Schweizer, was nicht stimmt, aber auch nicht schadet. Die .de-Domain war damals nicht verfügbar – die gehört einer Reichsbürgerseite, mit der ich nichts zu tun habe. Aber .ch war perfekt: Erstens wegen der Meinungsfreiheit in der Schweiz, zweitens, weil es meine Initialen sind: Christoph Heuermann.

Wie stehen Sie zur Demokratie?

Ich glaube nicht, dass man über Wahlen echte Freiheit erreichen kann. In Staaten wie Deutschland, wo über 80 Prozent der Menschen direkt oder indirekt vom Staat leben, hat die Mehrheit kein Interesse an Veränderung. Die wollen Sicherheit, nicht Freiheit. Wer Freiheit will, muss selbst handeln – politisch wird das nichts.

Sie wählen also nicht?

Nein. Ich habe mit den Füssen abgestimmt – indem ich gegangen bin. Ausserdem ist es als Deutscher im Ausland kompliziert genug. Ich halte nicht viel vom Wählen. Freiheit wird auf dem politischen Weg in der Regel korrumpiert.

Wie hat sich Deutschland in Ihren Augen in den vergangenen Jahren verändert?

Es sind mehr Menschen aufgewacht. Leute, die mich früher belächelt haben, fragen heute nach Beratung. Corona war ein Katalysator. Die Tagesschau ist heute mein bester Werbeträger – je mehr schlechte Nachrichten, desto mehr Zulauf bekomme ich. Leider ist der Niedergang Deutschlands, den ich vor zehn Jahren prognostiziert habe, eingetreten.

Was bedeutet es für Sie, libertär zu sein?

Die libertäre Idee bedeutet für mich eine Gesellschaft frei von Zwang und Gewalt. Steuern sind für uns Raub. Man nimmt sie uns ohne unsere Zustimmung. Das ist für Libertäre Gewalt.

Wie sieht für Sie der ideale Staat aus?

Die Städte früher im alten Griechenland kommen, denke ich, sehr nah an unsere Idee einer Gesellschaft. Eine kleine demokratische Gesellschaft. Damals hat Demokratie auch wirklich funktioniert. Das ist die Utopie von uns.

Wenn man als „Staatenloser“ jahrelang von einem Ort zum nächsten reist, hat man dann noch eine Heimat?

Ich komme aus Westfalen, aus der Nähe von Bielefeld. Das ist meine Heimat – im kulturellen, nicht im administrativen Sinn. Ich bin vielleicht einen Monat pro Jahr in Deutschland, verteilt auf kurze Aufenthalte. Aber Heimat ist für mich nicht an einen Wohnsitz gebunden. Ich habe viele Heimaten – überall dort, wo ich mich wohlfühle.

Dennoch haben Sie einen deutschen Pass. Fühlen Sie sich als Deutscher?

Ja, ich würde mich schon als Deutschen bezeichnen. Kulturell bin ich sicherlich Deutscher, auch wenn ich jetzt zusätzlich einen Vanuatu-Pass habe. Der ist eigentlich rein zum Reisen und eine gewisse Versicherung, wenn der deutsche Pass vielleicht in Zukunft eingeschränkt wird.

Ihr deutscher Pass könnte eingeschränkt werden?

Ja, beispielsweise, wenn in Deutschland eine scharfe Wehrpflicht kommen würde. Aktuell ist es in der Ukraine so: Ukrainer können ihren Pass nur noch in der Ukraine verlängern und ausserhalb nicht mehr. Das heisst, sie müssen in die Ukraine fahren und dann werden sie wahrscheinlich eingezogen. So etwas kann mir nicht passieren, weil ich einen Zweitpass habe, mit dem ich reisen und mich auf der Welt bewegen kann, selbst wenn der deutsche Pass nicht verlängert oder ungültig gemacht wird. In einem zunehmend autoritären Meinungsklima, wie wir es derzeit in Deutschland erleben, kann so etwas auf absehbare Zeit durchaus passieren.

Ausserdem hilft mir mein Vanuatu-Pass, wenn ich beispielsweise nach Russland reise. Dort kann ich ohne Visum hin, mit dem deutschen Pass nicht.

Sie reisen seit mehr als zehn Jahren. Wird das nicht irgendwann anstrengend?

Ein bisschen langsamer wird es jetzt. Ich habe mir ein Expeditionsmobil bauen lassen – damit will ich künftig durch Europa reisen. Aber sesshaft werde ich nicht. Ich war in allen Ländern der Welt, allen autonomen Territorien. Jetzt geht’s weiter – einfach gemächlicher.

Was war Ihr schönstes Reiseziel?

Ich mag die Südhalbkugel. Argentinien, Chile, Südafrika, Neuseeland. Da ist die Natur beeindruckend, und ich bin eher jemand, der Ruhe sucht als grosse Menschenmengen. Vor einiger Zeit habe ich ein Weingut in Argentinien erworben. In diesem Jahr konnte ich meinen ersten eigenen Wein trinken. Ausserdem tauche ich gern – in einem Jahr habe ich über 70 Tauchgänge gemacht. Und ich liebe es, mit dem Auto unterwegs zu sein.

Was war Ihr verrücktestes Erlebnis?

Definitiv meine Festnahme in der Wüste von Bir Tawil. Das ist ein Niemandsland zwischen Ägypten und Sudan, offiziell von keinem Staat beansprucht – aber de facto von bewaffneten Beduinen kontrolliert. Wir waren mit Jeeps unterwegs, haben dort symbolisch die ‚Freie Privatstadt Staatenlos‘ ausgerufen. Kurz darauf wurden wir von sechs schwer bewaffneten Männern gestoppt, die uns zwangen, mit ihnen zu ihrem Lager zu fahren. Sie nahmen uns die Flaggen ab, durchsuchten unsere Ausrüstung und hielten uns mehr als 20 Stunden fest. Wir mussten Videobotschaften aufnehmen, in denen wir versprachen, nie zurückzukehren. Es war surreal: Sie gaben uns Getränke und Falafel, aber ihre Kalaschnikows lagen stets griffbereit.

Wie lebt es sich als Familienmensch ohne festen Wohnsitz?

Mit meinen Eltern mache ich jedes Jahr zwei grosse Reisen – mit meinem Vater war ich in Brasilien und Südafrika, mit meiner Mutter in der Antarktis. Ich habe heute mehr Kontakt zu meiner Familie als früher. Ausserdem habe ich seit drei Jahren eine Freundin samt Kind. Unsere Basis ist in Dubai, ihr Sohn geht dort zur Schule. Aber wir sind viel unterwegs. Ich möchte mit meiner Partnerin eine grosse libertäre Familie gründen. Mit Kindern, die frei denken.

Was würden Sie einem jungen Menschen mit auf den Weg geben?

Reisen. Rausgehen. Dinge ausprobieren. Nicht sofort ins System eintauchen. Ich war ein Jahr in Neuseeland nach der Schule – das hat mir Zeit verschafft. Ich habe wenig verdient, aber viel gelernt. Wer will, kann mit Freelance-Jobs über die Runden kommen – unterhalb der Steuerfreigrenze. Wichtig ist, die eigene Freiheit ernst zu nehmen.



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Von Veritatis

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