Präsident Bukele rühmt sich, der organisierten Kriminalität schwere Schläge versetzt zu haben. Die Kehrseite des Ausnahmezustandes ist die Rechtlosigkeit. Verdächtige können für Jahre im Gefängnis verschwinden
Einer von 2.000 Soldaten, die Ende Oktober mit 500 Polizisten in einem Viertel San Salvadors mutmaßliche Gang-Mitglieder verhaften
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Für Ernesto Castro, Präsident des salvadorianischen Parlaments, gibt es keinen Grund, am geltenden Ausnahmezustand etwas zu ändern. Für die Bevölkerung bedeute dies Freiheit und Frieden, so der Politiker Anfang November. Da hatten gerade 57 der 60 Abgeordneten die 32. Verlängerung des seit dem 27. März 2022 geltenden Sonderrechts beschlossen – bis zum 6. Dezember gilt dies nun weiter.
Für Zaira Navas ist klar, auch die nächste Verlängerung wird kommen. Sie ist Anwältin des Menschenrechtsverbandes Cristosal aus San Salvador. „Aus einem zeitlich begrenzten Instrument ist ein permanentes geworden“, urteilt sie und ist damit nicht allein. Amnesty International hat im Dezember 2023 einen umfangreichen Bericht mit dem Titel
einen umfangreichen Bericht mit dem Titel Hinter dem Schleier der Popularität veröffentlicht, in dem es um die Repressionen unter dem Anfang Februar trotz Verfassungsbedenken wiedergewählten Präsidenten Nayib Bukele geht.„MS-13“ und „Barrio 18“ heißen zwei große BandenDer sonnt sich gern im Licht der Erfolge. Deutlich weniger Morde würden derzeit registriert, El Salvador gehöre mittlerweile zu den sicheren Ländern. Dafür wurden 83.000 Verdächtige inhaftiert, die mit einer der beiden großen Banden, die das Land terrorisiert haben, in Verbindung gebracht werden, „Mara Salvatrucha 13“ oder kurz „MS-13“ heißt die eine, die mit ihr verfeindete Gang nennt sich „Barrio 18“.Auslöser für das Vorgehen der Regierung war eine Eskalation der Gewalt zwischen dem 25. und 27. März 2022. Seinerzeit starben 87 Menschen durch den ausufernden Bandenkrieg. Solch blutige Kollisionen sind mittlerweile die Ausnahme. Im Oktober 2024 gab es 27 Tage ohne einen Mord, der dem organisierten Verbrechens anzulasten war. Ein Erfolg, wie auch Kritiker der Regierung Bukele einräumen, aber für die Abgeordneten der Präsidentenpartei Nuevas Ideas kein Grund über das Ende des Ausnahmezustands nachzudenken, so Fraktionschef Caleb Navarro. Gerieten Anführer auf freien Fuß, sei das Risiko hoch, dass sich Banden reorganisieren.298 Todesfälle bei Festnahmen und in der HaftMit der Angst vor einer solchen Entwicklung wird Politik gemacht und zugleich die Kehrseite, der systematische Verzicht auf Grundrechte, ignoriert. Das Recht auf anwaltlichen Beistand bei Festnahmen und auf Informationen über deren Gründe bleibt faktisch ausgesetzt, so die Anwältin Zaira Navas. „In El Salvador können Menschen formal ohne richterliche Überprüfung bis zu 15 Tage in Polizeigewahrsam gehalten werden. In der Realität wird diese Frist oft verletzt. Wer verdächtig erscheint, kann von Richtern zusammen mit einigen hundert Beschuldigten in Untersuchungshaft überstellt werden.“ Bis vor kurzem war deren Dauer auf zwei Jahre begrenzt, heute können Verdächtige vier Jahre festgehalten werden, ohne dass triftige Beweise vorliegen. Das Menschenrechtsteam von Cristosal um Zaira Navas hat mittlerweile 298 Todesfälle bei Festnahmen und in der Haft untersucht, wozu über 1.200 Interviews mit Angehörigen und Zeugen geführt wurden. Es seien vorzugsweise Salvadorianer aus einkommensschwachen Schichten, die in der Vergangenheit Jahrzehnte unter den Banden gelitten hätten und oft unschuldig im Gefängnis landeten. Berichte über Folter hinter Gittern, eine unzureichende medizinische Versorgung und Gewalt sind alles andere als selten.Ein besonders schockierender Fall ist der von Dina Hernández. „Die Menschenrechtsaktivistin wurde im Februar festgenommen, als sie im achten Monat schwanger war. Man nahm sie in Gewahrsam, weil angenommen wurde, dass jemand aus ihrer Familie zu einer Bande gehörte“, so Navas, die Ende März die Schwestern von Dina Hernández ins Gefängnis begleitete, um den Leichnam des toten Kindes abzuholen. „Dina Hernández sitzt noch immer in Untersuchungshaft. Ich habe kaum Hoffnung, dass sich daran etwas ändert.