Das BSW bleibt hinter seiner Anti-Mainstrean-Rhetorik zurück, außer in Sachen Ukraine – da kritisiert es einseitig die NATO und übersieht den russischen Völkerrechtsbruch. Über ein Bündnis, das nicht so klug agiert, wie viele gerne hätten
Keine Frage, Sarah Wagenknecht ist eine schillernde Figur – aber schillert das Programm des BSW so wie sie?
Foto: Benjamin Sauer für der Freitag
Sahra Wagenknecht polarisiert wie kaum eine andere Politikerin in Deutschland. Während das nach ihr benannte „Bündnis“ schon im ersten Jahr seiner Existenz bei Wahlen abräumt, versuchen sich die etablierten Parteien in Zuschreibungen wie „Putins Pressesprecherin“ – Ricarda Lang, Grüne – oder nennen ihre Partei „in einigen Themen rechtsextrem, in anderen linksextrem“ wie CDU-Chef Friedrich Merz.
Diejenigen, die das BSW schon gewählt haben oder mit ihm sympathisieren, werden sich durch solche Kommentare eher bestätigt fühlen. Sie gehören schließlich zu den – laut BSW-Programm – „vielen Menschen“, die sich „durch keine der vorhandenen Parteien mehr vertreten“ fü
0; fühlen, weil sich „ein autoritärer Politikstil“ breitmache, der „den Bürgern vorschreiben will, wie sie zu leben, zu heizen, zu denken und zu sprechen haben“.Kein Wunder, werden sie denken, dass die Etablierten vor Angst rhetorisch aufrüsten, wenn endlich mal jemand den „vorhandenen Parteien“ so richtig entgegentritt. Und wenn sie dann sehen, dass die Parteifreunde von Merz (und ebenso die SPD-Genossen von Olaf Scholz) auf Länderebene das vielgescholtene BSW hofieren, um Regierungsmehrheiten zusammenzubekommen, können sie sich in ihrem Misstrauen gegen die Etablierten nur bestätigt fühlen.Das BSW als einzige Partei gegen den Mainstream?Tatsächlich spricht Wagenknechts Partei offenbar viele Menschen an, die – nicht ohne Grund – eine fundamentale Unzufriedenheit mit dem etablierten Politikbetrieb verspüren. Aber das ändert nichts daran, dass in dem eben zitierten Satz eine fragwürdige Erzählung verdichtet ist: Der Frust über die zahlreichen Krisen der Gegenwart und eine Politik, die ihnen in der Tat nicht gerecht wird, habe seine eigentliche Ursache in den „autoritären“ Anwandlungen der urbanen Eliten – vom Klimaschutz („heizen“) bis zum Gendern („denken und sprechen“).An dieser Stelle soll weder die Putinversteher-Keule geschwungen noch das Loblied auf die „einzige Friedenspartei“ Deutschlands oder die Retterin der fleißig arbeitenden Menschen vor den mehr oder weniger grünen Verbotsparteien gesungen werden. Vielmehr soll jenseits schlagwortartiger Bewertungen wie „populistisch“ gezeigt werden, dass das BSW nicht die soziale und emanzipatorische Alternative zur herrschenden Politik darstellt, die diesem Land zu wünschen wäre. Drei zentrale Themen sollen zur Erläuterung dienen: Krieg und Frieden, Wirtschaft und Soziales, Migration. Und weil es um persönliche Einschätzungen geht, sei hier ausnahmsweise die Ich-Form erlaubt.Kein Argument pro BSW höre ich öfter als dieses: Es sei die einzige Partei in Deutschland, die sich dem „Mainstream“ in Sachen Krieg und Frieden entgegenstelle und konsequent auf Diplomatie statt Waffen setze.Die Ablehnung des Militarismus wirkt in der Tat befreiendPolemisch ließe sich anmerken, dass die Einigkeit über die Mittel zur Verfolgung dieses Ziels kaum von Berlin bis Erfurt reicht, wie der heftige interene Streit über die Koalitionsfrage in Thüringen zeigte. Aber richtig ist, dass sich im Zuspruch für das BSW eine beklagenswerte Verengung der Debatte in großen Teilen von Politik und Medien spiegelt. Tatsächlich wird oft zu schnell der Sympathie für den Aggressor verdächtigt, wer dem Primat des Militärischen bei der Unterstützung der Ukraine skeptisch gegenübersteht und mehr diplomatische Anstrengungen verlangt.Da wirkt es auf den ersten Blick befreiend, im BSW-Programm diesen Satz zu lesen: „Die Lösung von Konflikten mit militärischen Mitteln lehnen wir grundsätzlich ab.“ Der Forderung, „eine neue Ära der Entspannung und neue Verträge über Abrüstung und gemeinsame Sicherheit“ anzustreben, können nicht nur eingefleischte Wagenknecht-Fans etwas abgewinnen.Allerdings: „Eine Militärallianz, deren Führungsmacht in den zurückliegenden Jahren fünf Länder völkerrechtswidrig überfallen und in diesen Kriegen mehr als eine Million Menschen getötet hat, schürt Bedrohungsgefühle und Abwehrreaktionen und trägt so zu globaler Instabilität bei.“ So steht es wiederum im Programm. Ich denke: Wer solche Sätze aufschreibt – denen ich gar nicht grundsätzlich widerspreche –, muss auch den Beitrag Russlands zu Tod und Zerstörung sowie zu Bedrohungsgefühlen, Abwehrreaktionen und globaler Instabilität erwähnen.Aber genau das tut das BSW-Programm nicht. Zwingend wäre es aus meiner Sicht nicht nur aus moralischen Gründen, sondern vor allem auch deshalb, weil die Rede von „gemeinsamer Sicherheit“ inhaltslos bleibt, wenn nicht alle Kräfte in den Blick genommen werden, die ihr im Wege stehen. Russlands Präsident Wladimir Putin eingeschlossen.Katarisches Gas und Fracking-Gas ist nicht das gleiche wie Putins GasNebenbei bemerkt: Auf das Nein zur Aufrüstung und die Forderung nach einer neuen Ära der Entspannung hat das BSW in Wahrheit kein Monopol. Bei der Linkspartei, das weiß Wagenknecht als deren ehemaliges Mitglied, findet sich etwas sehr Ähnliches – freilich verbunden mit dem notwendigen Hinweis auf Russlands völkerrechtswidrigen Angriffskrieg (etwa im kürzlich verabschiedeten Leitantrag des Parteitags von Halle an der Saale).Ein anderer Punkt kommt hinzu: Wenn Wagenknecht kritisiert, dass Deutschland statt russischen Gases Frackinggas aus den USA kauft und mit einem Staat wie Katar Lieferverträge schließt, kann ich das nur teilen. Aber will sie damit sagen, dass wir uns auch gleich beim russischen Autokraten bedienen könnten, statt Geschäfte mit dem katarischen zu machen oder das umweltschädliche Fracking zu unterstützen? Recht hat sie, dass die Sanktionen Russland noch nicht entscheidend geschwächt haben. Aber müssten sie dann nicht verschärft statt gelockert werden, zumal sie ja prinzipiell ein Mittel unterhalb der Schwelle zum Militärischen darstellen?Das zweite zentrale Argument pro BSW, um das es hier gehen soll, ist die „wirtschaftliche Vernunft“. Das Bündnis stehe für „eine faire Leistungsgesellschaft mit echter Chancengleichheit und einem hohen Grad an sozialer Sicherheit“, so steht es in seinem Programm.Altbundesrepublikanische Nostalgie ist nicht linksNun hat ja Sahra Wagenknecht immer wieder betont, dass die Ideen eines Ludwig Erhard, so wie sie ihn versteht, für diese Gesellschaft ein Vorbild sein könnten. Das wäre dann, in der hier notwendigen Kürze, eine weitgehend mittelständische Wirtschaft ohne „marktbeherrschende Großunternehmen, übermächtige Finanzkonzerne wie Blackrock und übergriffige Digitalmonopolisten“ (so das Programm).Was die genannten Akteure betrifft: Ja, deren Zerschlagung und/oder Überführung in öffentliche Kontrolle hielte auch ich für richtig. Aber in alt-bundesrepublikanischer Nostalgie so zu tun, als gäbe es keine Ausbeutung mehr, sondern nur noch gute Löhne und sichere Renten, wenn eine auf „Förderung innovativer heimischer Unternehmen“ konzentrierte Form des Kapitalismus Wiederauferstehung feiert, ist alles Mögliche, aber sicher nicht links (was Wagenknecht auch gar nicht mehr beansprucht).