Aktuelle Nachrichtenlage: Traut sich noch jemand, nicht in Seufzen, Stöhnen, Angstgeschrei zu verfallen?

Collage: der Freitag, Material: Midjourney


Erinnert sich noch jemand an die Sache mit dem Apfelbäumchen? Falls er wüsste, soll Luther gesagt haben, dass morgen die Welt untergeht, würde er noch heute eines pflanzen. In apokalyptischen Zeiten wie diesen, in denen allerorten „tutto è finito“ erklingt, privat wie öffentlich, wäre das doch mal eine Maßnahme. Stattdessen hat das Dahinsiechen Hochkonjunktur.

Es gilt, sich auch im Tod „selbstwirksam“ zu verwirklichen, als müssten, da das Leben sich entzieht, wenigstens Krankheit und Sterben „selbstbestimmt“ optimiert werden. Und so erzählen unzählige Zeitungsartikel, Bücher (Alte Eltern, Lückenleben sind nur zwei von vielen), Filme (zuletzt unter anderem Sterben, The Room Next Door, Father, Die Ironie des Lebens oder, ganz frisch, Marianengraben), ausgiebig von gelungenen Abschieden, gelingenden Selbstmorden, lustige Sprüche klopfenden Lebensmüden und effizient Trauernden. Das mag nahe liegen, wenn das Ende der Welt nahe ist, aber Spaß macht es nur bedingt.

Und wer sich nicht tötet, härtet sich nicht etwa ab, sondern übt sich im polyrhythmischen, mehr oder weniger schmerzgesichtigen Die-Hände-über-dem-Kopf-zusammen-Schlagen angesichts der bedrohlichen, nein, der IMMER BEDROHLICHEREN Lage. Sozialmedial bedingt verschwimmt die Grenze rund ums Ich mit der gar nicht mehr als außen empfundenen Welt: das Fühlen und das Nachrichtenkonsumieren werden eins, jede Not, jede trumpistische Geste hat direkt mit einem selbst zu tun.

Die Folge: dran Leiden statt Mitleiden. Zumal Steigerung stündlich, ja minütlich zu erwarten ist. Schlimm. Schlimmer. Am schlimmsten. Nie war alles so furchtbar wie heute. Aufrüstung, USA, Uran. Iran, Armut, Mutlosigkeit. Merz, Musk. Massen-Diabetes. Massen-Entlassungen, Arbeitslosigkeit, Fachkräftemangel. Migration, Inflation, Depression. Flut, Dürre, Klimatod. Ukraine, Nordkorea, Solingen. Lindner, China, Winter. SPD, BSW, AfD. Demokratie stirbt, Autokratie lebt, Diktatur droht. Hyperdigitalisierte Jugendliche lesen, lernen, leben nicht mehr. Ach, da ist so viel, man kann gar nicht aufhören mit aufzählen.

Trittbrettfahrer mit schwachen Nerven

„Muss ja“, lautete einst schmucklos und schlicht die Antwort auf die harmlose Frage „Wie geht’s?“ Nun, damit ist es vorbei. Heute wäre kaum ein Gesprächseinstieg tückischer, denn wie soll’s schon gehen, bei der Weltlage?! Da muss gar nichts mehr, ist eh alles zu spät. Wer würde noch wagen, eine so optimistische Antwort zu geben wie „Muss ja“? Oder gar die altberlinerische Steigerung: „Man kann nicht meckern“?

Stattdessen: Seufzen, Stöhnen, Angstgeschrei. In der Ära von Trump-Putin-Erdoğan-Tamerlan, muss schon aus Gründen der Solidarität hysterisch, depressiv und aggressiv gleichzeitig werden, wer kein verrohter Klotz ist. Oder bräsig wie eine Altkanzlerin, die gegen den Trend so „muss ja“-tiefenentspannt ihre Kindheit, Jugend und Amtszeit abhandelt, dass einem ganz nostalgisch zumute wird. Und sich zurücksehnt in jene märchenhaft ferne Vergangenheit, als sich die – schon damals verkündete – Apokalypse durch Abwarten, „Keine Panik“ und „Wir schaffen das!“ verschieben, verdrängen, vergessen ließ.

Apokalypse heißt übrigens auf Deutsch Enthüllung, auf Christlich Offenbarung – nur, was offenbaren all die Apokalyptiker? Dass sie Trittbrettfahrer der Panik sind? Deren Erzeuger? Masochisten? Dass sie schwache Nerven haben? Ihnen die Ideen fehlen? Oder der Mut? Das Gegenteil von Apokalypsen sind Apokryphen, verborgene Schriften, die nicht in den Kanon aufgenommen wurden, nicht zum Gültigen, Anerkannten gehören. Entwarnungen etwa. Gelassenheit. Oder gar Gottvertrauen. Und so hat sich die supersinnvolle Sache mit dem Apfelbäumchen überlebt. Leider, denn was ist das für ein Leben, wenn die Welt untergeht, ohne dass man vorher einen vernünftigen Apfel essen kann? An apple a day keeps doctor and Weltuntergang away.



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Von Veritatis

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