Israels Verteidigungsminister Israel Katz hat Pläne für die Vertreibung aller Palästinenser Gazas in ein Lager bei Rafah vorgestellt. Noch wäre Zeit, dieses Verbrechen zu verhindern. Doch dazu müssten sich deutsche Medien bewegen


Kein Entkommen: Der Gazastreifen ist abgeriegelt, bald soll auch kein Palästinenser mehr aus dem geplanten Lager bei Rafah hinaus dürfen

Foto: Amir Levy/Getty Images


Es ist der Dienstagmorgen des 8. Juli 2025, Israel hat gerade angekündigt, ein Lager in Rafah zu errichten, in das es sämtliche Bewohner des Gazastreifens „aufnehmen“ will – um sie dann nicht mehr herauszulassen. Zuerst 600.000, dann alle Palästinenser. Das berichtete die israelische Zeitung Haaretz am Montagabend. Und was titeln die Leitmedien in Deutschland am Dienstag?

Wo in Deutschland die Wege am Kürzesten sind“, titelt die Zeit: In deutschen Städten und Dörfern soll alles ohne Auto erreichbar werden. Mit Karte. Tagesschau.de macht ein FAQ zu Jens Spahns Maskenskandal, die Frankfurter Allgemeine Zeitung porträtiert die Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf für das Amt der Verfassungsrichterin und der Spiegel schreibt

