Etwa 1.000 Menschen sind bei den jüngsten Luftschlägen der israelischen Armee und der USA im Iran umgekommen. Die Journalistin Gilda Sahebi erklärt, wie die Stimmung im Land kippt – und die Situation gefährlicher wird als zuvor
Gilda Sahebi, Journalistin und Ärztin
Foto: Panama Pictures/Imago
Nach dem sogenannten „12-Tage-Krieg“ zwischen Israel und dem Iran ist die Lage weiterhin unübersichtlich: Nach den einst angekündigten Verhandlungen zwischen den USA und Iran ließ das iranische Regime am Montag verlauten, weiter am Atomprogramm zu arbeiten. US-Präsident Trump feiert die US-Luftangriffe vom 22. Juni hingegen als Erfolg. Seit den Angriffen geht die iranische Regierung verstärkt gegen die eigene Bevölkerung vor. Ein Gespräch mit der deutsch-iranischen Journalistin Gilda Sahebi über die derzeitige Lage der Iraner*innen im Land.
der Freitag: Frau Sahebi, hat der US-Präsident Donald Trump recht damit, dass der sogenannte 12-Tage-Krieg ein Erfolg war?
Gilda Sahebi: Nein. Man kann davon ausgehen, dass das iranische Regime nun
Gilda Sahebi: Nein. Man kann davon ausgehen, dass das iranische Regime nun erst recht Atomwaffen will. Wenn man sich das größere Bild ansieht, was dieser Krieg jetzt wirklich gebracht hat: Dafür muss man zum Beispiel nach Nordkorea schauen. Nordkorea hat viele Atomwaffen, und was bekommt Nordkoreas Staatspräsident? Liebesbriefe von Trump. Was bekommt ein Land, das keine Atomwaffen hat? Bomben. Was schließen daraus diktatorische Regime wie das iranische? Wir brauchen Atomwaffen.Das ist die Lehre, die die iranische Führung für sich zieht.Genau. Die Ukraine ist ein weiteres Beispiel, was passiert, wenn ein Staat Atomwaffen aufgibt. Die Sicherheitsgarantien haben Wladimir Putin nicht davon abgehalten, das Land anzugreifen. Aus diesem wider völkerrechtlichen Angriff zieht die iranische Führung für sich die Lehre: Ich muss mein Land unangreifbar machen. Und zwar mit atomaren Waffen.Was bedeutet das aber für mögliche Verhandlungen zwischen den USA und Iran?Auch wenn das Regime sich gesprächsbereit zeigt, bin ich mir sehr sicher, dass die Machthaber ihr Atomwaffenprogramm weiterführen werden. Sie haben ja ansonsten, in ihrer Weltsicht, keine Sicherung ihrer Existenz. Die Sicherung der Existenz der Islamischen Republik ist das höchste Ziel für den Machtapparat. Das heißt aber auch: Es wird noch intransparenter werden, weil das iranische Regime womöglich keine Vertreter der Internationalen Atomenergiebehörde ins Land hineinlassen wird. Und außerdem: Wenn sich der Verdacht bestätigt, dass das Regime sein Atomprogramm fortsetzt, wird das Land vermutlich wieder bombardiert werden.Es wird also nicht aufhören …Es wird nicht aufhören. Und der Konflikt kann jederzeit wieder ausbrechen.Außer, es kommt zu einem neuen Nuklearabkommen zwischen den USA und Iran.Die letzten Tage waren eine Erschütterung für das iranische Regime: Sie haben gesehen, wie schwach sie militärisch sind. Und ich glaube, dass sie diese Lehre aus dem Angriff ziehen werden: So gut wie möglich aufrüsten, damit solch eine militärische Aktion nicht erneut passiert. Und vor allem werden sie alles dafür tun, dass Loyalisten und Schergen des Regimes sich nicht in Gefahr befinden. Die Generäle wurden wortwörtlich in ihren eigenen Betten umgebracht. Den eigenen Leuten Schutz zu bieten, ist eines der zentralen Versprechen der Führung.Sie sprechen von der Schwäche der iranischen Führung. Wie verkauft sie diese Schwäche dem eigenen Land?Am Ende haben ja anscheinend alle gewonnen, es scheint wie eine riesige Show. Aber es sind etwa 1000 Menschen in diesem Krieg gestorben. Noch mehr verletzt. Über diese Menschen spricht niemand mehr. Das iranische Regime behauptet: Wir haben Israel zerstört und Stärke gezeigt. Donald Trump und Benjamin Netanyahu wiederum sagen auch, dass sie ihre Stärke demonstrieren konnten und gewonnen hätten. Alle drei Parteien behaupten, dass sie als Gewinner aus diesem Krieg hervorgegangen seien.Wer aber nicht gewonnen hat …… sind die Menschen. Der iranischen Bevölkerung geht es nach dem Krieg noch schlechter als vor dem Krieg. Am Anfang hieß es bei manchen, dass das Regime gestürzt werden könnte. Stattdessen ist die Repression jetzt noch massiver.Inwiefern?Milizionäre, Polizisten