Er schrieb mir ganz ohne Pathos. Und vielleicht gerade deshalb hat es mich so getroffen.
Es war eine Reaktion auf meinen Artikel zur Masken-Affäre. Alles wunderbar beschrieben, schrieb er. Alles gut recherchiert, alles treffend eingeordnet. Aber: Es ändere nichts. Die Leute nähmen es zur Kenntnis – und machten dann weiter wie zuvor. Auch er selbst.
„Ich sehe das an mir selber: Mein Geld wird immer knapper, die Alltagsprobleme nehmen mir die Kraft, mich politisch zu kümmern. Nicht wie damals, in der Corona-Zeit. Ich bin mürbe.“
Ich habe die Mail zweimal gelesen. Dann noch einmal. Weil sie einen Ton traf, den ich in letzter Zeit öfter höre – aber selten so klar. Es ist kein Aufschrei. Kein Wutausbruch. Es ist das Gegenteil: eine stille Kapitulation.
Der Mann – nennen wir ihn M. – ist klug, gebildet, engagiert. Er gehörte zu jenen, die sich in der Corona-Zeit in den sozialen Medien laut zu Wort meldeten. Der mir schon zuvor ans Herz gewachsen ist – so sehr, dass aus der virtuellen Bekanntschaft auch eine analoge wurde. Heute schreibt er über „Zermürbung“, über das Gefühl, dass „praktisch allen das Wasser bis zum Hals steht“, und über die Einsicht, dass all das politisch induziert ist.
Man könnte sagen: nichts Neues. Aber genau das ist das Beunruhigende. Dass es nicht neu ist. Sondern normal geworden.
Dass Menschen, die früher wütend waren, heute müde sind.
Eine Gesellschaft am Rande der Resignation
Was wir erleben, ist nicht einfach Politikverdrossenheit. Es ist eine Form von psychologischer Erosion. Ein langsamer Abbau von Vertrauen, Energie und Widerstandskraft.
Zermürbung.
Ein Begriff, den man sonst nur aus der Militärsprache kennt. Oder aus den Handbüchern der Stasi. Dort war „Zersetzung“ ein erklärtes Ziel, und Zermürbung eines der Werkzeuge auf dem Weg dorthin: nicht durch Gewalt, sondern durch schleichende Demoralisierung. Nicht durch offene Repression, sondern durch subtile Zersetzung des Selbstbewusstseins.
Natürlich sind wir nicht in der DDR. Aber wer sich an die Methoden erinnert – der hat manchmal ein Déjà-vu. Ich selbst habe diese Mechanismen im postsowjetischen Moskau erlebt, als ich dort lebte und arbeitete. Vielleicht macht gerade das es für mich so gespenstisch vertraut.
Denn auch heute funktioniert vieles nicht durch Gewalt, sondern durch Überforderung. Nicht durch Verbot, sondern durch Ermüdung. Die ständige Krise, der nächste Alarm, der neue Verzicht. Klima, Krieg, Pandemie, Migration, Inflation, Bildungs- und Werteverfall – als Dauerzustand.
Warum protestieren so wenige?
Weil Protest Kraft braucht. Und weil viele diese Kraft nicht mehr haben.
M. ist kein Einzelfall. Ich bekomme viele Zuschriften, in denen Leser schreiben: „Ich lese alles, ich weiß es – aber ich fühle nichts mehr. Es ändert sich ja doch nichts.“
Das ist der gefährlichste Zustand, den eine Gesellschaft erreichen kann.
Nicht, weil Menschen falsch denken. Sondern weil sie gar nicht mehr denken wollen.
Weil sie innerlich abschalten. Und das ist – bei aller berechtigten Wut – vielleicht die effektivste Methode, um Widerstand zu neutralisieren.
Und was tun wir damit?
Diese Frage kann man nicht mit einem Link zum nächsten Protest beantworten. Auch nicht mit der moralischen Keule. Vielleicht beginnt die Antwort mit etwas anderem: mit dem Eingeständnis, dass man müde ist – und dass das nicht Schwäche ist, sondern eine Folge.
Eine Folge von zwanzig Jahren Politik, die selten den Menschen dient, diese oft missachtet und fast nie erklärt.
M. schrieb: „Ich sehe da mittlerweile Absicht im Spiel.“
Ich weiß nicht, ob es Absicht ist. Aber wenn die Wirkung einer Strategie kaum von ihrer Absicht zu unterscheiden ist – ist das für den Betroffenen am Ende vielleicht egal.
Und vielleicht ist genau das das Ziel: Kein Verbot. Kein Knüppel. Kein Denkverbot. Nur eine Müdigkeit, die sich langsam wie Nebel über alles legt.
Bis nichts mehr sichtbar ist. Nicht einmal die eigene Erschöpfung.
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