Wo in Deutschland die Wege am Kürzesten sind“, titelt die Zeit: In deutschen Städten und Dörfern soll alles ohne Auto erreichbar werden. Mit Karte. Tagesschau.de macht ein FAQ zu Jens Spahns Maskenskandal, die Frankfurter Allgemeine Zeitung porträtiert die Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf für das Amt der Verfassungsrichterin und der Spiegel schreibt ganz oben auf, dass Benjamin Netanjahu Trump für den Friedensnobelpreis nominiert haben will und der sich geschmeichelt fühlt (Überschrift: „Wow. Dankeschön.“). Man muss feststellen: Ein konkreter Plan zur ethnischen Säuberung Gazas ist wohl keine große Meldung wert. Kaum anders lässt sich das Vorhaben beschreiben, das der israelische Verteidigungsminister Israel Katz am Montag vorstellte. Demnach habe er die IDF instruiert, einen Plan zu erstellen, um eine „humanitäre Stadt“ auf den Ruinen von Rafah im Süden des Gazastreifens zu errichten, „die schließlich die gesamte Bevölkerung des Gazastreifens beheimaten soll“. Und, wie die Haaretz Katz zitiert: „Einmal drin, werde den Bewohnern nicht mehr erlaubt, das Gelände zu verlassen.“Wenn kein Palästinenser mehr frei in Gaza herumlaufen soll, wie heißt das?Zuerst sollen 600.000 Palästinenser hauptsächlich aus der Region um al-Mawasi in dsa Camp gebracht werden, wo sich derzeit Hunderttausende Vertreiebene aufhalten – es war eine von Israel ausgerufene „Sicherheitszone“. Einmal im Lager, sei es den „Bewohnern“ verboten, es wieder zu verlassen. Die israelische Armee solle das Gebiet sichern, den Standort „betreiben“ sollen aber „internationale Partner“. Heißt: Offiziell wird hier niemand interniert, der Zugang in das Lager erfolgt wohl freiwillig – aber dort gibt es für die inzwischen ausgehungerte Bevölkerung Essen, Wasser und ein Dach über dem Kopf. Wer einmal drin ist, darf nicht mehr raus. Eine Falle.Von dort sollen die Menschen „ausreisen“: „Wir arbeiten mit den USA sehr eng daran, Ländern zu finden, die realisieren wollen, was sie immer behaupten: dass sie den Palästinensern eine bessere Zukunft geben wollen“, so Netanjahu bei Trump in Washington. „Wir haben tolle Kooperationen von umliegenden Ländern, große Kooperation von jedem einzelnen von ihnen. Also, es wird etwas Gutes passieren“, ergänze Trump am Montag.Etwas Gutes? Kann Netanjahus extrem rechte Regierung einfach zwei Millionen Menschen in ein Lager locken und dann einsperren, kann sie zwei Millionen von zwar kriegsgebeutelten, aber freien Menschen zu Internierten machen, ohne dass die großen Redaktionen dieses Landes das als Hauptmeldung sehen? Einzig der britische Guardian titelte am Dienstagmorgen diesen „Plan“ eines Internierungslagers als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.Erinnern Sie sich, als Donald Trump zum ersten Mal vom Gazastreifen als „Riviera“ des Nahen Ostens sprach und die Vertreibung der Palästinenser vorschlug, Pardon: ihre „Umsiedlung“ nach Ägypten, Jordanien und in andere Nachbarländer? Wie oft hörte man damals: „Das kann man ja nicht ernst nehmen.“ So wie bei der Verwendung des Begriffs „ethnische Säuberung“ in den vergangenen zwei Jahren die Köpfe geschüttelt wurden.Völkermord? Der Internationale Gerichtshof hat Israel zur Durchführung von Maßnahmen aufgefordert, einen Völkermord an Palästinensern in Gaza zu verhindern – die kaum umgesetzt wurden. Noch wurde kein Staat wegen Genozid verurteilt, weil das juristische Nachweisen der geplanten Auslöschung einer Bevölkerung schwierig ist. Wenn der Plan eines Internierungslagers in Rafah jedoch tatsächlich umgesetzt wird und nach dem Gaza-Krieg kein einziger Palästinenser mehr frei in Gaza herumläuft, sollte die These, dass wir es hier mit einem Völkermord zu tun haben, wohl erlaubt sein.Wenn Israel nicht gestoppt wird, gibt es Palästina bald nicht mehrSind Sie es auch leid, diese ewige Begriffsdiskussion über ethnische Säuberung, Apartheid und Völkermord? Am Morgen dieses 8. Juli 2025 fragte auch ich mich: Wozu haben wir uns eigentlich dermaßen gestritten um diese Begriffe, wenn es möglich ist, das Errichten eines Internierungs- oder Deportationslagers für eine gesamte Bevölkerung anzukündigen, und die großen Redaktionen der Republik zucken mit den Schultern?Die Jüdische Allgemeine berichtet übrigens durchaus über den Interniergungsplan Israels, und zwar unter der schönen Überschrift „Israel plant ‚Humanitäre Stadt‘ für 600.000 Gaza-Bewohner“. Und weiter: „Verteidigungsminister Katz will für Palästinenser ohne Obdach ein Auffanglager erbauen lassen. Dort soll es keine Hamas mehr geben“. Klingt das nicht geradezu utopisch? Was Israel Katz vorgestellt hat, ist ein genozidaler Plan zur „Lösung“ eines Teils des Nahost-Konflikts, der schlicht darin besteht, den Gazastreifen abzuschaffen. In Bezug auf das Westjordanland verfolgt Israel gleichzeitig eine andere Strategie: Hier schaffen israelische Siedler Fakten, unterstützt von der israelischen Armee, immer zahlreicher und immer aggressiver. Palästina kämpft damit endgültig um seine schiere Existenz, jeden Tag, bei jeder Räumung jedes verbliebenen palästinensischen Dorfes im Westjordanland.Im Guardian liest man von einer „Blaupause für ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Auch die Linkspartei – wenigstens sie macht den Säuberungs-Sommerschlaf nicht mit – verurteilt das geplante Internierungslager als „militärisch durchgesetzte Masseninternierung“, „systematische Vertreibung der Bevölkerung aus dem Gazastreifen“, „Gefängnis“ und „klaren Verstoß gegen das Völkerrecht“, wie Lea Reisner, Sprecherin für Internationale Beziehungen der Linksfraktion im Bundestag, dies klarstellte.Das Völkerrecht ist kein Traum, sondern eine Frage der MachtAch, das Völkerrecht. Wie niedlich die Vorstellung war, man könne einen Staat, der die diskursive wie auch geopolitische wie auch militärische Macht dazu hat, von der systematischen Ermordung, Vertreibung und Internierung ihm unliebsamer Bevölkerungen abhalten. Internationaler Gerichtshof, Internationaler Strafgerichtshof: Wie naiv die Weltgesellschaft nach dem Grauen des Zweiten Weltkriegs doch schien. Man wagte es, zu träumen.Dass dieser Traum vorbei ist, heißt jedoch nicht, dass die Weltgemeinschaft nichts in der Hand hätte, um Netanjahus extrem rechte Regierung zu stoppen. Es geht hier nicht um leere Wertvorstellungen, sondern um Macht. Der von Katz vorgestellte Plan flankiert die aktuellen Verhandlungen über eine 60-tägige Waffenruhe zwischen Hamas und israelischer Armee: Die Errichtung der „humanitären Stadt“, so Katz – also des Zwangslagers für Palästinenser – könne während eines solchen Waffenstillstands beginnen, über den Netanjahu und Trump derzeit in Washington verhandeln.Israel agiert nicht unabhängig von der Weltgemeinschaft. Kein Staat der Welt könnte isoliert solch eine Stärke aufrechterhalten. Doch statt deutsche Waffenexporte nach Israel einzustellen und sich für die Aussetzung des EU-Assoziierungsabkommens mit Israel einzusetzen, lieferte die Bundesregierung unter Friedrich Merz Israel in den ersten Wochen ihrer Amtszeit weitere Waffen – weil sie kann. Warum kann sie es? Es könnte eine Rolle spielen, dass die Leitmedien dieses Landes andere Prioritäten setzen als die Berichterstattung über die drohende Zwangsinternierung von Bevölkerungen. Das lässt sich ändern.

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Von Veritatis

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