“ Fälle wie diese, dazu die prekären Haftumstände, die sogar auf Regierungsvideos zu erkennen sind, haben bewirkt, dass Nayib Bukele international in die Kritik geraten ist.Im September äußerte die Interamerikanische Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in einem Bericht ihr Befremden über die Verhältnisse in El Salvador. Explizit empfohlen wurde, ein Register für die Opfer von Menschenrechtsverstößen während des Ausnahmezustands einzurichten und Todesfälle wie Folter während der Haft zu dokumentieren. Zudem solle man einen Plan zur Wiedergutmachung auflegen, um die Opfer derartiger Repressalien zu entschädigen. Was der OAS-Report gleichfalls moniert: Angehörige werden bei Festnahmen nicht informiert, was der Praxis Vorschub leistet, Menschen verschwinden zu lassen. Das bestätigen Berichte von Cristosal und anderern Organisationen.Bukeles Strategie findet Nachahmer in MittelamerikaBisher blieb die Intervention der OAS ohne Erfolg. „Die Regierung hat die Kommission genauso wie Amnesty International zu diskreditieren versucht. Behauptet wird, diese Instanzen agierten im Interesse einiger weniger Finanziers, was nachweislich nicht der Wahrheit entspricht“, sagt Navas. Derartige Diffamierungen seien typisch für einen Trump-Sympathisanten wie Bukele, der kaum anders als der künftige US-Präsident auf stete mediale Präsenz Wert lege, um Andersdenkende zu stigmatisieren und auf eigene Erfolge aufmerksam zu machen. „Wir wissen im Übrigen nicht, ob die Angaben der Regierung über sinkende Mordzahlen und Verbrechen wirklich stimmen. Uns bleibt der Zugriff auf offizielle Daten verwehrt, da sie unter Verschluss gehalten werden“, beklagt sich Anwältin Navas. In Mittelamerika hat die Kommunikationsstrategie Bukeles dazu geführt, dass die honduranische Präsidentin Xiomara Castro zumindest Teile dieser Agenda kopiert. Auch in Ecuador und Peru finden relevante Politiker Gefallen an einem Kurs der harten Hand gegen die organisierte Kriminalität. Für Mauricio Ramírez Landaverde, den einstigen Justizminister El Salvadors, sind das schockierende Nachrichten. Nach fast drei Jahren in Untersuchungshaft wurde er jüngst vom Vorwurf der Korruption freigesprochen. Jedoch hat das Urteil einen schalen Beigeschmack, denn der Ex-Minister wurde zugleich zu drei Jahren Haft wegen angeblicher Fehler in der Buchhaltung eines Vereins verurteilt, der kleine Shops in den Haftanstalten unterhält – Beweise Fehlanzeige.„In El Salvador haben wir spätestens seit Mai 2021, als die Verfassungsrichter vom Parlament ausgetauscht wurden, keine unabhängige Justiz mehr. De facto kontrolliert die Politik die Judikative und Legislative – das ist schädlich für die Demokratie“, mahnt Landaverde. Unter Präsident Nayib Bukele sei auch die Zahl der politischen Gefangenen gestiegen, konstatiert Lourdes Palacios, Koordinatorin des Komitees für Gefangene und politisch Verfolgte El Salvadors (Cofappes). Dass Regimekritiker kriminalisiert würden, habe zugenommen. Exemplarisch sei derzeit das harte Vorgehen gegen soziale Proteste. Die richten sich gegen den Haushaltsentwurf der Regierung, der drastische Einschnitte bei Gesundheit, Bildung und sozialen Diensten vorsieht. Außerdem sollen – wie mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) vereinbart – landesweit über 11.000 Stellen im öffentlichen Dienst entfallen, wogegen die Gewerkschaften mobil machen.