und Soldaten stoppen Menschen auf der Straße und in ihren Autos, sie nehmen sie willkürlich fest und lassen Menschen hinrichten. Unter dem Vorwand, dass sie „Spione“ seien. Diese Menschen haben mit Spionage nichts zu tun. Das soll markieren: Wir haben die israelischen Spione im Land gefasst und sie erfolgreich bestraft. So extrem wie nach diesem Krieg war die Willkür selten.Die Wirtschaft im Iran war vor dem Krieg schon in einem katastrophalen Zustand. Ein Drittel der Menschen lebt in absoluter Armut.Wie steht es um die iranische Wirtschaft nach dem Krieg?Die Wirtschaft war vorher schon in einem katastrophalen Zustand.Ein Drittel der Menschen lebt in absoluter Armut. Man hilft sich zwar gegenseitig, so kommen Menschen einigermaßen durch, aber es wird noch schlimmer werden. Denn das ballistische Raketenprogramm, die zerstörte militärische Infrastruktur und die Regierungsgebäude werden wieder aufgebaut. Mit welchem Geld? Natürlich mit dem Geld der Bevölkerung.Gibt es in der Bevölkerung noch Hoffnung auf einen Wechsel des Regimes? Oder wird über einen Nachfolger des Machthabers Ali Chamenei nachgedacht?Sehr viele Menschen sind resigniert, weil der Sturz nun noch viel weiter weg erscheint. Über die Nachfolge wird spekuliert, dass sein Sohn übernehmen könnte. Tatsächlich stellt sich die Frage, warum die israelische Armee Chamenei nicht umgebracht hat – der Aufenthaltsort soll dem israelischen Geheimdienst ja bekannt gewesen sein.Wenn er getötet worden wäre, dann wäre eine ganz andere Dynamik losgetreten worden: Dann hätte es möglicherweise Proteste im Land gegeben oder ein Teil des Machtapparates hätte sich vielleicht von der Führung abgesetzt. Auf diesem Weg wäre ein Regimesturz vielleicht etwas wahrscheinlicher gewesen. Aber das ist alles spekulativ.Wie geht es Ihren Kontakten im Iran? Wollen Sie das Land verlassen?Ja, das möchten viele. Ein Freund war im Frühjahr zu Besuch im Iran, noch vor dem Krieg, und hat erzählt, dass er noch nie so eine resignierte Stimmung wahrgenommen hat. Er meinte, dass die Leute öffentlich schimpfen, in den Restaurants, beim Einkaufen, überall. Sie würden ihn fragen, wie sie nach Deutschland kommen können, was es für Möglichkeiten gibt, diesen furchtbaren Staat zu verlassen.Flüchten denn die Menschen derzeit noch aus dem Iran?Nein. Viele sind während des Krieges über die türkische Grenze eingereist, weil sie dort Familie haben, aber sind auch wieder zurückgekommen. Es gibt keine Fluchtbewegung.Wie kann man die Menschen im Iran unterstützen?Mit Aufmerksamkeit. Und mit Spenden. Wobei da das Problem besteht, dass direkte Geldzahlungen in den Iran nicht möglich sind. Es gibt Millionen Menschen in der iranischen Diaspora, die gern Geld senden würden, um die Streikkassen zu füllen, um die Zivilgesellschaft zu stärken. Die EU hätte sich schon seit den Frau-Leben-Freiheit-Protesten Wege überlegen können, wie das möglich gemacht werden könnte. Wie Sanktionen das Regime zielgerichteter treffen, nicht die Menschen. Zurzeit wird Geld bar ins Land gebracht, privat.Wie kommt man an Informationen aus dem Iran, wenn man sich first hand informieren will?Iraner*innen in der Diaspora informieren sich oft über das persischsprachige Exilfernsehen. In Deutschland gibt es das deutschsprachige Iran Journal, international zum Beispiel, unter vielen anderen, das englische Iran Wire. Der Gründer dieser Plattform sagte kürzlich, dass sich seit einigen Monaten die Leaks aus dem iranischen Machtapparat mehren. Das könnte ein Hinweis sein, dass auch innerhalb des Regimes Unzufriedenheit besteht.Und wie sollte sich die Bundesregierung derzeit zum iranischen Regime positionieren?Deutschland ist in dieser Hinsicht völlig irrelevant, wobei das iranische Regime die „Drecksarbeit“-Aussage des Bundeskanzlers aufgegriffen und kritisiert hat. Es ist ohnehin interessant, dass die Bundesregierung nun wieder von Verhandlungen spricht, während vor zwei Wochen noch von „Drecksarbeit“ die Rede war, weil das Regime Israel auslöschen will. Die Auslöschungsrhetorik gegenüber Israel wird durch das Regime gerade extrem hochgefahren. Doch jetzt will Deutschland plötzlich wieder verhandeln. Die deutsche Iran-Politik war allerdings noch nie konsequent oder nachvollziehbar.