Mit der Wiedereröffnung der Kathedrale Notre-Dame, fünf Jahre nach dem verheerenden Brand, will Emmanuel Macron einen großen Image-Coup landen, dabei liegt das Land unter einem politischen Trümmerhaufen.


Notre-Dame ist bald wieder ein Touristen-Magnet, dafür braucht es selbstverständlich passende Souvenirs

Foto: Fred Dugit/picture alliance/dpa/MAXPPP


Strahlen, Prunken, Protzen. Das kann Paris. Und mittendrin, im historischen Zentrum der Stadt schlägt ihr Herz, schlagen die Glocken von Notre-Dame. Wieder. Eine Kathedrale, die weit mehr ist als ein religiöser Ort, in der Messen gefeiert werden. Weit mehr auch als ein Touristenmagnet, zu dem jährlich um die 13 Millionen Besucher kommen, eine Zahl, die nach der Wiedereröffnung noch zunehmen soll.

Diese Kathedrale, erbaut zwischen 1163 und 1345, setzte zu ihrer Zeit architektonische Maßstäbe und brachte die angesehensten Architekten, Handwerker und Künstler zusammen. Frankreichs katholischer Gemeinde gilt sie neben dem Pilgerort Lourdes als wohl wichtigste und kostbarste Stätte. Aber darüber hinaus, ist sie für Paris ein USP, wie man heute sa

