Anna Wintour war die einflussreichste und mächtigste Modejournalistin der Welt. Nun hört sie als Chefredakteurin der Vogue auf. Unsere Autorin nimmt mit ihr Abschied von einer einzigartigen Ära des Magazinjournalismus


Die britische Journalistin Anna Wintour führte die US-Vogue von 1988 bis 2025

Foto: Ik Aldama/Picture Alliance


Mode vergeht, sagt Coco Chanel, Stil bleibt. Der Stil eines Modemagazins profitiert also von Langlebigkeit. An der Spitze der US-Vogue, dem bekanntesten Titel des Condé-Nast-Verlags, stand 37 Jahre lang die gleiche Person: Die britische Journalistin Anna Wintour führte das Modemagazin von 1988 bis 2025, trug dabei durchgehend eine Bob-Frisur und nahm ihre Sonnenbrille nicht mal ab, wenn ein Laufsteg kaum beleuchtet war. All das, Sonnenbrille, Bob und ihre speziell-strenge Art der Führung, die 2006 im Film Der Teufel trägt Prada verewigt wurde, gehörten zu ihrem Stil – ebenso wie die Idee, Mode und Unterhaltung zusammenzurücken, indem sie beispielsweise Madonna auf ihr erstes Cover setzen ließ.

Sowohl Stil als auch Mode haben auch mit Hierarchien zu t

uf ihr erstes Cover setzen ließ.Sowohl Stil als auch Mode haben auch mit Hierarchien zu tun: Wer über den Stil entscheidet, ist elementar. Der kanadische Journalist Graydon Carter leitete die ebenfalls bei Condé Nast erscheinende Vanity Fair (VF) von 1992 bis 2017 und machte das für seine investigativen Geschichten über Kulturschaffende und Politiker:innen bekannte Magazin zu einem Flaggschiff der eloquent-eleganten Reportage. Carter hat nun seine „Magazin-Memoiren“ geschrieben: In When the Going was Good erinnert er sich an ein „goldenes Zeitalter der Magazine“ und damit eine lange Phase, in denen (gedruckte) Zeitschriften die Meinung der Menschen beeinflussten – nicht nur zu Mode und Stil, sondern auch zu Politik und Gerechtigkeit.Als Herausgeber nutzte Carter die Macht des durch den Verlag durchfinanzierten Magazinjournalismus, um unabhängige Reportagen zu produzieren. Angesichts seiner Beschreibungen von luxuriösen Recherchereisen mit Fahrdiensten und allem Saus und Braus wirkt der bundesdeutsche Alltagsjournalismus mit Auslagenfinanzierungsstopp und 60 Cent Zeilenhonorar fast ärmlich und macht die Journalist:innen von damals zu einem Mix aus gut situiertem Bonvivant und Unbestechlichem. Aber natürlich sind analoge Hochglanzmagazine, die von den Gnaden silberhaariger und bobtragender Herrscher:innen existieren, gleichzeitig anachronistisch – gerade bei der schnelllebigen Mode (weniger beim bleibenden Stil) haben jüngere Modefreund:innen flexiblere, digitale Formate ersonnen, in denen sie Trends aufzugreifen oder zu setzen versuchen.Kapitalismus statt EmpathieDennoch war der Stil des blühenden Magazinjournalismus einzigartig: Vor allem Carters durch entsprechende Artikel öffentlich gemachte Fehde mit Donald Trump geht zurück bis in die 1980er-Jahre, als beide Männer das Gesellschaftsleben New Yorks beeinflussten – Carter als liberaler Lebemann und Journalist, Trump als erbarmungsloser Immobilienhai, innen Kapitalismus statt Empathie, außen Selbstbräuner statt Stil. Carters Satirezeitung SPY Magazine nannte den späteren US-Präsidenten damals nicht nur einen „short-fingered vulgarian“ (etwa „wurstfingeriger Plebejer“), sondern auch einen selbstherrlichen Tyrannen mit einem merkwürdigen Verhältnis zur Wahrheit.Trump versuchte, sich mit Beleidigungen zu rächen, die er in Versalien auf Twitter herausschleuderte. Die VF verdankte diesem Kreuzzug viele hervorragende Artikel über Trump. Auch unter der Ägide der Carter-Nachfolgerin Radhika Jones, die jetzt nach sieben Jahren die Leitung abgibt, war die VF ein hochpolitisches Magazin, das sich mit der Black-Lives-Matter-Bewegung solidarisierte, vor allem zu Beginn kaum noch weiße Schauspielerinnen aufs Cover setzte und gruselige Hintergrundgeschichten aus Elon Musks privatem Umfeld brachte (etwa über einen Besuch bei dessen Exfrau Grimes).Der neue 36-jährige VF-Chefredakteur Mark Guiducci kündigte jetzt etwas sparsam an, man wolle vor allem „Spaß haben“, denn das „brauchen wir gerade in unserer Kultur“. Wer die Vogue übernimmt, steht noch nicht fest – Wintours Manolo-Blahnik-Fußstapfen sind (im übertragenen Sinne) groß. Ob neue Leitungen der Flaggschiffe tatsächlich eine neue Ära einläuten können und sollten, bleibt damit absolut fraglich.

Alles lesen, was die Welt verändert.

  • Gute Argumente – 1 Monat lang kostenlos
  • Danach für € 16 im Monat weiterlesen
  • kein Risiko – monatlich kündbar

Jetzt kostenlos testen



Source link

Von Veritatis

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert