Wenn Autofabriken und Eisenbahnwerke Panzer bauen, sind wir in der Rüstungsindustrie der Zeitenwende angekommen. Im alten Eisenbahnwerk Görlitz, bei VW in Osnabrück und Continental in Gifhorn droht genau das. Doch es regt sich Widerstand


Kanzler Olaf Scholz und Ministerpräsident Michael Kretschmer auf einer Veranstaltung von Alstom in Görlitz

Foto: Sebastian Kahnert/Picture Alliance/dpa


An einem Baum nahe dem Werkstor des französischen Konzerns Alstom in Görlitz hängt zwischen den Ästen ein Transparent. „Militärzüge statt Menschenzüge? Alles fährt in die falsche Richtung!“ Zwölf Aktivist*innen verteilen Flyer. Einige sind Mitglieder der Linkspartei, ein Mitorganisator kommt aus Hessen. Viele der Angesprochenen ignorieren das Angebot. Die Friedensaktivist*innen lassen nicht locker: Sie stellen einen Biertisch auf. Doch echte Diskussionen gibt es an diesem Tag Ende April nur wenige.

175 Jahre lang wurden in der ostsächsischen Stadt an der Neiße Schienenfahrzeuge gebaut, vor allem Doppelstockwagen und Straßenbahnen. Im Beisein von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und dem sächsischen Ministerpräsi

lem Doppelstockwagen und Straßenbahnen. Im Beisein von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) wurde im Frühjahr dann mit einem Rahmenvertrag der Schlussstrich besiegelt: Das ebenso traditionsreiche wie kriselnde Werk geht an das deutsch-französische Rüstungsunternehmen KNDS. Dieses will in Görlitz nun Bauteile für den Kampfpanzer Leopard 2, den Schützenpanzer Puma und den Radpanzer Boxer herstellen. Der Großteil der rund 700 Beschäftigten soll übernommen oder an andere Standorte verlegt werden, für einige ist die Zukunft noch ungewiss.Warum sich in Görlitz so wenig Protest regtUm zu verstehen, warum der Protest vor dem Werkstor so wenig Resonanz erzeugt, lohnt ein Blick auf die 22 Kilometer entfernte Stadt Niesky mit etwa 9.000 Einwohner*innen. Vor rund zwei Jahren hatte hier der Traditionshersteller Waggonbau Niesky dichtgemacht – es war der letzte Hersteller von Güterwaggons in Deutschland. Lange Zeit hatte es zuvor Mahnwachen, Appelle an den Eigentümer und die Suche nach neuen Investoren gegeben – genützt hatte es nichts. Die knapp 200 Mitarbeiter*innen landeten in der Arbeitslosigkeit. „Die Kolleg*innen in Görlitz und Niesky haben sich ja gekannt – allen war klar, dass so etwas nicht noch mal passieren darf“, sagt Uwe Garbe, der erste Bevollmächtigte der IG Metall Ostsachsen.Auch in Görlitz wurde lange gerungen, gekämpft und nach Alternativen mit Schienenbezug gesucht – vor allem, als immer deutlicher wurde, dass Alstom wenig Interesse an dem Werk hat. Eine Idee war etwa der Bau eines Testrings, also eines Testzentrums für Eisenbahntechnik. „Es gab dann aber weder eine Machbarkeitsstudie noch ein Betreiberkonzept“, kritisiert Garbe. Auch die bereits lang geforderte Elektrifizierung der Bahnstrecke Dresden-Görlitz habe nicht stattgefunden – diese hätte möglicherweise weitere Optionen wie Instandhaltungswerke nach sich gezogen. Zudem sei es unverständlich, dass viele Bahnverbände in Ostdeutschland bis heute ihre Waggons nicht aus der Region beziehen, so der Gewerkschafter.Gefühlt ohne Optionen, blieb auch der Protest innerhalb der Belegschaft überschaubar. „Immer mit dem Blick auf Niesky hat sich ein großer Teil der Beschäftigen mit der Entwicklung arrangiert“, sagt Garbe. Er könne nicht sagen, wie viele genau die Rüstungsproduktion kritisch sehen – in Anbetracht der politischen Stimmung in der Region aber vermutlich etliche.Die Rüstungsindustrie ist für viele hier ein RettungsankerÖffentliche Stellungnahmen aus der Belegschaft oder größere Mobilisierungen in der Stadt blieben jedoch aus. „Die Region weiß um die Bedeutung des Industriestandorts – am Ende war KNDS für viele der Rettungsanker in einer schwierigen Situation“, vermutet Garbe. Die Entwicklung in Görlitz steht symptomatisch für eine bundesweite Entwicklung: Die Spielräume für eine gesellschaftlich und ökologisch nachhaltige Wirtschaftskonversion der Industrie – seit vielen Jahren von progressiven Kräften gefordert – werden kleiner, der Druck zur Rüstungskonversion nimmt zu.Der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie erklärt, dass er mittlerweile mehr als 340 Mitglieder zähle – 100 neue Mitglieder seien allein seit Jahresbeginn beigetreten. Die Rüstungsbranche benötige noch weitere Fachkräfte, sagte der Verbands-Hauptgeschäftsführer Hans Christoph Atzpodien. Man müsse sich vor allem die „frei werdenden Kapazitäten im Automobil-Zuliefererbereich zunutze machen“.Placeholder image-1In besagter Autoindustrie samt ihren Zulieferern ist, der Druck bereits stark zu spüren. Rheinmetall-Chef Armin Papperger hatte im März das VW-Werk in Osnabrück als „gut geeignet“ für die Produktion von Rüstungsgütern bezeichnet. Auch VW-Chef Oliver Blume zeigte sich offen für eine Umwidmung. Eine Delegation des Rüstungskonzerns hatte das Werk bereits besucht.Rüstungskonversion auf bei VW in Osnabrück?Am Eingangsportal fallen die runden, wellenartigen Gebäude auf. Ein Turm ragt über sie hinaus, an der Spitze prangt das VW-Logo. Das Werk liegt neben einer großen Schienenanlage mitten in der Stadt. In den rotbräunlichen Hallen arbeiten hier rund 2.300 Mitarbeiter*innen, dazu kommen Leiharbeiter*innen und Logistiker*innen. Nach Angaben von VW sollen diese bis 2027 noch das T-Roc-Cabrio fertigen. Für die Zeit danach seien „Optionen für eine andere Verwendung des Standorts zu prüfen“, sagte jüngst ein Sprecher. Erst im Dezember hatte die IG Metall mit finanziellen Einschnitten für alle Standorte eine Beschäftigungs- und Standortsicherung bis 2030 erkauft.„Ich kenne Kolleg*innen in Osnabrück, die klar gegen einen Einstieg in die Rüstungsproduktion sind“, sagt der VW-Mitarbeiter und Betriebsrat Lars Hirsekorn. Hirsekorn arbeitet seit 30 Jahren bei VW Braunschweig und ist Teil der Initiative „VW steht für Verkehrswende“. Mit etwa 40 Kolleg*innen in drei Werken diskutiert er über Themen wie Verkehrswende und Friedenspolitik, zusammen streben sie einen ökologischen Umbau der Produktion an.Arbeitslos sein oder Waffen herstellen? Der Druck auf die Belegschaft ist hochDass nun Diskussionen wie um den Standort Osnabrück geführt werden, ärgere viele Kolleg*innen, so Hirsekorn. „Es gibt zahlreiche Kolleg*innen, die bei Versammlungen aufstehen und sich beschweren: Sie hätten nicht auf ihr Geld verzichtet, damit nun VW Waffen herstellt, mit denen im Gazastreifen Menschen getötet werden.“Grundsätzlich seien aber, wie in der Gesellschaft, die Positionen geteilt. „Es gibt auch in den Belegschaften und unter den IG-Metall-Mitgliedern einen Flügel, der bereit ist, für ‚sichere‘ Arbeitsplätze zur Rüstungsindustrie zu gehen.“ Diese Leute habe es auch früher schon gegeben, aber momentan seien sie lauter. Deshalb sei es umso wichtiger, dass engagierte Beschäftigte in den Belegschaften für friedliche und ökologische Positionen werben.Es regt sich Protest: „Wir wollen bei VW nicht den Tod produzieren“Hirsekorn hat so mit anderen VW-Arbeiter*innen den Aufruf „Wir wollen bei VW nicht den Tod produzieren“ unterzeichnet. „Wir müssen auch im Aufsichtsrat auf die Belegschaftsvertreter Druck ausüben“, fügt Hirsekorn hinzu. Dadurch könne der Betrieb weitere Schritte in Richtung Rüstungskonversion verhindern und vielleicht sogar wieder Türen zu einer ökologischen Entwicklung hin öffnen. Ein zügiges Handeln sei jedoch wichtig: „Wenn die Leute einmal in der Rüstungsindustrie gelandet sind, wird es schwer für sie, dort wieder auszusteigen.“Ob die Übernahme durch eine Genossenschaft eine Option wäre? „Dafür müsste das Land Niedersachsen der Belegschaft die Fabrik übergeben“, sagt Hirsekorn. Stephan Soldanski, der IG-Metall-Bevollmächtige von Osnabrück, erklärte derweil, dass er viele Möglichkeiten sehe, unter dem Dach von VW Produkte für verschiedene Branchen zu bauen. „Es wäre kurzsichtig, sich einseitig auf die Rüstungsindustrie zu konzentrieren.“ Vor einigen Jahren hatte das Werk Elektrobusse gefertigt.In Gifhorn will Continental schließen – auch hier hat Rheinmetall InteresseDoch was wäre gewonnen, wenn die Rüstungsindustrie nur eine mögliche Option darstellt? Im niedersächsischen Gifhorn passiert genau das: Hier hatte der Autozulieferer Continental angekündigt, Ende 2027 das Werk zu schließen. Die Anlage liegt umgeben von Bäumen am Stadtrand, über der Empfangspforte aus Backstein hängt ein gelbes Schild mit der Aufschrift „Continental“ und einem schwarzen Pferd. Die Zukunft der 1.000 Beschäftigten: ungewiss.Einerseits hat sich der Heizungs- und Klimagerätehersteller Stiebel Eltron gemeldet. Er erklärt, dass er künftig im Ort Komponenten für Wärmepumpen bauen und dafür Beschäftigte übernehmen will. Ebenso gibt es eine Absichtserklärung mit Siemens Mobility. Andererseits hat aber auch Rheinmetall Interesse gemeldet: Beschäftigten soll demnach eine Perspektive im 55 Kilometer entfernten Unterlüß geboten werden. Dort investiert der Rüstungskonzern aktuell 300 Millionen Euro in den Aufbau einer neuen Munitionsfabrik.„In einer Situation wie der in Gifhorn sind unterschiedliche berufliche Übergänge durchaus nachvollziehbar“, sagt IG-Metall-Sprecher Jan Mentrup. Die Gewerkschaft setze sich für die Wahlfreiheit der Beschäftigten, tarifliche Standards und gute Arbeitsbedingungen ein – unabhängig vom jeweiligen Sektor.„Der Wechsel einzelner Kolleg*innen in den Rüstungsbereich mag aus individueller Sicht verständlich sein, stellt aber aus unserer Sicht kein allgemeingültiges Zukunftsmodell dar“, fügt Mentrup hinzu. „Umso wichtiger ist es, dass politische und wirtschaftliche Akteure den strategischen Kompass nicht verlieren.“ Die Produktion von Wärmepumpen etwa sei ein Bereich, der langfristig an Bedeutung gewinne – „trotz des aktuellen schwarz-roten Kurses auf Bundesebene“.Linke warnt: Rüstungsindustrie verdrängt sozial-ökologische TransformationKritik äußert auch der Linke-Bundestagsabgeordnete Cem Ince, der als Elektroniker bei VW in Salzgitter ausgebildet wurde. Die Politik sieht er an einem Scheideweg: „Entweder nutzen wir unsere Ressourcen für die globale, sozial-ökologische Transformation – oder wir versuchen, einen nicht haltbaren Status quo national und notfalls militärisch zu verteidigen“, sagt Ince.Die „bürgerliche Politik“ habe sich aber offenbar bereits für Aufrüstung und eine militärische Industriekonversion entschieden. Dies schwäche auch die Arbeiter*innenbewegung. Ince betont, dass die Kolleg*innen in den Betrieben nicht vor die Wahl zwischen Rüstungsindustrie oder Arbeitslosigkeit gestellt werden dürften. „Die Alternative besteht im kollektiven Kampf für solidarische Produktionsweisen, welche dem Kapitalismus mitsamt seiner klimatischen und militärischen Verwerfungen Grenzen setzen.“Linke müssten zu einem Bewusstsein aller Arbeiter*innen für diese Zusammenhänge beitragen. „Das gelingt vor allem dadurch, dass wir in konkreten Klassenkämpfen erfahren, wie sich Solidarität anfühlt.“ Ob Görlitz, Osnabrück oder Gifhorn: Die Orte der Auseinandersetzungen sind längst sichtbar.

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Von Veritatis

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