ber darüber hinaus, ist sie für Paris ein USP, wie man heute sagen würde, ein unique selling point, ein Alleinstellungsmerkmal, ein ikonisches Bauwerk, das auch Menschen berührt, die einem anderen oder sogar keinem Glauben angehören, einfach weil sie das Stadtbild auf die gleiche Weise prägt wie der Eiffelturm, das Pantheon oder die Champs-Élysées. Notre-Dame ist in Romanen beschrieben, auf Leinwände gezeichnet, in Liedern verewigt und fasziniert jedes Mal aufs Neue, wenn man ihr nahekommt und in die tausenden symbolischen Einzelheiten des Bauwerks eintaucht.Als am 16. April 2019 gegen 18.30 Uhr das Feuer im Dachstuhl ausbrach, sehr wahrscheinlich durch einen Kurzschluss einer Elektroanlage, fieberten tausende Menschen rund um die Kathedrale und Millionen weltweit vor dem Bildschirm mit. Sie alle sahen live dabei zu, wie der 800 Jahre alte Dachstuhl samt emblematischem Spitzturm unter den Flammen zusammenbrach und wie die Feuerwehr 15 Stunden lang dem Brand die Stirn bot. Und siehe da: Sie stand noch! Getreu der Devise des Pariser Stadtwappens „fluctuat nec mergitur“ – Sie schwankt, aber sie geht nicht unter.Der Finanzadel überbot sich mit Spenden für den Wiederaufbau von Notre-DameDem Schock und der Betroffenheit folgte eine beispiellose Spendenbereitschaft und unter Frankreichs Superreichen überbot man sich geradezu mit der Ankündigung von großzügigen finanziellen Zusagen zum Wiederaufbau. Der Milliardär und Kunstsammler François Pinault legte mit 100 Millionen vor, Unternehmenschef Bernard Arnault toppte mit dem Doppelten, worauf das Loréal-Imperium mit Familie Bettencourt nachzog. Bereits zwei Tage nach dem Brand beliefen sich die Spendenzusagen auf 900 Millionen Euro.Wenn am Samstag die eingeladenen Staatschefs durch die heiligen, frisch restaurierten Gewölbe von Notre-Dame schreiten, steht Frankreichs Finanzadel an ihrer Seite, nicht ohne von der Strahlkraft des Events profitieren zu wollen. Schließlich kommt sogar Donald Trump eingeflogen, sein erster Auslandsbesuch seit den Wahlen im November und wie schon während seiner ersten Amtszeit will Emmanuel Macron mit Trump auf best-buddy machen, will zeigen, dass er unter allen Europäern bei Donald besonders beliebt ist. Letzterer hatte übrigens live während des Brands gut gemeinte Löschtipps getwittert: „Perhaps flying water tankers could be used to put it out. Must act quickly!“ (dt.: „Vielleicht könnten fliegende Wassertanks benutzt werden zum Löschen. Muss schnell gehandelt werden!“)Placeholder image-1Dabei liegt Präsident Macron politisch am Boden, seine Regierung in Ruinen, sein Versuch, mit den Neuwahlen im Sommer einen Befreiungsschlag zu landen, ist grandios gescheitert. Sein vor drei Monaten berufener und in dieser Woche an einem Misstrauensvotum gescheiterter Premierminister Michel Barnier ist Geschichte. Die politische Krise ist ebenso gigantisch wie die Staatsverschuldung und der Unmut innerhalb der französischen Gesellschaft. So ist Symbolpolitik das einzige, was diesem Präsidenten noch bleibt.Gelungen ist ihm das während der Olympischen Spiele, als das Pariser Sommermärchen zwei Wochen lang die Krisenstimmung vergessen ließ, als er Sportlerinnen und Sportler herzte und von Tribünen winkte. Er hatte den politischen Pausenknopf gedrückt, mehr nicht. Bei seiner ausführlichen Vorabbesichtigung der Kathedrale vor einigen Tagen hatte er noch einen „Schock der Hoffnung“ durch die Wiedereröffnung vorausgesagt. Es war ein perfekt inszenierter, live im Fernsehen übertragener Rundgang mit Erzbischof, Pariser Bürgermeisterin, Kulturministerin und Gattin Brigitte, bei dem noch jede bemalte Fensterscheibe und jedes Schräubchen inspiziert und kommentiert wurde. Dass Macron als Oberhaupt einer laizistischen Republik, in der Kirche und Staat voneinander getrennt sind, seine Ansprache an eingeladenen Feuerleute, Spendengeber und Bauarbeiter, im Gotteshaus selbst hielt, stieß auch auf Kritik.Emmanuel Macrons politisches Erbe steht in FlammenImmerhin könnte man sich fragen, ob das gehaltene Versprechen von Macron, die Kathedrale binnen fünf Jahren wiederzueröffnen, ihm doch etwas Respekt und Sympathien einbringt? Man könnte auch erwähnen, dass hier offenbar effizient, professionell und vor allem schnell gearbeitet wurde. Dass mag für BER und Elbphilharmonie erprobte Deutsche durchaus ein Grund zum Staunen sein, denn Experten hatten nach dem Brand eher mit 10 bis 15 Jahren Bauzeit gerechnet, allein um die einzelnen Bestandteile originalgetreu zu reproduzieren.Dass der Wiederaufbau nun in so kurzer Zeit gelungen ist, passt zu Macrons Bild von sich selbst. „Impossible n’est pas français“, ist so einer dieser Macron-Sprüche. Nichts ist unmöglich mit ihm als Präsidenten. Er kann große Gesten, hat ein Gespür für Bilder, er brilliert rhetorisch mit visionären Reden und lässt sich auf tollen Schwarz-Weiß-Fotos auf Instagram posten. Doch das Land ist unter ihm nahezu unregierbar geworden. Das Vertrauen in Repräsentanten, die Eliten schmilzt immer weiter dahin und Marine Le Pen wird als Option in den Köpfen vieler immer denkbarer. Daran kann auch die geglückte Großbaustelle Notre-Dame nichts ändern.Wer in diesen Tagen durch Paris schlendert, von Notre-Dame aus, hinauf auf die weihnachtlich beleuchteten Champs-Élysées, vorbei an den aufwendig geschmückten Vitrinen der Einkaufspaläste, den wird ein Gefühl der Erhabenheit und Schönheit überkommen. Auch weil der Wandel der Stadt im letzten Jahrzehnt eindrücklich und noch längst nicht abgeschlossen ist. Unter Bürgermeisterin Anne Hidalgo und ihren grünen Partnern im Rathaus wurde der Platz für Autos radikal reduziert, Fahrräder gehören fest ins Stadtbild und Notre-Dame wird in den nächsten Jahren durch eine Unterführung direkten Zugang zum Seine-Ufer haben, wo Schifftaxis die Touristen abholen sollen.Zuletzt hat die Stadt ihre Schönheit und Einzigartigkeit während der Olympischen Spiele unter Beweis gestellt, sie hat sich gewagt, verrucht, prunkvoll, verspielt und glänzend präsentiert. Jetzt hat sie auch ihr historisches Herz zurück und wird es der Weltöffentlichkeit präsentieren. Und Macron wird an Trumps Seite, im göttlichen Glanze der Kathedrale, sonnenkönighaft erleuchten, während sein politisches Erbe längst in Flammen aufgegangen ist.



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Von Veritatis

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