Übrigens: Der Klimawandel wird im BSW-Programm zwar als „ernsthafte Herausforderung“ benannt, aber als einziges Gegenmittel taucht die Forderung nach der „Entwicklung innovativer Schlüsseltechnologien“ auf. Das ist genau der Sound, in dem Politiker wie Friedrich Merz und Olaf Scholz ihre Idee von einem grünen Kapitalismus anpreisen, dessen Energiezufuhr zwar irgendwann umgestellt wird, ohne aber an den überkommenen Strukturen aus dem Zeitalter der fossilen Industrie Grundlegendes zu ändern.Migrationspolitik: Unmenschliche und untaugliche RhetorikSchließlich Pro-BSW-Argument Nummer drei, die Migration. Im Parteiprogramm wird sie – beziehungsweise ihre Begrenzung – interessanterweise unter der Überschrift „Freiheit“ behandelt. Zuwanderung könne zwar „eine Bereicherung sein“, heißt es dort. „Das gilt aber nur, solange der Zuzug auf eine Größenordnung begrenzt bleibt, die unser Land und seine Infrastruktur nicht überfordert.“Unbestreitbar kommen solche Formulierungen den sonst so gescholtenen „vorhandenen Parteien“ sehr nahe. Und wie diesen werfe ich dem BSW vor, zu ignorieren, dass die ständig verschärften Abschreckungsmethoden gegen Geflüchtete sich nicht nur als menschenrechtlich hochproblematisch, sondern auch als untauglich erwiesen haben – was jedes Mal zur nächsten untauglichen Verschärfung führt. Ich halte es für gefährlich, den Leuten weiszumachen, Abschottung werde irgendein Problem lösen, statt für einen konstruktiven Umgang mit Zuwanderung zu werben. Warum wird nicht auch an dieser Stelle die Forderung nach mehr Investitionen in die Infrastruktur erhoben, statt deren Überforderung zu beklagen?Ich schließe mich nicht denjenigen an, die das BSW in dieser Frage pauschal mit der AfD gleichsetzen. Wagenknechts Motiv scheint mir ein anderes zu sein als die im Kern rassistische Ideologie der AfD. „Den Preis für verschärfte Konkurrenz um bezahlbaren Wohnraum, um Jobs mit niedrigen Löhnen und für eine misslungene Integration zahlen in erster Linie diejenigen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen“, heißt es im Programm. Es geht also, ganz im Sinne der sonstigen nationalstaatlich orientierten BSW-Politik gegen die wachsende Ungleichheit „in unserem Land“, um den Schutz bereits ansässiger Menschen.Das BSW schwächt nicht die AfD, sondern die LinkeIch halte es aus einem linken, also immer auch internationalistischen Blickwinkel für geradezu unanständig, Einheimische in dieser Weise gegen Zuwandernde auszuspielen. Aber selbst wer dieser Kritik widerspricht, weil das BSW sich ja auch für „mehr Perspektiven in den Heimatländern“ ausspricht, teilt vielleicht die folgende These: Eine Partei, die zwar das Motiv der Gerechtigkeit für sich in Anspruch nimmt, aber daraus ähnliche Forderungen wie mehr oder weniger rechte Kräfte ableitet, ist vielleicht nicht gleich selber rechts. Aber sie spielt, und sei es ungewollt, genau der rechten Politik in die Hände, die mit der Migrationsdebatte soziale Probleme gerade nicht lösen, sondern von ihnen ablenken will.Bei den Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg hat das BSW nicht die AfD geschwächt, sondern besonders stark die Linkspartei, bei der sich Unzufriedene und Protestwillige diesseits der AfD-Klientel offenbar nicht mehr zu Hause fühlen. Darunter sicher viele, die sich nach wie vor dem linken Spektrum zuordnen. Ich verstehe deren Kritik an den anderen Parteien. Aber ich fürchte, es könnte sich noch erweisen, dass das Bündnis Sahra Wagenknecht zu ihren linken Überzeugungen am Ende doch in einem großen Widerspruch steht.Stephan Hebel ist Publizist und langjähriger Freitag-Autor